«Das Steuerstrafrecht der Schweiz lässt keine fairen Verfahren zu» – Interview mit einem «ASU-Opfer»

An der Steuerstrafrechts-Tagung des Cosmos-Verlages werden relevante Entwicklungen im Steuerstrafrecht erörtert. Dort treffen sich Fachleute aus Justiz, Steuerberatung und Anwaltschaft. Im Fokus stehen dabei Themen wie die strafrechtlichen Risiken bei Steuerdelikten, der Umgang mit steuerlichen Selbstanzeigen sowie die Verfahrensführung in Steuerstrafprozessen. Einen vertieften Einblick zeigt auch unser Interview mit einem Ostschweizer Treuhänder, der eine besonderen Untersuchung nach Art. 190 ff erfuhr, inklusive Hausdurchsuchung durch die ASU und nachfolgenden Verfahren.

Inside Justiz hatte die Gelegenheit, einen Betroffenen zur Tätigkeit der ASU zu befragen. Normalerweise treten Betroffene aus diesem Umfeld nicht an die Öffentlichkeit. Bei unserem Interviewpartner handelt es sich um eine Person aus der Treuhandbranche. Inside-Justice kennt den Namen des betreffenden Experten, anonymisiert ihn aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Wir nennen diese Person «Treuhänder X».

Kompromissloser Treuhänder

Treuhänder X arbeitet seit vielen Jahren für eine renommierte Treuhandfirma in der Ostschweiz, die sich auf Steuer- und Handelsrecht spezialisiert hat. Als Treuhänder ist X dafür bekannt, dass er sich kompromisslos für die Interessen seiner Klienten einsetzt. Er vertritt Unternehmen und Privatpersonen in steuerrechtlichen Auseinandersetzungen mit den Steuerbehörden und begleitet die Verfahren durch alle kantonalen Instanzen bis vor Bundesgericht. Treuhänder X vertritt Steuerpflichtige auch in Steuerstrafverfahren und führt aufgrund des nach wie vor geltenden Anwaltsmonopols zusammen mit Anwälten besondere Untersuchungsverfahren nach Art. 190 ff DBG (schwere Steuerhinterziehung) durch.

Die Eröffnung eines besonderen Untersuchungsverfahrens durch die stets diskret arbeitende ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchungen) erfolgt jeweils auf Antrag der ESTV durch die Vorsteherin des EFD, zurzeit Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Pro Jahr gibt es rund 20 bis 30 Fälle nach Art. 190 ff DBG, wobei niemand die genaue Zahl kennt. Pascal Hollenstein, der Kommunikationschef von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, nannte auf Anfrage von Inside-Justiz eine Fallzahl, die sich bereits nach einem einfachen Abgleich mit dem Geschäftsbericht der ESTV als falsch erwies. Spektakuläre ASU-Fälle der letzten Jahre waren zum Beispiel jener gegen Remo Stoffel (Priora Holding AG, Hotelturm in Vals), der Kampf von Urs E. Schwarzenbach, jener des Westschweizer Verlegers Alain Dumenil oder das Verfahren gegen den schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann und Fondsmanager Jean-Claude Bastos de Morais.

Treuhänder X war vor zehn Jahren selbst Gegenstand einer Untersuchung nach Art. 190 ff. Damals führte die ASU bei Treuhänder X eine Hausdurchsuchung durch und eröffnete eine Kaskade von Steuerstrafverfahren. Die Untersuchung wurde ursprünglich auf Veranlassung der Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen eröffnet. Später stellte das Bundesstrafgericht in seinem Entscheid BV.2019.34-45 E. 5.2  fest, dass der Anfangsverdacht allenfalls «knapp ausreichend» sei. Mit anderen Worten könnte man auch sagen, dass der Anfangsverdacht der ESTV konstruiert war. Die Behörde habe sich den Verdacht «zurechtgebogen», damit die Vorsteherin des EFD grünes Licht für eine Untersuchung gab.

Treuhänder X gab Inside-Justiz anlässlich seines „Jubiläums“ die Gelegenheit, einen seltenen Einblick in solches Steuerstrafverfahren zu erhalten und direkt von einem Betroffenen zu erfahren, was er erlebt hat.

Treuhänder X, könnten Sie bitte etwas zu den Auswirkungen dieses Jubiläums auf Ihr Leben sagen?
Bis zu diesem Tag war ich der Meinung, dass Steuerangelegenheiten und der Umgang mit Steuerbehörden wie Kundenbeziehungen zu behandeln sind. Seither hat sich meine Sichtweise jedoch geändert. Ich bin viel zurückhaltender geworden und lehne jeden direkten Kontakt mit den Steuerbehörden ab. Ich bestehe aus Beweisgründen immer auf Schriftlichkeit und bin generell misstrauisch und vorsichtig. Positiv bewerte ich meine enorme fachliche Entwicklung, die ich durch die zahlreichen Verfahren erfahren habe, die sich nach diesem Ereignis 2014 wie eine Kaskade entfaltet haben. Ich erinnere mich, dass ich rund vier Jahre nach der Hausdurchsuchung jeden Morgen mit dem ersten Gedanken an die ASU aufgewacht bin. Das Verfahren hat mich nachhaltig geprägt, und erst mit den Jahren habe ich Abstand gewonnen und die Zuversicht gestärkt, gestärkt aus dem Verfahren hervorzugehen. Heute beeindruckt mich die ASU nicht mehr.

Wie ist die Hausdurchsuchung abgelaufen?
Ich bin an diesem Morgen um 7.00 Uhr zu Fuss zum Büro spaziert. Mir ist aufgefallen, dass alle Parkplätze belegt waren und zahlreiche Personen herumstanden. Diese Personen wirkten auf mich ungewöhnlich, fast schon „eigen“. Sie passten nicht wirklich in die Umgebung. Im Treppenhaus standen weitere Personen und es herrschte ein reges Treiben im Haus. Beim Eintritt ins Büro wurde ich vom Verfahrensleiter Dieter Krähenbühl begrüsst, der mir mitteilte, dass er von der ESTV kommt und eine Hausdurchsuchung durchgeführt wird. Ich war überrascht, blieb aber ruhig und trank Kaffee und las meine Zeitung, während die Beamten die Akten durchsuchten und in Kartons verpackten. Während der Durchsuchung stand immer ein Polizist bei mir und bewachte mich. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit von mir eine Gefahr ausging, aber ich hatte Sorge um die Mitarbeiter, die sich jedoch professionell verhalten haben. Die Hausdurchsuchung verlief ruhig, wobei eine beachtliche Menge an Akten abgeführt und der Server gespiegelt wurde.

Wurde nur das Büro durchsucht?
Nein, auch meine private Wohnung wurde durchsucht. Es war mir recht, dass im Haus niemand anwesend war, sodass die rund zehn Beamten nicht weiter aufgefallen sind. Störend und anmassend habe ich empfunden, dass jedes Buch, jedes Besteck, jeder Teller, alle Kleider und selbst intimste Sachen durchwühlt worden sind. Leid tat mir meine Frau, die das alles miterleben musste. Erinnern kann ich mich an die ASU-Beamten Markus Mosimann, der die Durchsuchung in meiner Wohnung leitete und übertrieben aggressiv aufgetreten ist.

Welche Folgen hatte die ASU-Aktion für Sie und Ihr Umfeld?
Die Grundbuchsperre über die Grundstücke, die nach einem längeren Prozess im Jahr 2018 aufgehoben wurde, war dabei besonders problematisch. Im Jahr 2014 führten wir den Umbau eines Mehrfamilienhauses durch. Für jeden Vorgang war die Zustimmung des Verfahrensleiters Dieter Krähenbühl erforderlich, was sich als sehr umständlich erwies. Aufgrund der zahlreichen Bankansprachen durch Dieter Krähenbühl war es schwierig, bei den Bankpartnern etwas zu bewegen, und wir mussten schliesslich froh sein, dass uns nicht gleich die Kontenbeziehungen gekündigt wurden.

Welche Probleme hatten sie sonst noch?
Ab 2015 wurden alle mit uns assoziierten Gesellschaften in Steuerverfahren involviert, sowohl direkte als auch indirekte Steuern, beispielsweise die Mehrwertsteuer. Ein besonders herausfordernder Aspekt war dabei die Auseinandersetzung mit der Verrechnungssteuer/ESTV, die sich über einen Zeitraum bis 2024 erstreckte. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass für die Verrechnungssteuer ab dem 31. Januar des Folgejahres der entsprechenden Vorgänge ein Verzugszins von 5 Prozent anfällt. Im Januar 2022 wurde der Satz auf 4 Prozent gesenkt, um ihn im Januar 2024 auf 4,75 Prozent anzuheben. Der Verzugszins führte in unserem Verfahren bis zum Vorliegen des rechtskräftigen Entscheids des Bundesgerichts, das mehr als zwölf Jahre dauerte, dazu, dass wir einen Verzugszins von rund 55 % der Steuerforderung bezahlen mussten.

Hatte die ASU-Aktion auch Folgen für Ihre Klienten?
Ja und ich spreche hier von Kollateralschäden. Die ASU unter der Leitung von Dieter Krähenbühl hat in zehn Fällen Verfahren mit assoziierten Unternehmen eröffnet. Die Untersuchungsergebnisse haben dann dazu geführt, dass die Kantonalen Steuerämter Nachsteuerverfahren eröffnet haben. Auch die ESTV und die MWST haben daraufhin Verfahren eröffnet. Ich bin mir der genauen Auswirkungen nicht in jedem Fall bewusst, doch es ist festzustellen, dass die Betroffenen in einigen Fällen hohe finanzielle Belastungen, zum Teil in Höhe von mehreren Hunderttausend Franken, tragen mussten. Dies illustriert eine Kaskade von Verfahren, die durch die ASU-Tätigkeit ausgelöst wurde.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
In einigen Fällen hatten die Betroffenen Anwälte, die ihre Aufgabe nicht zur Zufriedenheit erfüllten. Besonders besorgniserregend ist meiner Meinung nach, dass manche Anwälte das Instrument der „Sprungbeschwerde“ mit einer gewissen Leichtfertigkeit einsetzen, was den Rechtsmittelweg zum Nachteil der Klienten verkürzt. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Kenntnis über die EMRK und die Unabhängigkeit im Strafverfahren vielerorts nicht vorhanden ist. In Steuerstrafverfahren wird die offenkundig fehlende Unabhängigkeit der ASU und der Strafdienste der kantonalen Steuerämter selten von Anwälten oder Treuhändern moniert.

Haben Sie die beschlagnahmten Akten zurückerhalten?
Ich habe ab Mitte 2019 versucht, die Akten wieder zurückzubekommen, leider ohne Erfolg. Sowohl das Bundesstrafgericht als auch das Bundesgericht haben meine Beschwerde abgewiesen. Leider ist der EGMR auf meine Beschwerde nicht eingetreten, da die Eingriffstiefe in meine Menschenrechte als zu gering betrachtet wurde. Die Akten liegen noch heute im Grossraum Bern, mutmasslich in Ostermundigen, was die Situation nicht einfacher macht. Insbesondere bei laufenden Steuerverfahren und generell für die Arbeiten ist es mühsam, jedes Mal eine Akteneinsicht in Bern bei der ESTV an der Eigerstrasse 65 beantragen zu müssen. Ich habe meine Akten seit April 2014 nicht mehr gesehen. Glücklicherweise konnte ich meine Arbeit ohne Rückgriff auf diese Akten ausführen und war nicht darauf angewiesen, nach Bern zu fahren.

Sie waren nie mehr bei der eidg. Steuerverwaltung in Bern?
Nein, ich lehne jeden direkten Kontakt mit ASU-Beamten ab. Ich würde das ESTV-Gebäude an der Eigerstrasse nicht betreten, ebenso wenig die kantonalen Steuerämter. Seit dem 30. April 2014 verlange ich daher stets, dass eine Akteneinsichtnahme z.B. beim Verwaltungsgericht oder Bundesverwaltungsgericht stattfindet. Persönliche Besprechungen mit Steuerbeamten gibt es nicht, da ich dies als Sicherheitsrisiko ansehe. Aus Beweisgründen bestehe ich konsequent auf Schriftlichkeit.

Haben Sie bei der Hausdurchsuchung die Siegelung der Akten verlangt?
Leider nicht. Damals hatte ich den Eindruck, nichts verbergen zu müssen. Ohnehin erteilt das Zwangsmassnahmegericht auf Begehren der Strafbehörde stets seine Zustimmung zur Entsiegelung, weshalb sich Kosten und Aufwand erübrigen. Dennoch rate ich allen Betroffenen zur Siegelung. Der Deliktskonnex ist oftmals nicht gegeben, daher kann sich eine Siegelung lohnen.

Welche Tipps haben Sie für Betroffene einer besonderen Steuerstrafuntersuchung nach Art. 190ff DBG?
Schweigen und genau beobachten! Machen Sie nie Aussagen – leben Sie «nemo tenetur se ipsum accusare». (lateinischer Rechtsgrundsatz, der übersetzt bedeutet: „Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten, die Red.) Sie können nur verlieren. Lassen Sie Ihren Anwalt zum richtigen Zeitpunkt die Argumente vortragen. Werden Sie zu einer Einvernahme aufgeboten, sitzen Sie einfach schweigend da, auch wenn der ASU-Beamte 100 Fragen stellen will. Im Strafverfahren gilt die Untersuchungsmaxime, der Staat muss die Tatbeständlichkeit nachweisen. Der Betroffene muss gar nichts machen. In Steuerverfahren gilt sodann eine hohe Frustrationstoleranz. Leider haben Rechtsuchende bis heute kaum Chancen mit ihrem Rechtsbegehren gehört zu werden.

Welche Kaskade an Verfahren hat das Verfahren ausgelöst?Welche Art von Steuerverfahren wurden in der Folge eröffnet?
Die ASU erarbeitet im Wesentlichen die Grundlagen, während die Durchführung der Verfahren durch die kantonalen Steuerämter und die Eidgenössische Steuerverwaltung MWST erfolgt. Es wurden zahlreiche Nachsteuerverfahren auf Stufe Privat und Gesellschaft geführt, sodass eine Vielzahl von Verrechnungssteuerverfahren und MWST-Verfahren entstanden sind.

Wie ist derzeit der Stand in Bezug auf diese Verfahren?
Meiner Einschätzung nach befinden wir uns im letzten Drittel. Einen Grossteil der Verfahren haben wir inzwischen abgeschlossen, wobei ich grundsätzlich jeden Fall bis vor das Bundesgericht und hernach bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geführt habe. Leider wurden bisher alle Fälle vom Bundesgericht abgewiesen, wobei ich das Entscheidverhalten zur ASU als durchwegs schwach empfunden habe. Das Bundesgericht zeigte sich nicht gewillt, sich kritisch mit der ASU auseinanderzusetzen, wie es alle kantonalen Instanzen taten. Es schien, als ob die ASU die alleinige Deutungshoheit für sich beanspruchen dürfe. Die Verfahren in Steuerfragen ähneln in gewisser Weise einem Kafka-Roman, da die Argumente der Beteiligten oft kein Gehör finden.

Sie kämpfen aber weiter …
Ein Verfahren mit der Verfahrensnummer 41338/23 beim Europäischen Gerichtshof (EGMR) thematisiert die „ASU und die fehlende Unabhängigkeit“.

Welche Folgen könnte dieses Verfahren für die Schweiz haben?
Es ist ermutigend, dass der EGMR ein Verfahren gegen die Schweiz eröffnet hat. Es besteht die Hoffnung, dass dieses Verfahren zu einer Reform der Schweizer Steuerstrafgesetzgebung führen könnte, die dann nicht mehr dieselbe Steuerbehörde für Veranlagungen und Steuerstrafen zuständig sein wird. Eine weitere wichtige Massnahme wäre, dass die ESTV sich von ihrer Abteilung ASU trennen und diese in eine andere Organisation überführen sollte. Nur so kann die ASU strafrechtlich tätig werden und Unabhängigkeit im Steuerstrafverfahren sowie das Gebot des fairen Verfahrens werden garantiert.

Was ist an der ASU so problematisch?
Die ASU ist in ihrer jetzigen Form als integrierte Abteilung der ESTV nicht als unabhängig zu betrachten. Sie hat im Strafrecht keine Daseinsberechtigung und keine Legitimität. Um als Strafrechtsbehörde aktiv zu sein, ist Unabhängigkeit essenziell. Die nicht-parteiöffentliche Kommunikation zwischen der ASU und den Kant. Steuerämtern unter konsequentem Ausschluss der Parteirechte der betroffenen Person ist bedenklich und rechtstaatlich nicht haltbar. Es ist durchaus bedenklich, dass in einem korrekt geführten Strafverfahren die Parteirechte der betroffenen Person derart beschnitten oder sogar ignoriert werden.

Wie verhalten sich die Behörden und Gerichte bisher zur Frage der Unabhängigkeit in Steuerstrafverfahren?
Die bisherigen Antworten sind wenig zufriedenstellend. Vielfach wird lediglich darauf hingewiesen, dass die ASU „gesetzlich geregelte Arbeiten“ ausführt. Ich habe noch nie erlebt, dass sich die Gerichte mit der Frage der fehlenden institutionellen Unabhängigkeit befasst haben.Bei den Kantonalen Steuerämtern stellt sich zudem das Problem, dass die Steuerkommissäre von den EMRK-Schutzrechten keine Ahnung haben.

Welche Erfahrungen haben Sie in Steuerrechtsverfahren vor kantonalen Verwaltungsbehörden und Gerichten sowie vor dem Bundesgericht gemacht?

Behörden und Gerichte ertragen keinen EMRK-Kritik. In einigen Fällen wurde die Argumentation als „unbehelflich“ oder „zu wenig substanziiert“ bezeichnet. Es ist schwer, die Gedankenwelt der Beamten und Richter nachzuvollziehen. Die institutionell fehlende Unabhängigkeit ist offenkundig, sodass die Rügen nicht mehr als unbehelflich oder zu wenig substanziell abgetan werden können.

Das bedeutet?
Wer in einem ASU-Verfahren steckt, hat kaum faire Chancen mit seinen Vorbringungen gehört zu werden. Die Gerichte stellen einseitig auf den ASU-Bericht als die letzte Wahrheit ab. Besonders schwach erachte ich die Tatsache, dass kein Gericht der Schweiz bereit ist, sich kritisch mit den ASU-Befunden auseinanderzusetzen. Es wird einfach alles als bare Münze genommen. Äusserst bedenklich finde ich auch die Tatsache, dass kein Gericht und kein Strafdienst der Kant. Steuerämter eigene Untersuchungshandlungen vornehmen, sondern einfach auf den ASU-Bericht als die letzte Wahrheit abstellen. Bezeichnend ist auch, dass kaum je Zeugen zur Sache befragt werden.

Wie beurteilen Sie die Rechtskenntnis der kantonalen Steuerämter in Bezug auf die EMRK? Wie steht es um die Kenntnisse der EMRK unter den Anwälten?
Es ist festzustellen, dass die Beamten der kantonalen Steuerämter oft keine tiefgreifenden Kenntnisse der EMRK haben. Es ist möglich, dass einzelne Beamte die Bedeutung der EMRK kennen, aber die Bedeutung der Menschenrechte wurde im Steueramt bis heute nicht vollständig erfasst. Das scheint noch heute terra incognita zu sein. Auch die Fürsorgepflicht, die ein Verfahrensleiter im Steuerverfahren für ein korrektes Verfahren trifft, ist möglicherweise nicht vollständig bekannt oder wird ignoriert.

Was ist Ihre Meinung zum Verschuldensstrafrecht im Vergleich zum Erfolgsstrafrecht in steuerrechtlichen Fällen?
Im Steuerrecht gilt bis heute das Erfolgsstrafrecht. Das führt ungeachtet des persönlichen Verschuldens vielfach zu drakonischen Strafen mit existenzieller Gefährdung der Betroffenen. Ich halte das Erfolgsstrafrecht nicht mehr für zeitgemäss. Auch vor dem Hintergrund von nulla poena sine lege halte ich das Erfolgsstrafrecht nicht für menschenrechtskonform.

Wie beurteilen Sie die Rechtserheblichkeit der ASU-Befunde im Verfahren?
Darüber kann ich nur schmunzeln. Die ASU erhebt ihre Befunde in einem nicht wahrnehmbaren Vorgang, also quasi in der stillen Kammer. Meist werden nur die Beschuldigten einvernommen, wobei diese Befragung einzig dazu dient, gegen diese Personen vorgehen zu können. Bezeichnend ist, dass kaum je Zeugen befragt werden. Die Befunde der ASU, die bis heute Rechtserheblichkeit geniessen, folgen einem interessengeleiteten Automatismus des zuständigen ASU-Beamten.

Wie war das bei Ihnen?
In meinem Fall hat der ASU-Verfahrensleiter oft einfach seine Annahmen und seine Hypothesen mit dem Prädikat «Nachgewiesen» versehen. Was soll ich von einer derart dürftigen Untersuchungsqualität halten. Weder werden Reliabilität noch Validität der Untersuchung korrekt erhoben, noch genügt es, wenn ein ASU-Beamter in seiner stillen Kammer einen Sachverhalt aus seiner subjektiven Optik beurteilt. Persönlich halte ich die Qualität der ASU-Arbeit für ungenügend. Die Folgen tragen aber bis heute die Betroffenen, welche in vielfacher Weise mit gravierenden finanziellen Folgen konfrontiert sind.

Wurde der rechtliche Gehörsanspruch durch die ASU und die Steuerbehörde gewahrt?
Das Gewähren des rechtlichen Gehörsanspruchs stellt für die beteiligten Behörden vielfach eine lästige Pflicht dar. Ich habe in den von mir betreuten Verfahren nie festgestellt, dass das rechtliche Gehör fair wahrgenommen werden konnte. In einem Hinterziehungsverfahren im Kanton Appenzell Ausserrhoden, deren Grundlage ebenfalls der ASU-Bericht war, hat Ladina Nick, die zuständige Steuerkommissärin, noch nicht einmal die von ihr selbst gesetzte Frist für das rechtliche Gehör abgewartet. Vielmehr hatte Nick die Strafverfügung schon zuvor versandfertig auf dem Tisch und an mich zugestellt. Die Beamten interessieren sich schlicht nicht für die Argumente der Betroffenen. Die Verfahren sind vielfach von Anfang an zum Nachteil der Betroffenen vorgespurt. Diese haben allenfalls theoretisch Aussicht auf eine faire Fallbeurteilung.

Wie beurteilen Sie generell die Qualität der Arbeit der ASU?
Solange keine institutionelle Unabhängigkeit sichergestellt ist, habe ich kein Vertrauen in die ASU-Tätigkeit. Dazu gehört auch, dass endlich die unsägliche nicht-parteiöffentliche Kommunikation unter konsequentem Ausschluss der Parteirechte der Betroffenen aufgegeben wird. Erst eine unabhängige Behörde, welche die Untersuchungsmaxime lebt und die Parteirechte der betroffenen Person respektiert, kann wieder Zutrauen in ihr Wirken beanspruchen.

Wie beurteilen Sie aus Ihrer Optik «fair trial» und die Unschuldsvermutung im ASU-Verfahren?
Das gibt es nicht. Das ASU-Verfahren nach Verwaltungsstrafrecht verfolgt meiner Meinung einen inquisitorischen Ansatz. Die Schuldvermutung steht von Anfang an im Raum. Das Verfahren ist weder fair noch objektiv. Es geht einfach darum, missliebige Steuerpflichtige brutalstmöglich zu sanktionieren.

Welche Empfehlung haben Sie für die künftige Steuerstrafrechtskodifikation?
Der Staat sollte endlich für eine institutionelle Unabhängigkeit und Fairness im Verfahren und Gewährung der vollständigen Parteirechte – also Informations-, Teilhabe- und Mitwirkungsrecht – der betroffenen Person sorgen. Das Verwaltungsstrafrecht muss dringend überarbeitet und in eine zeitgemässe Fassung gebracht werden. Völlig unverständlich ist für mich, dass im Verwaltungsstrafrecht bis heute nur Anwälte zugelassen sind, aber keine Treuhänder. Das Anwaltsmonopol in Steuerstrafsachen nach Art. 190 ff DBG ist nicht angemessen und falsch. Dabei verfügen vielfach die Treuhänder über spezifisch fundierte Kenntnisse des Steuerrechts. In normalen Steuerstrafsachen sind die Treuhänder zugelassen, aber nicht in Verfahren nach Verwaltungsstrafrecht, wozu auch das ASU-Verfahren zählt. Das mag verstehen, wer will, ich tue es nicht. Der Bundesrat hat von seiner in Art. 32 Abs. 2 VStrR verbrieften Kompetenz bis heute keinen Gebraucht gemacht. Warum weigert sich der Bundesrat endlich Gewähr für Waffengleichheit zu bieten und auch die Treuhänder in Verwaltungsstrafsachen zuzulassen?

Welche Erkenntnis bleibt am Tag des zehnjährigen Jubiläums?

Ich spüre eine grosse Zuversicht, dass der EGMR der Schweiz die steuerstrafrechtlichen Grenzen aufzeigt und damit der Gerechtigkeit einen grossen Dienst erweist. Das Steuerstrafrecht der Schweiz lässt heute keine fairen Verfahren zu. Deshalb ist meine Hoffnung gross, dass die Schweiz ihr rigides nicht mehr zeitgemässes Strafsystem nachhaltig verändern muss, sofern der EGMR zu Gunsten der Menschenrechte und fair trial entscheidet.

Kommentar

ASU – die geheime Justizbehörde mit enormer Macht

Inside Justiz hat bereits mehrfach über die ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchung) berichtet). Wenn kantonale Steuerämter mit ihrem Latein am (vermeintlichen) Ende sind oder Machenschaften zum Nachteil des Staates vermuten, können sie bei der ESTV informell ein Gesuch um besondere Untersuchung nach Art. 190 ff DBG stellen. Die Vorsteherin des EFD, zurzeit Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ermächtigt dann in einem weitgehend intransparenten Verfahren die ESTV und unter krasser Durchbrechung der Gewaltentrennung die ASU zur Durchführung der Untersuchung.

Die stets im Geheimen operierende ASU ist, was viele nicht wissen, mit einer enormen Machtfülle ausgestattet. Sie kann Haus- und Personendurchsuchungen sowie Einvernahmen durchführen und Beschlagnahmungen (Bankkonten, Vermögenswerte etc.) sowie Grundbuchsperren veranlassen. Von diesen Zwangsmassnahmerechten macht die ASU in der Regel ausufernd Gebrauch, was für die Betroffenen gravierende und meist existenzielle Folgen hat. Die Beschlagnahme ist dabei eine Sicherungsmassnahme für die Dauer des Verfahrens (Art. 46 Abs. 1 VStrR). Mit der Beschlagnahme geht das Vermögen für die betroffene Person zwar nicht verloren, sie kann aber nicht mehr darüber verfügen.

Zu beachten ist, dass die ASU nicht selbständig Steuerhinterziehungsverfahren durchführt. Die ASU erstellt «nur» den Bericht dazu, der aber als rechtserhebliche Grundlage (BGE 119 1b 12ff). in die kantonalen Steuerhinterziehungsverfahren einfliesst. Bis ein solches Verfahren abgeschlossen ist, vergehen problemlos 10 Jahre oder mehr. Besonders stossend ist dabei, dass ein Nachsteuerverfahren nach Erlass einer Strafverfügung durch das kantonale Steueramt (KSTA) gemäss Art. 184 Abs. 2 DBG nicht mehr verjährt. Bis zum Abschluss am Tag X kann der Betroffene also nicht mehr über sein Vermögen verfügen!

Besonders stossend ist, dass von Anfang an die Schuldvermutung gilt. ASU-Untersuchungen sind inquisitorisch ausgeprägt. Wer mit der ASU in Kontakt kommt, hat in der Regel bereits verloren.

In Praxis sehen sich viele Betroffene nach Abschluss der oft kaskadenmässig geführten Verfahren mit dem wirtschaftlichen Ruin konfrontiert. Die regelmässig vom Bundesgericht publizierten Urteile zeigen weiter, dass die ASU von den Gerichten auffallend geschützt wird und die Steuerpflichtigen mit ihren Standpunkten keine Chance haben. Kaum je gibt es eine kritische Anmerkung zu den von der ASU erarbeiteten Berichten. Es scheint, also hüte die ASU den „heiligen Gral“.

«Schwarzer-Peter-Spiel“

Dass weder die ASU noch die KSTA als Verwaltungsstrafbehörden im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK unabhängig sind, kümmert bis heute weder eine Behörde noch ein Gericht. Auch das Bundesgericht weigert sich regelmässig (sichtlich genervt), die ASU kritisch zu würdigen. Eine betroffene Steuerpflichtige spricht hier zu Recht von einem «Schwarzer-Peter-Spiel» zum Nachteil der Steuerpflichtigen.

Behörden und Gerichte verweisen jeweils cool darauf, dass die ASU „gesetzlich geregelte“ Aufgaben wahrnehme. Das Völkerrecht, wozu die fair trial-Regeln der EMRK zählen, interessieren weder Gerichte noch Behörden, wobei sich hierzu vielfach mangelhaftes Rechtswissen der Behörde auftut.

Es ist bedenklich, dass Rechtsuchende nicht mehr auf eine funktionierende Justiz vertrauen können.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert