Bundesanwalt fordert mehr Personal

Bundesanwalt Stefan Blättler läutet die Alarmglocke: Die Zahl der Terrorverfahren liege mit 120 auf einem historischen Höchststand – und doppelt so hoch als noch 2022. In der SONNTAGSZEITUNG vom 5. Januar 2025 fordert Blättler deshalb mehr Personal. Zwei zusätzliche Staatsanwälte alle drei Jahre und jedes Jahr zehn zusätzliche Bundespolizisten sollen es richten.

Die meisten der Fälle hätten einen jihadistischen Hintergrund, erklärt der Bundesanwalt, räumt allerdings ein, dass für Terror aus links- oder rechtsextremen Kreisen in der Regel die Kantone zuständig sind – in die Kompetenz des Bundes fallen sie nur, wenn sie eine internationale Komponente aufweisen.

Blätter erinnert im Umfeld der jüngsten Anschläge in Magdeburg oder New Orleans daran, dass auch in der Schweiz schon Terroranschläge stattgefunden hätten – etwa in Morges, Lugano und Zürich. Allerdings hätte es sich dabei um Einzeltäter gehandelt. «Es waren Leute, die sich selber radikalisierten, durch Websites, die sie besuchten, oder angestachelt von einem extremistischen Prediger in einer Moschee. Gerade weil es isolierte Einzeltäter sind, ist es so schwierig, sie zu entdecken.»

Konkrete Anschlagspläne vereitelt?

Gemäss Blättler handelt es sich bei den laufenden Verfahren um solche wegen Terrorpropaganda im Internet oder um die Finanzierung von terroristischen Organisationen aus der Schweiz heraus. Und «um Personen, die in den Jihad reisen», wie Blätter ausführt: «Es besteht die Gefahr, dass diese Personen selber dereinst Anschläge planen, wenn sie nicht durch Ermittlungen gestoppt werden. Man kann davon ausgehen, dass mit unseren Interventionen in jüngerer Vergangenheit tatsächlich auch geplante Anschläge verhindert werden konnten.» Konkreter wird Blättler dazu allerdings nicht, und die Journalisten Mischa Aebi und Adrian Schmid fragen denn auch nicht weiter nach.

Blättler kritisiert, der Bund habe die innere Sicherheit lange Zeit vernachlässigt. «Wir haben in diesem Bereich ganz klar ein Manko. (…) Wenn man hier zu wenig macht, kann das mit der Zeit gefährliche Folgen haben.» Er habe allerdings das Gefühl, dass die Botschaft in der Politik inzwischen angekommen sei.

Zusätzliche Kapazitäten verlangt

Blättler fordert für die Bearbeitung der Fälle – wenig überraschend – zusätzliches Personal: «Es ist nun mal nicht möglich, mit einem Personalbestand, der ausgelegt ist auf die Bearbeitung von 60 Fällen, plötzlich in 120 genau gleich schnell zu ermitteln. Das wohl noch grössere Problem liegt bei der Bundeskriminalpolizei. Sie ist in solchen Fällen für die Ermittlungen zuständig. Es gibt zurzeit deutlich zu wenig Bundeskriminalpolizisten.», lässt sich Blättler in dem Interview zitieren und bringt einen Vergleich: «In den Kantonen gibt es auf einen Staatsanwalt etwa sieben Polizisten, beim Bund sind es nicht einmal zwei pro Staatsanwalt.» –

Ein Vergleich, der natürlich hinkt, haben die kantonalen Polizeikorps natürlich noch weitere Aufgaben, welche die Bundespolizei nicht hat – beispielsweise im Bereich der Verkehrspolizei, wo vieles im Ordnungsbussenverfahren abgewickelt wird, ohne dass die Staatsanwaltschaften involviert wären. Dessen ist sich Blättler aber wohl auch bewusst und schraubt seine Erwartungen an die Politik herunter: «Wenn das Bundesamt für Polizei pro Jahr fünf bis zehn zusätzliche Kriminalpolizisten bekommt und wir alle drei Jahre ein bis zwei zusätzliche Staatsanwälte, bin ich bereits happy. Das ist möglich und auch zwingend, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen.»

Banalitäten verfolgen statt das organisierte Verbrechen

Schon heute, so Blättler weiter, würden Verfahren schubladisiert, weil die Kapazitäten nicht ausreichten. Und das offenbar insbesondere Verdachtsfälle von organisierter Kriminalität und Cyberkriminalität. «In solchen Fällen zu ermitteln, ist sehr aufwendig. Es dauert Jahre, um nur schon die Vernetzungen aufzudecken. Dazu fehlen uns manchmal die Ermittler. Das ist ein Missstand.»

Um Druck auf die Politik aufzubauen, spart Blättler nicht mit düsteren Prognosen: «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwann Verhältnisse haben wie in den Vororten in Belgien oder Schweden, wo die Spuren von Bandenkriminalität jetzt deutlich sichtbar geworden sind – mit Schiessereien, Dutzenden Toten und Schutzgelderpressung. Es darf nicht sein, dass sich rivalisierende Banden aus dem organisierten Verbrechen auf offener Strasse bekämpfen.»

Und gleichzeitig schlägt sich die Bundesanwaltschaft mit Banalität herum. Etwa Beleidigungen von SBB-Kondukteuren, für welche die Bundesanwaltschaft zuständig ist. «Strafdelikte gegen SBB-Personal (…) gehören nun mal in die Kompetenz der Bundesanwaltschaft, und auch sie sind wichtig! Wir können diese Arbeit nicht einfach liegen lassen.»

Blättler will Deferred Prosecution Agreements (DPA) auch in der Schweiz

Eine weitere Forderung von Bundesanwalt Stefan Blättler dürfte in Juristenkreisen zu reden geben: Blättler äussert sich in dem Interview in der SONNTAGSZEITUNG auch zu dem insbesondere aus dem angelsächsischen Raum stammenden Instrument des Deferred Prosecution Agreements (DPA). Solche Abkommen  zwischen einer Strafverfolgungsbehörde und einem in Verdacht geratenen Unternehmen dienen dazu, dass das Unternehmen sich gegen die Bezahlung einer Busse und gegen gewisse Auflagen von einer strafrechtlichen «Verurteilung» freikaufen kann. Geht ein Unternehmen ein solches DPA ein, gilt das nicht als Schuldeingeständnis im Sinne des Strafrechts und das Unternehmen gilt auch nicht als verurteilt. Blättler dazu: «Uns fehlt so etwas. Ich habe mir das von meinem französischen Amtskollegen erklären lassen und komme zum Schluss, dass es auch im europäischen Recht funktioniert. Ich bin sehr dafür, dass man DPA auch in der Schweiz einführt.»

Dass Strafverfolger in den DPA viel positives sehen, ist wenig überraschend. Es erleichtert ihnen die Arbeit, müssen sie doch für ein DPA keine gerichtsfesten Beweise liefern und auch keine Richter von der Schuld der Angeklagten überzeugen – es reicht grundsätzlich, wenn sie einem Unternehmen gegenüber ausreichend Druck aufbauen, indem sie das Vorhandensein von Beweismitteln behaupten oder mit einer langwierigen Untersuchung unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit drohen.

Was der Artikel der SONNTAGSZEITUNG verschweigt: Das Instrument, mit dem gerade Schweizer Unternehmen in den USA immer wieder Erfahrungen machen, ist in der juristischen Lehre hochgradig umstritten und wird von vielen abgelehnt (vgl. z.B. hier) – Und das aus verschiedenen Gründen: Zum einen wird kritisiert, es könne nicht angehen, dass Unternehmen, die sich deliktisch verhalten hätten, sich mit einem DPA von Schuld und Verurteilung freikaufen könnten – ein solches Instrument würde den Kerngedanken eines gerechten Justizsystems, vor dem alle gleich sind, unterlaufen. Aber auch die Unschuldsvermutung würde unterminiert. Das grundlegende Prinzip des Strafrechts, dass der Staat einer beschuldigten (juristischen oder natürlichen) Person die Schuld beweisen müsse, würde mit den DPA ausgehebelt. Zudem machen die Kritiker geltend, Unternehmen könnten versucht sein, trotz Unschuld einem DPA zuzustimmen, alleine, um nicht über Jahre durch Strafuntersuchungen mit ungewissem Ausgang belastet zu werden.

Bank-Juristen erinnern in dem Zusammenhang an die Auseinandersetzungen zwischen Schweizer Banken und den US-amerikanischen Behörden um Steuerhinterziehungsvorwürfe. Weil alleine schon die Eröffnung eines formellen Strafverfahrens in den USA faktisch zum Niedergang der operativen Banktätigkeit führt, waren Bankinstitute mehr oder minder gezwungen, ein DPA einzugehen, auch wenn sie überzeugt waren, dass sie auch nach US-amerikanischem Recht korrekt gehandelt hatten.

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