Der TAGES-ANZEIGER berichtet über einen Mann, dessen 94-jährige Mutter verstorben ist. Weil er nicht wusste, was tun, rief er über die Nummer 144 den Notruf an. Ein grosser Fehler, wie sich später herausstellte.
In dem Erfahrungsbericht (auf tagesanzeiger.ch, hinter Bezahlschranke) erzählt Gerhard Mehner über den Tod seiner Mutter. Die 94-jährige Frau lebte bis zuletzt in ihrem eigenen Haus, brauchte keine Hilfe und war gesund. Zum Arzt sei sie nie gegangen. Als am 3. Juli 2024 auch am Nachmittag die Rollläden immer noch zu sind, schau ihr Sohn nach. Er lebt im Haus nebenan, so der TAGES-ANZEIGER.
Tatsächlich findet er seine Mutter tot im Badezimmer. Die Haut bläulich, der Körper kalt und steif. Die Mutter ist unzweifelhaft tot, Gerhard Mehner vermutet, dass sie schon vor mehreren Stunden verstorben ist. In der Aufregung ruft er die 144 an, den Notruf. Und ahnt nicht, was er damit auslöst.
Wie aus einem ganz normalen Todesfall eine Staatsaffäre wird
Obwohl Mehner gemäss dem Artikel im TAGI deutlich sagt, seine Mutter sei verstorben, 94 Jahre alt gewesen, den Zustand des Leichnams beschreibt und klar aussagt, es werde keine Reanimation mehr benötigt, trifft in der Folge inner kurzer Zeit erst ein Fahrzeug der Feuerwehr mit zwei «First Respondern» ein. Diese, so die Erzählung, seien die Treppe zur verstorbenen Mutter hochgerannt und wenig später zu bestätigen, was Mehner längst klar war. Die Frau sei tot, man könne nichts mehr machen.
Anschliessend sei ein Polizeiauto mit zwei Polizisten eingetroffen. Selbes Szenario: Die Polizisten sehen sich die Mutter an, stellen fest, dass sie tot ist und fahren von dannen. Dann folgt der Krankenwagen mit zwei Sanitätern, wenig später – mit separatem Fahrzeug – ein Notarzt. Sie stellen – was Wunder – den Tod der betagten Frau fest.
Der Spuk ist aber noch nicht vorbei. Als nächstes treffen eine Forensikerin und zwei Kriminalbeamte der Polizei ein. O-Ton TAGES-ANZEIGER: «Das Haus wird ‚durchsucht‘. Schränke und Schubladen geöffnet, Dokumente, Taschen und das Portemonnaie untersucht, Medikamente fotografiert. Es findet eine polizeiliche Einvernahme statt, danach versiegeln die Polizisten das Haus und nehmen den Hausschlüssel mit. Zwei Tage später wird Mehner beim Bestatter nochmals polizeilich befragt. Er muss bestätigen, dass die Verstorbene seine Mutter ist.»
Fünf Monate später schliesst die Staatsanwaltschaft das Dossier. Es hätte keine Anzeichen für Fremdeinwirkung gegeben. Der Amtsarzt hatte attestiert, die Seniorin sei um fünf Uhr morgens an einem Herzstillstand verstorben.
Fast CHF 3’000 Kosten
Der Fall wird noch absurder: In der Folge der Einsatzkaskade erhält Gerhard Mehner schliesslich mehrere Rechnungen für die Einsätze von Feuerwehr, Polizei und Ambulanz. CHF 2’580 muss er für den sinnlosen Einsatz schliesslich hinblättern.
Die TAGES-ANZEIGER-Journalistin hat bei Schutz&Rettung Zürich nachgefragt und zur Antwort erhalten, präzise Antworten auf die Fragen, die vom Notfall gestellt würden seien wichtig. «Wenn durch die Angaben der anrufenden Person restlos geklärt sei, dass die Person tot sei, komme es vor, dass kein Rettungseinsatz aufgeboten werde», hat Schutz und Rettung offenbar zur Antwort gegeben. – Ein unfassbare Antwort eigentlich, die im Klartext nicht viel weniger bedeutet als: Wenn wir irgendeine Möglichkeit sehen, Geld zu machen, dann tun wir das auch und schicken alles vorbei, war wir auch verrechnen können.
Der im TAGES-ANZEIGER geschilderte Fall dürfte im Übrigen kein Einzelfall sein: INSIDE JUSTIZ sind weitere Fälle bekannt, wo für Personen, die offenkundig bereits unwiederbringlich tot waren, noch eine Ambulanz aufgeboten wurde – mit entsprechender Rechnungsstellung von wiederum rund CHF 1’500. Gegen die Abzoge wehren dürfte sich kaum jemand – wer mag schon so schmürzelig erscheinen beim Ableben eines lieben Familienmitglieds.
Nein, diesen Rat sollten Sie nicht befolgen
Den Rat des TAGES-ANZEIGERS zu befolgen, man solle immer die Sanitätsnotrufnummer 144 anrufen, wenn man auf eine leblose Person stosse, kann man nach dem Lesen dieser Geschichte eigentlich kaum mehr jemandem empfehlen – zumal es auch keine Verpflichtung gibt, so zu handeln.
Nach Rücksprache mit verschiedenen Fachleuten empfiehlt sich viel mehr ein differenziertes Vorgehen: Wer ein verstorbenes Familienmitglied antrifft, das aufgrund einer bekannten Krankheit oder hohen Alters verstorben sein dürfte, ist wohl besser beraten, einfach den Hausarzt aufzubieten. Ärztinnen und Ärzte sind qualifiziert und berechtigt, die Todesursache festzustellen und einen Totenschein auszustellen. Bei einem natürlichen Tod werden sie das tun, ohne unsinnige weitere Dienste aufzubieten. Anschliessend kann ein Bestattungsunternehmen die Überführung des Leichnams übernehmen. Sollte der Arzt Anzeichen sehen, dass die Person nicht eines natürlichen Todes verstorben ist, ist er verpflichtet, die Untersuchungsbehörden beiziehen.
Anders verhält es sich selbstverständlich, wenn nicht klar ist, ob eine Person tatsächlich verstorben oder vielleicht nur bewusstlos ist oder wenn die Umstände darauf hindeuten, dass die Person Opfer einer Straftat geworden sein könnte. In einem solchen Fall macht der Notruf dann auch tatsächlich Sinn. Bei Suiziden werden die Untersuchungsbehörden immer aktiv, um abzuklären, ob die verstorbene Person tatsächlich selbst aus dem Leben geschieden ist oder ob eine Straftat versteckt werden sollte.
(Symbol-Titelbild: Envato Elements)