Marianne A. wird auch vom Obergericht schuldig gesprochen

Das Berner Obergericht hat im Fall des Kindsmords vom Könizbergwald die beschuldigte Mutter Marianne A*. des Mordes an ihrer achtjährigen Tochter Emma* verurteilt. Die erste Strafkammer unter dem Vorsitz von Oberrichter Nicolas Wuillemin (SP) verhängt eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Das Gericht bestätigt damit die Verurteilung der Vorinstanz, senkt aber die Strafe leicht – die Vorinstanz hatte noch eine lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen. Marianne K. bestreitet die Tat nach wie vor, ihr Verteidiger hatte einen Freispruch verlangt.

An der Urteilsverkündung hielten die Richter fest, es gebe für sie eine «Vielzahl von Beweisen». Genau das war von der Verteidigung und von Beobachtern in Frage gestellt worden, denn bei dem Prozess handelt es sich um einen reinen Indizienprozess. Gemäss der Urteilsbegründung hätten vor allem die widersprüchlichen Aussagen der Mutter die Richter davon überzeugt, dass sie die Täterin gewesen sei.

Der Stein als Tatwerkzeug

Wie schon für die Vorinstanz ist auch das Obergericht sicher, dass ein 8 Kilogramm schwerer Stein das Tatwerkzeug sei. An dem Stein war die DNA der Mutter gefunden worden, gemäss der Aussage der Mutter deshalb, weil ihre Tochter und sie den Stein bei einem Waldversteck abgelegt hatten, das sie im Könizbergwald gemeinsam gebaut hatten. Ihre Tochter habe den Stein dort als eine Art «Napf» für Tiere ablegen wollen.

Das Gericht wirft der Mutter vor, sie hätte bei einer Polizistin den Stein selbst erwähnt und ins Spiel gebracht – zu einem Zeitpunkt, als dieser noch gar nicht als Tatwerkzeug identifiziert gewesen sei. Zudem habe die Mutter verschiedene Angaben dazu gemacht, wie oft und wie sie den Stein berührt und im Waldversteck verschoben hatte. Das Gericht habe die Meinung, die Mutter hätte nicht wirklich selbst erlebt, was sie erzählt hatte. Die Erzählungen seien so oberflächlich, dass das darauf hindeute, dass sie erfunden seien.

«Zeugenaussage ist konsistent»

Ein weiteres Indiz für die Täterschaft der Mutter sieht das Gericht in der Aussage eines damals 12-jährigen Jungen. Er will Marianne A. gesehen haben, als sie mit ihrer Tochter in den Wald ging und ist damit der Hauptbelastungszeuge. Vor Gericht wurde er allerdings nicht gehört, auch an die grün gefärbten Haare oder die Kleidung der Mutter bei der Begegnung konnte er sich nicht erinnern. Gleichwohl sieht das Berner Obergericht darin kein Problem: Die fehlende Erinnerung sei damit zu begründen, dass es sich bei der Begegnung um eine «Alltäglichkeit» gehandelt hatte.

Insgesamt seien die Aussagen des Jungen konstant, das Gericht erachtet es deshalb als erstellt, dass der Bub die Mutter und ihre Tochter tatsächlich in den Wald habe gehen sehen.  Zudem habe die Mutter, die angegeben hatte, zur Zeit der Beobachtung durch den Zeugen zuhause Musik gehört zu haben, während just dieser Zeit aber das Handy nicht bedient.

Weitere Indizien zum Narrativ

Wie schon die erste Instanz bemüht auch Oberrichter Wuillemin weitere Beobachtungen und Aussagen der Mutter, um das Gerichts-Narrativ der mordenen Mutter zu bestätigen.

So habe sich die Mutter beim Auffinden der Tochter verdächtig verhalten, weil sie ihr totes Kind kaum berührt oder in den Arm genommen hätte. Sie habe nur die Kapuze berührt und danach auf Aufforderung der Rettungsdienste am Telefon den Puls gespürt. Wieder wird der Mutter ihr Aussageverhalten zur Last gelegt: Sie hätte bei der Einvernahme ihr Verhalten damit gerechtfertigt, dass man Blutspuren auf ihren Händen finden würde – das sei verdächtig, so würde niemand reagieren, die als unbeteiligte Person gerade ihre Tochter tot aufgefunden habe.

Dazu habe sich die Mutter in widersprüchliche Aussagen dazu verstrickt, wie oft sie denn in dem Waldstück gewesen sei. Zunächst habe sie ausgesagt, sie sei täglich dort gewesen, später seien es nurmehr ein oder zwei Mal gewesen.

Und das Motiv?

Auch das Tatmotiv beurteilt das Obergericht gleich wie die Vorinstanz: Die Lebenssituation der Kindsmutter, deren Freund sich vor kurzem von ihr getrennt hatte – wegen der Tochter. Die Trennung aufgrund der Tochter habe sie schliesslich zu der Tat bewogen. Zudem habe ihre Tochter geäussert, dass ihre Mutter sie als Hindernis sähe.

Allerdings räumt auch Oberrichter Wuillemin ein, dass Beweggründe oder ein Motiv, welche die Tat nachvollziehbar machen würden, nicht auszumachen seien – um gleichwohl auf einen «extremen Egoismus und eine Geringschätzung des Lebens» zu erkennen.

Interessant: Das Obergericht argumentiert, es läge zwar eine bewusste und gewollte Handlung vor, es sich aber nicht erhärten liesse, dass die Mutter die Tat im Voraus geplant habe. Irgendetwas müsse sie spontan zur Tötung verleitet haben. Besonders skrupellos sei zudem gewesen, dass sie anschliessend ihre eigene Mutter – die Grossmutter des getöteten Mädchens, einer Traumatisierung ausgesetzt habe, indem sie sie an den Tatort geführt hätte. Es seien keine Einsicht oder Reue zu erkennen und die Skrupellosigkeit und Heimtücke seien gegeben, dass die Tat auch bei einem unklaren Motiv als Mord qualifiziert werden könne.

Jetzt vor Bundesgericht?

Gemäss Aussage von Moritz Müller, dem Verteidiger der Beschuldigten, in der Live-Ticker-Berichterstattung von der Urteilsverkündung auf 20MINUTEN.CH und BLICK.CH, wollen er und seine Mandatin nicht aufgeben und fassen eine strafrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ins Auge.

(Titelbild: Obergericht Bern, Oberrichter Nicolas Wuillemin, Marianne A. mit Emma*)
*Namen aus Persönlichkeitsschutzgründen geändert

Die langsamen Mühlen der Justiz

INSIDE JUSTIZ hatte anlässlich eines Haftprüfungsverfahrens erstmals über den Kindsmord im Könizerbergwald berichtet. Das Bundesgericht hatte damals mit fragwürdigen Argumenten eine Beschwerde zu einem Haftentlassungsgesuch abgewiesen. In dem Fall stellten sich schon früh kritische Fragen, ob sich die Berner Justiz – wie der Verteidiger der beschuldigten Mutter bis heute argumentiert – zu früh und nur auf die Mutter als mögliche Tatverdächtige festgelegt hatten.

Vieles spricht nach wie vor für diese These, wie INSIDE-JUSTIZ anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Regionalgericht im Juni 2024 berichtete – und auch noch einmal als Vorschau auf die Berufungsverhandlung im März 2025 vor dem Berner Obergericht.

Der Fall hatte unterdessen auch international für Aufsehen gesorgt und eine fünfteilige Podcast-Serie der Kriminalreporterin Anne Kunze auf ZEIT-Verbrechen ausgelöst – mit einer Total-Laufzeit von rund fünf Stunden. Die Mutter, bei uns Marianne, heisst dort Mirjam, die Tochter, bei uns Emma, dort Elena.

3 thoughts on “Marianne A. wird auch vom Obergericht schuldig gesprochen

  1. … und „besondere Skrupellosigkeit“ nicht aus der Tatausführung selbst, sondern aus einem äusseren Umstand abzuleiten (die Grossmutter / eigene Mutter an den Tatort zu führen), ist das zwanghafte Bemühen, die Tat als Mord zu qualifizieren. Was nicht passt, wird passend gemacht.
    Mit solchen Begründungen 18 Jahre zu verhängen, das kann man kaum unterbieten.

  2. Welche Mutter baut mitten im Winter ein Versteck im Wald? Ebenso wäre die kleine Tochter jemandem gefolgt, den sie gekannt haben muss. Es war ja zudem schon dunkel. Gewisse Gewaltdelikte lassen sich einfach nicht schönreden. Die Mutter ist nicht glaubwürdig.

  3. Das Muster des Obergerichts Bern ist aus früheren Fällen bekannt:
    – Die Oberrichter bezeichnen Vermutungen und Unbewiesenes als Indizien (BEWIESENE Tatsachen), woraus sie dann einen „Beweis“ konstruieren für beweisbedürftige Tatumstände, die sie nicht beweisen können.
    – Grün gefärbte Haare sind eher selten in der Öffentlichkeit, fallen also auf. Die fehlende Erinnerung des 12-jährigen Hauptbelastungszeugen daran nährt Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage und ist kaum der „alltäglichen“ Begegnung zuzuschreiben. Das ist eine unlogische Beweiswürdigung, die der Lebenserfahrung widerspricht.
    – Die Bewertung des Verhaltens der Mutter beim Auffinden der Leiche ist willkürlich, dümmlich. Gibt es eine Regel, wie sich eine Mutter zu verhalten hat, die ihr Kind tot auffindet? Wo steht das? Gibt es wissenschaftliche Studien dazu?
    – Die Begründung zum Motiv ist widersprüchlich und spekulativ.
    – Auch typisch, der Mutter fehlende Einsicht oder Reue vorzuwerfen (wahrscheinlich insgesamt strafverschärfend gewertet), obwohl diese die Tat bestreitet. Um Reue oder Einsicht zu zeigen, hätte sie gestehen müssen. Der Vorwurf lautet also, die Tat nicht gestanden zu haben – ein klarer Verstoss gegen die Unschuldsvermutung. Aber ebenso Tradition in den oft rechtswidrigen Urteilsbegründungen der (Berner) Justiz.

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