Kommentar: Wenn Einschüchterung Fakten ersetzen sollen

KOMMENTAR:


Wenn mit Klagedrohungen Recherchen verhindert werden sollen  – Wie juristische Einschüchterung investigativen Journalismus gefährdet

Wir erleben es immer wieder: gewichtige Briefköpfe, viele Paragrafen – aber wenig Substanz. INSIDE JUSTIZ erhält wie viele andere Medien zuletzt gehäuft Drohschreiben namhafter Schweizer Juristen, die mit ihren Schreiben kritische Berichterstattung unterbinden wollen.

Da ein Medienrechts-Professor, der im Namen einer Zürcher KESB eine Persönlichkeitsrechtsverletzung monierte, weil wir ein Bild eines fehlbaren KESB-Präsidenten publizierten, dort eine Staatsanwältin und Mediensprecherin, die eine Klage androht, die dann nie erfolgt – weil wie von vornherein aussichtslos gewesen wäre und schon ihre Aussagen in den Medien bei professionellen Juristen bestenfalls ein mitleidiges Kopfschütteln auslösten.

Oder grosse internationale Kanzleien an den teuersten Standorten Zürichs, die ausschweifende Schriftsätze versenden, aus denen rasch klar wird, dass es hier wichtiger war, noch ein paar verrechenbare Stunden zu schreiben, als juristisch substantiiert einen Sachverhalt zu klären. – Hauptsache, der Aufwand kann fakturiert werden.

weinor: Worum es uns konkret geht

Das jüngste derartige Beispiel bildet der Fall weinor. In 21-Punkten versuchen die Anwälte Roger Thomi und Fabienne Bretscher eine fehlerhafte Berichterstattung nachzuweisen. Teilweise ist die Kritik berechtigt, etwa, wenn wir von der Griesser AG statt der Griesser Holding AG schreiben. Solche Fehler sind ärgerlich, nur: Eine Relevanz haben sie nicht – denn beide Firmen werden von derselben Person präsidiert.

Ärgerlicher ist es, wenn Fehler unterstellt werden, wo es keine gibt. Zum Beispiel, weil die Akten eine klare Sprache sprechen und die Recherchen für unsere Aussagen mehrere Belege erbracht haben, aber gleichwohl das Gegenteil behauptet wird. Oder wenn versucht wird, uns vorzuschreiben, welcher Sprache wir uns zu bedienen hätten. Oder wenn versucht wird, Einordnungen, die dem gesunden Menschenverstand entsprechen, anzugreifen. Wenn ein Betrieb von über 400 Angestellten sich von 40 Personen trennt, wer wollte dann bestreiten, dass das einen massiven Arbeitsplatzabbau darstellt.

Unsere Linie bleibt indes klar: Wir korrigieren belegbar Falsches – stehen aber zu unseren klaren Rechercheergebnissen, die wir in aufwändiger Kleinarbeit erbracht haben. Und lassen uns nicht auf Einschüchterungen ein.

SLAPPs: Einschüchterung statt Recht

Druckversuche gegen Medien aus dem Justiz-System nehmen zu. Genau hier setzt die aktuelle ZHAW-Studie zu «missbräuchlichen Gerichtsklagen gegen Medienschaffende» an. SLAPP – strategic lawsuits against public participation – meint Klagen, die nicht auf juristischen Erfolg, sondern primär auf Einschüchterung zielen. Die Forschung nennt vier typische Merkmale:

  1. eine deutliche Machtasymmetrie zugunsten der Klageseite
  2. ein taktisches Motiv (Druck statt Recht)
  3. ein Thema von öffentlichem Interesse
  4. eine erkennbar missbräuchliche oder aufgeblasene Klagekonstruktion.
Schweiz: selten vor Gericht, aber mit Wirkung

Die ZHAW hat 342 Chefredaktionen kontaktiert, 142 haben geantwortet. 31 % berichten von Klagen in den letzten drei Jahren. Unter jenen, die betroffen waren, schätzen 71 % die erhaltenen Klagen als «missbräuchlich» ein – insgesamt wurden 24 Fälle gemeldet.

Entscheidend ist der Effekt: Überlastung der Redaktionen, Verteidigungskosten – und der sogenannte chilling effect: Man verzichtet auf Veröffentlichungen oder fährt Recherchen zurück, weil Drohungen Zeit und Geld binden. Besonders gefährdet sind kleine, ressourcenschwache Redaktionen.

Schwache Rechtslage, starker Effekt

Die Studie stellt klar: In der Schweiz fehlt eine gesetzliche SLAPP-Definition. Viele Auseinandersetzungen enden aussergerichtlich – und bleiben damit der Öffentlichkeit verborgen. Umso wirksamer sind Drohbriefe, superprovisorische Begehren und überhöhte Forderungen – als «Pokerspiel», noch bevor überhaupt geklagt wird.

Formell existieren Abwehrmechanismen: Gerichte treten nur ein, wenn Prozessvoraussetzungen wie das Rechtsschutzinteresse (ZPO 59) erfüllt sind; querulatorische oder rechtsmissbräuchliche Eingaben können zurückgewiesen werden (ZPO 132 Abs. 3). Auch die Grundsätze von Treu und Glauben (ZPO 52) sowie das Missbrauchsverbot (ZGB 2 Abs. 2) bieten juristische Hebel. Mehrere befragte Juristen halten diese Werkzeuge für grundsätzlich ausreichend – sehen aber, dass sie in der Praxis oft zurückhaltend angewendet werden.

Brisant: Seit dem 1. Januar 2025 genügt für vorsorgliche Maßnahmen gegen periodische Medien nicht mehr ein «besonders schwerer», sondern lediglich ein «schwerer Nachteil» (ZPO-Revision). Die Studie warnt vor einem missbräuchlichen Einsatz dieser gesenkten Schwelle – mit Risiken für Medienfreiheit und öffentliche Debatte.

Warum das demokratiepolitisch zählt

SLAPPs treffen mitten ins Herz des Journalismus: die Watchdog-Funktion. Wo Aufwand statt Argumente entscheidet, verlieren nicht nur Redaktionen, sondern die gesamte Öffentlichkeit. Vertrauen leidet, investigative Arbeit wird selektiv teurer und riskanter – und in einem konzentrierten Medienmarkt reicht schon Druck auf wenige Player, um Stille zu erzeugen. Das ist keine Panne, sondern eine Gefahr für den deliberativen Kern der Demokratie.

Unsere eigenen Erfahrungen – von gelehrten, aber inhaltlich leeren Drohbriefen bis zu taktisch eingesetzten «Persönlichkeitsrecht-Keulen» – bestätigen das Bild der Studie: Es geht oft nicht um Richtig oder Falsch, sondern um Ressourcen. Deshalb bleiben wir bei drei Prinzipien:

  1. Belegen: Wir dokumentieren sorgfältig.
  2. Einordnen: Wir thematisieren missbräuchliche Taktiken offen.
  3. Standhalten: Wir vernetzen uns – mit Redaktionen, Juristen, Leserinnen und Lesern.

Wir lassen uns nicht einschüchtern – schon deshalb nicht, weil SLAPPs nicht nur Journalisten treffen, sondern die Öffentlichkeit, der wir verpflichtet sind.

Demokratie braucht Kontrolle – nicht Kalkül

Solche Einschüchterungsversuche sind faktisch ein Angriff auf die Öffentlichkeit – und damit auf die Demokratie. Denn wenn Drohkulissen Recherchen verteuern und verlangsamen, verlieren nicht Journalistinnen und Journalisten – sondern die Bürgerinnen und Bürger: weniger Kontrolle, weniger Debatte, weniger Rechenschaft.

Darum bleiben wir bei unseren Grundsätzen: belegen, einordnen, standhalten. Und: Wo berechtigte Einwände bestehen, korrigieren wir – sichtbar und schnell. Wo hingegen nur gedroht wird, ohne zu widerlegen, sagen wir das ebenso sichtbar.

Roger Huber, Chefredaktor

Quellenhinweis:
ZHAW/IAM (Wyss et al., 2024): «Missbräuchliche Gerichtsklagen gegen Schweizer Medienschaffende» – zentrale Begriffe, Befunde und Empfehlungen wurden für diesen Beitrag verwendet.

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