Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG berichtet heute über den Ärger der Zürcher Anwaltschaft mit dem Polizei- und Justizzentrum Zürich PJZ. Konkreter Anlass sind die rigiden Eintrittskontrollen auch für Anwälte. Das Zürcher Verwaltungsgericht stützt indes die Regierung und sieht kein Problem.
Der Verstimmungen zwischen Anwälten und Justizbehörden gibt es viele. Das beginnt damit, dass in gewissen Kantonen Strafverteidigerinnen und -verteidiger keine Pflichtverteidigermandate mehr erhalten, wenn sie sich vehement für ihre Mandanten einsetzen – oder auch nur zu Strategien raten (wie z.B. derjenigen des Beharrlichen Schweigens), die den Strafverfolgern nicht gefallen. Ist das rechtens? Natürlich nicht. Passieren tut es trotzdem. Die Anwälte wie auch ihre Verbände schweigen aber in der Regel lieber, als sich zu wehren. Man will bei der Gegenseite nicht noch mehr untendurch sein.
Ein anderes Kapitel ist das fröhliche Zusammenstreichen von Honorarnoten durch die Gerichte. Kaum ein Anwalt, kaum eine Anwältin, die nicht schon die Erfahrung machen musste, wie ein Gericht die eingereichte Honorarnote nonchalant und teilweise massiv kürzte, ohne sich im Detail mit den (berechtigten) Aufwendungen der Anwälte auseinanderzusetzen.
Wie Katz und Maus – oder einfach ein grosser Kindergarten?
Oder die Aufforderungen, in einem laufenden Verfahren kurzfristig Stellung zu nehmen. Gerne verschickt unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen, um den Anwältinnen und Anwälten damit garantiert die Festtage zu vermiesen. Bis hin zur offenen Aufforderung der Richterin an Mandantinnen und Mandanten, sich doch besser eine andere rechtliche Vertretung zu suchen.
Es ist eine Strategie der kleinen und grossen Nadelstiche, mit welcher die Staatsgewalt es immer wieder schafft, den Anwältinnen und Anwälten zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Und kaum ein Berufskollege oder eine -kollegin, die im vertrauten Gespräch nicht genau solche Müsterchen zu erzählen wissen. Aber klar, ihren Namen zitiert sehen möchten sie meistens nicht. Zu viel steht auf dem Spiel.
Eingangskontrolle bis vor Gericht
Einer, der sich davon nicht beeindrucken lässt, ist der Zürcher Anwalt Stephan Bernard. Bekannt als rigoroser Strafverteidiger, Buchautor und Lehrbeauftragter. Die NZZ (Bezahlschranke) erzählt heute die Geschichte, wie Bernard im Februar 2024 für eine Vernehmung ins Polizei- und Justizzentrum Zürich (PJZ) wollte. Weil er eine Bänderverletzung hatte, verlangten die Polizisten bei der Eingangskontrolle am Ende auch noch, er müsse seinen Gipsverband abnehmen, damit die Sicherheitsbeamten kontrollieren konnten, ob der bekannte Anwalt vielleicht nicht doch unter seiner Metallschiene auch noch ein Messer oder noch Schlimmeres ins Innere des PJZ hätte schmuggeln wollen.
Sieht in den rigorosen Eintrittskontrollen eine Grundrechtsverletzung: Der Zürcher Strafverteidiger Stephan Bernard. (Bild: Homepage Bernard).
Bernard platzte der Kragen, er zog vor das Zürcher Verwaltungsgericht und dort – wie Kollegen finden: nicht ganz unerwartet – den Kürzeren. Das Verwaltungsgericht schreibt laut NZZ in seinem Urteil (das öffentlich nicht zugänglich ist), dass das öffentliche Interesse höher zu gewichten sei als das individuelle «Interesse der Anwältinnen und Anwälte, sich nicht bei jedem Eintritt in das PJZ einer Sicherheitskontrolle unterziehen zu müssen.» Der Eingriff in die Grundrechte der Anwälte sei deshalb zumutbar und insgesamt verhältnismässig.
Argumentation des Verwaltungsgerichts «fragwürdig»
Immerhin, rechtskräftig scheint das Urteil nicht zu sein, und wie die NZZ schreibt, überlegt sich Bernard, die Sache ans Bundesgericht weiterzuziehen. Anknüpfungspunkt könnte die Argumentation des Verwaltungsgerichts sein, das kein Problem darin sah, dass die Angestellten des PJZ, von der Putzfrau über den Kantinenkoch bis zur Transportpolizistin, keinerlei solchen Kontrollen unterworfen sind.
Begründung des Verwaltungsgerichts: Die soziale Kontrolle sei bei ihnen weitaus engmaschiger als bei den Anwälten. Zudem sei es schlicht nicht möglich, ein solch rigides Kontrollsystem auf alle 2000 Beschäftigten auszuweiten. Zweiteres Argument erscheine dem gesunden Menschenverstand durchaus zugänglich, runzelt ein von INSIDE-JUSTIZ befragter Jurist (nicht Anwalt!) die Stirn.
Dem ersten hingegen kann er wenig abgewinnen: «Die soziale Kontrolle erscheint mir als Argument reichlich absurd. Welcher sozialen Kontrolle soll denn eine Putzkraft unterstehen, die am Abend die Räumlichkeiten reinigt, wenn alle gegangen sind?» Ein Blick in die Medienberichterstattung zeigt zudem: Wenn im Justizvollzug unerlaubte Gegenstände gefunden werden und zu Strafverfahren führen, dann sind die Beschuldigten regelmässig Justizvollzugsangestellte. Nicht Anwälte.
Der Ärger ist reihum gross
Derweil ist Rechtsanwalt Bernard nicht der einzige, der sich an dem übertriebenen Sicherheitskonzept stört. Ein ehemaliger Staatsanwalt, der nicht im PJZ selbst arbeitete, aber zu Einvernahmen ins PJZ musste, schüttelt ebenfalls den Kopf über die seiner Ansicht nach völlig übertriebenen Massnahmen. Und nicht nur einmal bekommen wir zu hören, die Zürcher Regierung wolle mit dem strengen Regime wohl überkompensieren, was sie bei der Entsorgung der Festplatten aus den Computern der Staatsanwaltschaft verbockt hatte.
Angie Romero und Philipp Müller, Kantonsräte FDP: Bissen mit ihrer parlamentarischen Anfrage bei der Zürcher Regierung auf Granit. (Bild: Homepage Kantonsrat)
Und auch gegenüber dem Kantonsrat verteidigt die Regierung das Sicherheitskonzept. Die FDP-Kantonsräte Philipp Müller und Angie Romero, beide selbst Rechtsanwälte, hatten mit einer Einfachen Anfrage von der Regierung unter anderem wissen wollen, ob denn Fälle bekannt seien, «in welchen Anwältinnen oder Anwälte Waffen oder unerlaubte Gegenstände an Einvernahmen oder Gerichtsverhandlungen mitführten und so eine Gefahr für das Justizpersonal schufen?» Und ob der Regierungsrat Möglichkeiten sieht, «für verfahrensbeteiligte Anwältinnen und Anwälte mildere Kontrollmassnahmen vorzusehen»? – Insbesondere die Durchsuchung der Taschen fanden die beiden Freisinnigen auch unter dem Aspekt des Anwaltsgeheimnisses problematisch.
Die Regierung geht auf die konkrete Frage der Parlamentarier nicht ein – was damit zusammenhängen dürfte, dass sie die Frage mit «Nein» hätte beantworten müssen. Stattdessen hält sie in ihrer öffentlich zugänglichen Antwort fest: «Die Gefahr von gewaltsamen Repressalien gegen diesen Teil des Staatsapparates ist real, wie gerade in der Stadt Zürich verschiedene Ausschreitungen gegen die Polizeikräfte zeigen.» Nur fanden die Randale gegen die Polizei weder in deren Gebäuden statt. Noch wurden je Berichte bekannt, dass derlei Übergriffe auf die Polizei von Dolmetschern, Strafverteidigern oder Staatsanwälten verübt worden wären, die in der Strafverfolgung tätig sind.
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Wer amerikanische Anwaltsserien liebt, weiss: Vor den Gebäuden der US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden gibt es kein Pardon. Dort legen Harvey Specter und Mike Ross mit einer Selbstverständlichkeit Gürtel, Uhr und Aktenkoffer unters Röngtengerät, gehen durch den Metallbogen und lassen sich abtasten.
Seit die Zürcher Behörden mit dem PJZ einen auf Hollywood machen und in der überschaubaren Schweiz Saiten aufzogen wie in New York City, ist die Anwaltschaft verschnupft. Und wenn ihr der Regierungsrat dann noch ins Stammbuch schreibt, die Beeinträchtigung durch die Kontrollen sei schliesslich «marginal», giesst er definitiv noch Öl ins Feuer.
Dabei herrschen am PJZ andere Zustände, die unter rechtsstaatlichen Aspekten schwerer wiegen. Beispielsweise, dass in der Zürcher Justizzentrale die Aufsichtsbehörden über die Justizorgane mit ebendiesen in derselben Kantine zu Tische sitzen. Und die Staatsanwältin dem Zwangsmassnahmenrichter das Gesuch auf Untersuchungshaft quasi in den Hausschuhen im Büro vorbeibringen oder es ihm gleich beim Kaffeeklatsch übergeben kann. Kein Wunder, herrscht der Eindruck der Klüngelei. Das Zürcher Modell ist auf jeden Fall ein Albtraum für jeden aufrechten Vertreter einer rechtsstaatlichen Gewaltenteilung.
Aber zurück zur verunglückten Sicherheitskontrolle: Zu hoffen ist, dass am Ende die Beschuldigten von dem strikten Regime profitieren. Nach der Maxime, dass ein Strafverteidiger, dessen Nerven bei der Eingangskontrolle schon maximal strapaziert werden, in der anschliessenden Einvernahme derart «geladen» ist, dass er mit der gleichen Pinggeligkeit auf einer überkorrekten Verfahrensführung beharrt. Dann hätten die nervigen Kontrollen wenigstens noch einen rechtsstaatlichen Nutzen.
Bildnachweis Titelbild: Kantonspolizei Zürich
Viel Ärger um das PJZ
Das Polizei- und Justizzentrum Zürich PJZ gilt als DAS Prestigeprojekt der Zürcher Rechtspflege. Es wurde am 22. Oktober 2022 eingeweiht und kostete sagenhafte CHF 760 Mio. Die Inbetriebnahme erfolgte gestaffelt. Mitte Januar 2022 zügelte die Kantonspolizei vom Kasernenareal ins PJZ, die weiteren Nutzer folgten bis zum Oktober. Heute befinden sich in dem Gebäude nebst der Kantonspolizei das Bezirksgefängnis Zürich II, das Bezirksgericht, die Staatsanwaltschaft, das forensische Institut, die Polizeischule und das Zwangsmassnahmengericht.
Das Projekt kam zwei Mal vors Volk, zum ersten Mal 2003. Weil verschiedene Parteien anschliessend die finanziellen Mittel nicht freigeben wollten, wurde eine zweite Volksabstimmung nötig, die im September 2011 grünes Licht gab für die Umsetzung des Neubaus. Das Gebäude ist 280 Meter lang, 190 Meter und bis zu 35 Meter hoch. Es umfasst sechs Stockwerke.
Seit jeher ranken sich Skandale und Kritik um das PJZ. Im April 2023 musste die Regierungs beispielsweise bekannt geben, dass es für den Betrieb des Gefängnisses massiv mehr Personal brauche als budgetiert. INSIDE JUSTIZ berichtete. Wenig später kritisierte die kantonale Datenschutzbeauftragte Dominika Blonski den Umgang mit Personendaten im PJZ. Es entbrannte ein öffentlich geführter Streit mit Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP).
Bereits 2022 kritisierten Anwälte in der Fachzeitschrift PLÄDOYER (Bezahlschranke) die «einschüchternden Einvernahmezimmer», die Personenkontrollen und die fehlende instituationalisierte Gewaltenteilung, indem Richter und Staatsanwälte in der gleichen Cafeteria ihren Kaffee schlürfen und Süssigkeiten geniessen dürfen, währenddem den Anwälten der Zugang zu dem Restaurant verwehrt bleibe.
Und schon während der Projektierungsphase hatte der Kanton im Jahr 2014 plötzlich festgestellt, dass er noch einmal über die Bücher müsse, weil das geplante Zentrum viel zu klein sei für alle Bereiche, die darin unterkommen sollten.