Der nackte Mann – ein ehemaliger Staatsanwalt steht vor Gericht

Vertauschte Rollen. In St. Gallen steht am Dienstag, 06. Juni 23, ein ehemaliger Staatsanwalt und heute praktizierender Rechtsanwalt wegen mehrfacher Ausnützung einer Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB) und Tierquälerei (Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG) vor dem Kreisgericht St. Gallen.

Was im Amtsdeutsch etwas hölzern klingt, ist eine kuriose Geschichte, wenn sie sich so zugetragen hat, wie es die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen in der Anklageschrift behauptet. Selbstverständlich gilt für den beschuldigten Rechtsanwalt die Unschuldsvermutung. Die Vorwürfe, für die die Staatsanwaltschaft eine auffallend hohe Freiheitsstrafe von 14 Monaten fordert, zeigen einen Anwalt, der irgendwie den Boden unter seinen Füssen verloren hat. Früher war der angeklagte Rechtsanwalt ein gefürchteter Rechts- und Ordnungspolitiker, der Angeklagte gerne mit harten Worten zurechtstutzte. Später ein Anwalt, zu dessen Klientel auch namhafte Vertreter der katholischen Kirche gehören und der Verbandspräsident einer Polizei ist. Ihm wird Scheinheiligkeit und Heuchelei unterstellt. Gerne – und das wird von Kritikern von Staatsanwaltschaften und den Kirchen oft vorgeworfen: zeigt man mit dem Zeigefinger auf andere und siehe da, selbst ist man in seinem Verhalten oft auch nicht «sauber». Pech, wenn man erwischt wird und die ganze Geschichte an die Öffentlichkeit kommt.

Blumige Anklage

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist auffallend blumig und ausschweifend formuliert und erzählt, wie sich zwei benachbarte Hundebesitzer, der 57jährige Rechtsanwalt und die rund 20 Jahre jüngere Künstlerin, kennen und schätzen gelernt haben. Offenbar waren beide dem Thema «Nudismus und Nacktwandern» zugetan. Aus der Wanderbekanntschaft wurde im Sommer 2020 zuerst eine Ferienvertretung und dann ein 60%-Arbeitsverhältnis. Die junge Frau arbeitete in der Anwaltskanzlei des gut vernetzten St. Galler Anwalts.

Gemäss Anklageschrift soll sich der ehemalige Staatsanwalt gegenüber seiner Angestellten im Büro mehrmals nackt (aber immer in Socken) gezeigt haben. So sollen Fallbesprechungen im Beisein der Mitarbeiterin nackt durchgeführt worden sein. Dabei soll der Anwalt seinen Penis mit der Hand berührt und Blickkontakt mit der Mitarbeiterin gesucht haben. Mindestens einmal soll sich der Anwalt im Nebenzimmer auffällig durch lautes Stöhnen selbst befriedigt haben.

Tierquälerei

Als der – wieder mal nackte Rechtsanwalt – beim Waschbecken stand, sprang der Hund des Anwalts in das Büro und ging auf den nackten Rechtsanwalt zu und schleckte die Genitalien ab, was ihm anscheinend peinlich war. Die Mitarbeiterin beobachtet diesen Vorgang und empfand ihn als abstossend. Im März 2021 kündigte die junge Frau das Arbeitsverhältnis und verliess den Arbeitsplatz.

Die Geschichte an sich ist «gruselig» und man schüttelt den Kopf. Allerdings fragt man sich, warum sich das vermeintliche Opfer nicht gegen die unerwünschte Zurschaustellung des Anwalts im Adamskostüm wehren konnte. Sie selbst ist laut Sachverhaltsdarstellung der Nacktheit gegenüber aufgeschlossen. Von inside-justiz.ch kontaktiert, erklärte der Rechtsanwalt, dass seine Entblössung immer mit Zustimmung seiner Sekretärin erfolgt sei. Zudem erklärte er, dass schon vor der Anstellung in seinem Büro, es zu Entkleidungen gekommen sei. So habe die Sekretärin sich bei einem gemeinsamen Hunde-Spaziergang an einem Waldrand sich aller Kleider entledigt. So bleiben erhebliche gewisse Zweifel an der Geschichte des Opfers, das auf Kosten des Anwalts auch noch Schadenersatz und Genugtuung erstreiten will.

Erstaunlich bleibt auch, dass die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Berufskollegen mit einer eher überzogenen Strafe von 14 Monaten Gefängnis bestrafen will. Der Staatsanwaltschaft muss klar sein, dass ein rechtskräftiges Urteil gegen den Angeklagten auch ein Nachspiel durch die Anwaltskammer haben wird. Dieser würde voraussichtlich sein Anwaltspatent verlieren, was als Verwaltungssanktion zwar keinen Strafcharakter im Sinne der EMRK hat, aber dennoch eine harte Sanktion und eine existenzielle Bedrohung für den betroffenen Anwalt darstellt. Ob es sich dabei um eine interne Abrechnung von Staatsanwälten mit ehemaligen Berufskollegen handelt, kann nicht abschliessend beurteilt werden.

Zurück bleiben nur Verlierer. Der bekannte St. Galler Anwalt, der sein Leben lang als Nudist und Tierquäler gebrandmarkt sein wird, die Künstlerin, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt oder gar traumatisiert zu sein scheint, und schliesslich der Hund, der kaum eine Erziehung genossen hat und zahlreiche Tierschützer auf den Plan rief.

Die Tatbestände, die dem Rechtsanwalt vorgeworfen werden lauten:

Mehrfache Ausnützung der Notlage nach Art. 193 Abs. 1 StGB («Sitzung mit Masturbationsbewegungen», «Sitzung mit anschliessendem Stöhnen im Büro», «Sitzung mit anschliessendem Schlecken durch Hund, Weitere Vorfälle betr. «nackte Sitzungen).

  • Tierquälerei nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 lit. j TSchV («Sitzung mit anschliessendem Schlecken durch Jamie»)

Die Geschichte zeigt, dass ein bekannter Anwalt gesellschaftliche Normen nicht mehr einhalten wollte und damit den Boden unter den Füssen verloren hat. Und die forsche Staatsanwältin Carmen Zaugg ihm – dem nun sozial Geächteten – mit einem harten Urteil den Rest geben will. Man darf auf das Urteil des Kreisgerichts St. Gallen unter der Leitung von Richter René Suhner (CVP) gespannt sein.

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