Nachsteuern – Eine sehr teure Autonummer

Das Bundesgericht hat dieser Tage in dreiköpfiger Besetzung einen bemerkenswerten Entscheid zum Nachsteuerverfahren (Art. 151 DBG) gefällt, der in der Steuerrechtsbranche einmal mehr für grossen Unmut sorgen wird. (BGE 9C_5/2023). Aus dem Sachverhalt geht hervor, dass ein Aktionär ein Autokennzeichen für CHF 160’100 ersteigert und dieses anschliessend für CHF 165’100 in die von ihm beherrschte Gesellschaft eingebracht hat.

Motivation für den Erwerb des Autokennzeichens war gemäss Ziff. 4.3.2 des Urteils eine Protestaktion, was auf eine spannende Auseinandersetzung im Kanton Wallis schliessen lässt: «Gemäss eigener Darstellung ersteigerte der Beschwerdeführer das Kennzeichen „F.________“ 2017 für Fr. 160’100.- und montierte es in der Folge an einem 5 m hohen, weithin sichtbaren Stahlgerüst in U.________, welches er eigens zu diesem Zweck hatte erstellen lassen. Damit wollte er, wiederum gemäss eigener Angabe, gegen die Erteilung einer Baubewilligung für die Erstellung eines Salzdepots auf einer an das Betriebsgelände der C.________ angrenzenden Parzelle protestieren, weil die Errichtung des Salzdepots die betriebliche Tätigkeit der C.________ eingeschränkt bzw. sogar verunmöglicht hätte. Diese Protestaktion, über welche die regionale Presse (G.________) ausführlich berichtet habe, sei schliesslich auch von Erfolg gekrönt gewesen, indem der Kanton sich für einen anderen Standort für das Salzdepot entschieden habe.“

Ausserordentlichen Aufwand

Laut Blick handelt es sich um den Unternehmer Otto Ruppen, der das Kennzeichen «VS 1» ersteigerte. Das so für den Prozess verwendete teure Autokennzeichen wurde in der Folge an die B. Holding AG übertragen, welche ihrerseits zu 100 % Eigentümerin der im Zentrum der Protestaktion stehenden Gesellschaft C. ist. Steuerrechtlich interessant wird der Sachverhalt gemäss E. 3.1: „Mit Bezug auf den Sachverhalt, welcher Anlass für den vorliegenden Streit bildet, ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer im Frühjahr 2017 das Kennzeichen „F.________“ für Fr. 160’100.- erworben und an die von ihm indirekt – via die B.________ Holding AG – beherrschte B.________ AG zum Preis von Fr. 165’100.- veräussert hat. Die B.________ AG aktivierte das Kennzeichen in ihrer Buchhaltung nicht, sondern verbuchte den von ihr bezahlten Kaufpreis als ausserordentlichen Aufwand. Dieser Aufwand wurde in den Veranlagungen der B.________ AG als geschäftsmässig begründet akzeptiert und es wurde auch keine Verrechnungssteuer erhoben. „

«4.3.1. Die Vorinstanz hat mit Bezug auf den streitigen geldwerten Vorteil festgestellt, dass die Steuerverwaltung erst im Zusammenhang mit zusätzlichen Abklärungen im Rahmen der Buchprüfung der C.________ im Sommer 2020 zu der Information gelangt sei, dass das Autokennzeichen „F.________“ im Jahr 2017 vom Beschwerdeführer für Fr. 165’100.- an die B.________ AG verkauft worden sei. Somit stelle dieser Verkauf eine neue Tatsache dar, welche der Steuerbehörde zum Zeitpunkt der Veranlagung nicht bekannt gewesen sei.»

Nach Art. 151 DBG gilt, was das Bundesgericht korrekt ausführt: «Ergibt sich aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, oder ist eine unterbliebene oder unvollständige Veranlagung auf ein Verbrechen oder ein Vergehen gegen die Steuerbehörde zurückzuführen, so wird die nicht erhobene Steuer samt Zins als Nachsteuer eingefordert (Art. 151 Abs. 1 DBG). Hat der Steuerpflichtige Einkommen, Vermögen, Reingewinn oder Eigenkapital in seiner Steuererklärung vollständig und genau angegeben und haben die Steuerbehörden die Bewertung anerkannt, kann keine Nachsteuer erhoben werden, selbst wenn die Bewertung ungenügend war (Art. 151 Abs. 2 DBG).»  

Richtig deklariert und verbucht

Der Steuerpflichtige hat also eigentlich alles richtig deklariert und verbucht.  Dennoch wird aufgrund einer amtlichen Buchprüfung im Jahr 2020 ein Nachsteuerverfahren eröffnet. Entgegen der Annahme des Bundesgerichts wirft das Ganze erhebliche Fragen auf. Die Verbuchung im Jahr 2017 eines Autokennzeichens im Wert von CHF 165’100.00 als Aufwand fällt jedem Buchhalter leicht auf. Auch wenn im Sachverhalt nichts dazu geschrieben steht, kann davon ausgegangen werden, dass in einem Unternehmen nicht jedes Jahr Buchungen in dieser Höhe vorgenommen werden! Der veranlagende Steuerkommissär hätte den hohen Einbuchungswert in der Steuerperiode 2017 zwingend erkennen müssen.

Das Bundesgericht führt in E. 4.2.2 zu Recht aus, dass erkennbare «Mängel» nicht zu einer Nachbesteuerung führen dürfen. «Nur solche augenfälligen Mängel begründen eine Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht und bewirken, dass keine „neue Tatsachen“ im Sinne von Art. 151 Abs. 1 DBG vorliegen, die ein Nachsteuerverfahren rechtfertigen würden. Es braucht also eine in die Augen springende Falschdeklaration seitens der Pflichtigen, welche die Steuerbehörde bei gehöriger Sorgfalt schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren zu zusätzlichen Abklärungen hätte veranlassen müssen. Es handelt sich um Fehler, deren Nichtbeachtung eine grobe Missachtung der Untersuchungspflicht durch die Steuerbehörde darstellt, was den Kausalzusammenhang zwischen der fehlerhaften Deklaration und der ungenügenden Veranlagung unterbricht. Das ist der Fall, wenn die Steuerbehörden in voller Kenntnis von Ungereimtheiten davon abgesehen haben, zusätzliche Abklärungen zu treffen; dann können sie keine Nachsteuer mehr erheben, wenn sie nachträglich bessere Kenntnis von diesem Umstand erhalten.»

Seltsam und realitätsfremd

Das Bundesgericht geht nun aber davon aus, dass der Steuerkommissär dem Buchungsvorgang von CHF 165’100.00 keine Bedeutung beimessen musste. Das mutet seltsam und realitätsfremd an. Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, aber eines ist klar: Die Verbuchung erfolgte zu Lasten eines Kontos des «übrigen Betriebsaufwandes». In dieser Kontenklasse fallen solche Buchungen dem fachkundigen Betrachter zwangsläufig auf! Insofern hat das Bundesgericht einmal mehr wohlwollend zu Gunsten der Steuerbehörde beide Augen zugedrückt, um das Nachsteuerverfahren zu legitimieren.

Von einer «nicht bekannten Tatsache», die für die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens erforderlich ist, kann hier entgegen der subjektiven Auffassung des Bundesgerichts nicht gesprochen werden. Es erscheint daher höchst fraglich, ob das Nachsteuerverfahren überhaupt zu Recht eingeleitet wurde. Da die Gesellschaft den Buchungsvorgang korrekt vorgenommen hat, handelt es sich ohne weiteres um eine reine Bewertungsfrage, welche nach Art. 151 Abs. 2 DBG gerade kein Nachsteuerverfahren rechtfertigt. Im Nachsteuerverfahren selbst schützt das Bundesgericht die Annahme einer geldwerten Leistung, weil das tiefe Autokennzeichen keine geschäftsmässige Veranlassung habe. Ziemlich cool weisen die obersten Richter salopp darauf hin, dass das Nummernschild für die Gesellschaft «wertlos» sei.

Fragwürdig bleibt übrigens auch der Hinweis des Bundesgerichts in Ziffer 3.1, dass keine Verrechnungssteuer erhoben worden sei. Dieser Hinweis ist wohl eher als Hinweis an die ESTV zu verstehen. Gemäss Art. 11 und 12 VStrR verjährt die Verrechnungssteuerforderung erst nach sieben Jahren – also 2024! Die steuerpflichtige Gesellschaft darf sich also noch auf unangenehme Post aus Bern freuen, denn auf den CHF 165’100.00 werden 35%, also CHF 57’785.00 zuzüglich 5.0% Verzugszins ab 31.01.2018 erhoben. Der Verzugszins beträgt heute bereits CHF 17’897.30!

Kosten des Verfahrens

Die Kantonale Steuerrekurskommission Wallis (einzige kantonale Gerichtsinstanz) dürfte CHF 3’000.00 in Rechnung gestellt haben. Das Bundesgericht fakturiert seine «Leistung» mit CHF 4’000.00. Hinzu kommen die Parteikosten zur Wahrung der Rechte des Steuerpflichtigen von geschätzten CHF 6’000.00. Der mühsame und letztlich verlorene Kampf durch alle Instanzen dürfte den Steuerpflichtigen somit rund CHF 13’000.00 gekostet haben.

Es zeigt sich einmal mehr, dass der Steuerpflichtige im Kampf um Gerechtigkeit und ein faires Verfahren oft den Kürzeren zieht. Hinzu kommen hier, allerdings auf Stufe der betroffenen Gesellschaft, die drakonischen Folgen der Verrechnungssteuer von CHF 57’785.00, zuzüglich Verzugszins von 5% seit 31. Januar 2018, was aus heutiger Sicht bereits CHF 17’897.30 (!) ausmacht und jeden Tag weitere CHF 8.03 hinzukommen… Der Verzugszins erweist sich damit einmal mehr als eigentliche Gelddruckmaschine der ESTV! Alles in allem sind dies bedenkliche Entwicklungen an der Steuerfront, die bei den Betroffenen kaum auf Verständnis stossen.

Fazit

Das Urteil 9C_5/2023 führt dazu, dass es kaum mehr Fallkonstellationen geben wird, in denen die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens ausgeschlossen ist. Es ist daher zu erwarten, dass die kantonalen Steuerverwaltungen in künftigen Verfahren noch ungehemmter Nachsteuerverfahren zu Lasten der Betroffenen einleiten werden. Steuergerechtigkeit findet nicht mehr statt. Forderungen wie Waffengleichheit und faires Verfahren bleiben vor Bundesgericht immer öfter auf der Strecke. Die obersten Richter sind auffallend bemüht, der Staatsräson gerecht zu werden. Auf der Strecke bleiben Fairness und Verständlichkeit der Urteile. Das Bundesgericht sollte aufpassen, dass es den Respekt der Rechtssuchenden mit ihrer rigiden Praxis nicht vollends verspielt.

Das RICHTER-Gremium

Das Bundesgericht nennt die urteilenden Richterinnen und Richter sowie die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber immer nur mit dem Familiennamen. Inside Justiz ist der Ansicht, dass die Richterinnen und Richter sowie die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber mit vollem Namen genannt werden sollten.

Steuerrechtsfälle haben vor Bundesgericht traditionell einen schweren Stand, wenn die Beschwerdeführer die Steuerpflichtigen sind. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Beschwerden wird gutgeheissen, wobei viele Beschwerdeführer bereits an den strengen Formvorschriften des Bundesgerichts scheitern. Solche Fälle werden vom Gerichtspräsidenten zusammen mit einem Gerichtsschreiber/einer Gerichtsschreiberin durch Nichteintreten erledigt. Ist hingegen ein kantonales Steueramt oder die ESTV Beschwerdeführerin, so fällt die wohlwollende Haltung des Bundesgerichts auf. Die Erfolgsquote von Beschwerden mit einer Steuerbehörde als Beschwerdeführerin ist signifikant höher.

Bundesrichter Francesco Parrino (SP) (Bild Links) wurde 2013 als SP-Kandidat gewählt. Er war zuvor Präsident der Kammer für Sozialversicherung und Gesundheit des Bundesverwaltungsgerichts. Er setzte sich in einer Kampfwahl gegen den FDP-Kandidaten Luca Grisanti durch.

Michael Beusch (SP) (Bild Mitte) sorgte mit einem Etappensieg für den Milliardär Urs Schwarzenbach vor dem Bundesverwaltungsgericht für Aufsehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zwangsversteigerung von 114 Kunstwerken von Urs Schwarzenbach in letzter Minute gestoppt.

Nebenamtlicher Bundesrichter Markus Berger (Bild rechts). Dr. Berger ist nebenamtlicher Richter am Schweizerischen Bundesgericht (II. und III. öffentlich-rechtliche Abteilung), Co-Autor des Kommentars zum Aargauer Steuergesetz und Autor von Publikationen in Fachzeitschriften. (https://steuerkanzlei-berger.ch/)

Gerichtsschreiberin Isabelle Rupf (unten) MLaw, Rechtsanwältin, dipl. Steuerexpertin. Rupf hat an der Universität St. Gallen (HSG) ein Doppelstudium in Wirtschaftswissenschaften und Law & Economics absolviert. Ihr Schwerpunkt liegt im internationalen Steuerrecht, Unternehmenssteuerrecht und Individualsteuerrecht. Vor ihrer eigentlichen Tätigkeit begleitete Isabelle N. Rupf ihre Mandanten in Verfahren vor Behörden und Gerichten. 

One thought on “Nachsteuern – Eine sehr teure Autonummer

  1. Was mir bei Inside Justiz immer wieder auffällt: Man scheint nicht zu wissen, wie hoch die Parteikosten tatsächlich sind. Bei diesem Verfahren liegt man mit 6’000 Franken deutlich daneben, es sei denn, Rechtsanwalt Robert Hadorn habe halb gratis gearbeitet, was dumm wäre.

    Wenn Rechtsanwalt Robert Hadorn günstig arbeiten würde, was er hoffentlich nicht muss, wären 6’000 Franken mit Auslagen und Mehrwertsteuer nur etwa 15 Stunden an Arbeit. 15 Stunden pro Instanz wäre immer noch ein guter Wert für einen erfahrenen und fachkompetenten Rechtsanwalt.

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