Ex-Verwaltungsrichter verurteilt, Strafe lediglich bedingt

 Dieses Urteil wird noch viel zu reden geben: Das Regionalgericht Plessur spricht den Bünder Ex-Verwaltungsrichter der Vergewaltigung, der mehrfachen tätlichen sexuellen Belästigung und der mehrfachen Drohung schuldig. Er erhält dafür eine bedingte Freiheitsstrafe von 23 Monaten und eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 90 Franken. Tatsächlich bezahlen muss er lediglich eine Busse von CHF 2’300 Franken.

 

Das Gericht sah es gemäss dem Urteil also als erwiesen an, dass der ehemalige Richter am Verwaltungsgericht Chur am Abend des 13. Dezember 2021 die damalige Gerichtspraktikantin in seinem Büro gegen ihren Willen festhielt, gegen eine Wand (oder Türe) drückte und in sie eindrang. «Die Aussagen des Opfers seien glaubhaft gewesen» zitiert heute morgen der TAGES-ANZEIGER eine Medienmitteilung des Gerichts, die INSIDE JUSTIZ und offenbar auch anderen Medien bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorliegt. Der BLICK zitiert aus der Medienmitteilung, «demgegenüber vermochten die Darlegungen des Beschuldigten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht zu entkräften».

Der angeklagte Ex-Richter hatte die Vergewaltigung abgestritten und einzig einvernehmliche sexuelle Handlungen mit der ehemaligen Praktikantin eingeräumt. Die Verteidigung hatte deshalb einen Freispruch verlangt.

Keine sexuelle Belästigung in den Chatnachrichten

Freigesprochen wurde der Abgeklagte von den drei Richtern Bettina Flütsch, Paul Schwendener und Helmi Saluz vom Vorwurf, die ehemalige Gerichtspraktikantin mehrfach schriftlich sexuell belästigt zu haben. Das Gericht hat in den schlüpfrigen Chat-Nachrichten des Vorgesetzten offenbar keinen Vorsatz erkannt und spricht ihn in diesem Punkt «in dubio pro reo» frei, schreibt der TAGES-ANZEIGER. Dabei ist insbesondere die Begründung bemerkenswert: Die Verteidigung hatte dazu argumentiert, ein Grossteil der Nachrichten seien einerseits verjährt, da bereits vor mehr als drei Jahren geschrieben worden. Zudem seien sie auch nicht derart derb oder vulgär ausgefallen, dass sie auch im strafrechtlichen Sinne als sexuelle Belästigung zu werten seien.

Sexuelle Belästigungen verjährt

Gemäss Berichterstattung von BLICK.CH hat das Gericht nun tatsächlich etliche der Tatbestände als verjährt eingestellt. – Das stellt insbesondere für die Staatsanwaltschaft Graubünden eine Schlappe dar, die sich den Vorwurf gefallen lassen muss, das Verfahren so lange verschleppt zu haben, bis einzelne Delikte in die Verjährung liefen. Problematisch ist die Argumentation aber auch für das Regionalgericht Plessur selbst, dem die Anklageschrift schon seit Monaten vorlag. Hätte es die Hautpverhandlung früher angesetzt – beispielsweise Ende August -, wären alle diese Tatbestände noch nicht verjährt gewesen. Der Vorgang wirft erneut die Frage auf, ob die Bündner Justizbehörden ihrer Aufgabe gewachsen sind – insbesondere, wenn es gilt, ein mutmassliches Verbrechen eines «Eigenen», sprich, eines Mitglieds der eigenen Justizbehörden, aufzuklären und zu beurteilen.

Fragen zum Strafmass

Diese Frage stellt sich erst recht beim Strafmass. Die ausgefällten 23 Monate liegen sieben Monate unter dem, was die Staatsanwaltschaft für den Ex-Verwaltungsrichter beantragt hatte. Und sie liegen knapp unter der Grenze, ab welcher der Täter die Freiheitsstrafe tatsächlich absitzen muss. Dass ein verurteilter Vergewaltiger, der wie vorliegend sein Opfer festgehalten und unter Zwang in die Frau eingedrungen ist, nicht ins Gefängnis gehen muss, sondern lediglich mit einer Bewährungsstrafe davonkommen soll, dürfte eine landesweite Diskussion auslösen und die bereits länger anhaltende Debatte über das angemessene Strafmass bei diesen Straftatbeständen weiter befeuern.

Das Strafmass des Regionalgerichts Plessur liegt auf jeden Fall klar unter dem, was Gerichte in vergleichbaren Fällen als Strafe aussprechen. Die Richter Flütsch, Saluz und  Schwendener werden sich deshalb wohl der Kritik stellen müssen, hier einem Richterkollegen widerrechtlich einen «Strafrabatt» gewährt zu haben. Und das in einer Situation, in welcher das Verhalten insbesondere von Richter Saluz bei er Befragung des Opfers bereits unmittelbar nach der Verhandlung zu einer Demonstration in Chur und Protesten von anderen Juristinnen und Juristen geführt hatten. Saluz hatte vom Opfer wissen wollen, warum sie nicht einfach die Beine zusammengepresst habe, denn «seiner Erfahrung nach» wäre es dann für den Täter nicht mehr möglich gewesen, in sie einzudringen.

Detaillierte Urteilsbegründung folgt erst noch

Mit grosser Spannung wird man deshalb auf die detaillierte Urteilsbegründung schauen. Eine solche hat das Gericht nämlich aufgrund der Schweizerischen Strafprozessordnung noch nicht ausgefällt. – Gemäss dem eidgenössischen Strafrecht muss ein Gericht seinen Entscheid erst schriftlich begründen, wenn eine der Parteien gegen das Urteil bei der nächsthöheren Instanz Berufung einreicht oder eine ausführliche Urteilsbegrüdung explizit verlangt. Das Urteil kann sowohl vom verurteilten Richter, von der Staatsanwaltschaft als auch von den Privatklägern (der ehemaligen Praktikantin und ihrem Freund) weitergezogen werden.

Staatsanwaltschaft will Urteil studieren

Die Bündner Staatsanwaltschaft schreibt INSIDE-JUSTIZ auf Anfrage: «Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat das Urteil zur Kenntnis genommen. Mit diesem Urteilsspruch ist das Gericht der Argumentation und den Anträgen der Staatsanwaltschaft weitgehend gefolgt. Wir werden den Entscheid prüfen und in den nächsten Tagen über das weitere Vorgehen entscheiden. Im Anschluss wird die schriftliche Begründung des Urteils abzuwarten sein.»

Die Anwältin der Geschädigten, Silvia Däppen, teilt auf Anfrage mit, sie gebe keine Interviews und wolle auch das Urteil nicht kommentieren. Tanja Knodel, die Anwältin des ehemaligen Verwaltungsrichters, wird die Berufung einreichen und dann das ausformulierte Urteil genau prüfen und analysieren. „Dann werden wir besprechen, ob wir das Urteil anfechten und ob der Mandant noch die Kraft hat, ein weiteres schwieriges Verfahren durchzustehen.“

Auf die Frage, warum das Gericht dem angeblichen Opfer mehr geglaubt habe, erklärte die Zürcher Juristin, in der Medienmitteilung des Gerichts stehe, dass der Angeklagte die Vorwürfe nicht habe entkräften können, was eigentlich eine unzulässige Umkehr der Beweislast sei. Auf die Frage, ob das siebenstündige Plädoyer vor Gericht wirklich nötig gewesen sei, erklärt die Juristin, die den Angeklagten zusammen mit einem Kollegen aus Chur verteidigt hat, dass es sehr viele Widersprüche in der Beweisführung gegeben habe und diese vor Gericht aufgezeigt werden mussten. Auch damit dies in einem späteren Verfahren nicht zum Vorwurf wird.

Auf die umstrittene Frage des Richters Saluz, der die Frage nach den zusammengepressten Beinen stellte, antwortet Knobel, dass diese Frage durchaus wichtig sei und gestellt werden müsse. Warum? Weil es in diesem Verfahren nicht um das neue Sexualstrafrecht mit «nein heisst nein», sondern um die altrechtliche Frage geht: Ist es sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung? Dass diese Frage des Richters sogar zu einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude während der Urteilsberatung führte, empfand die Anwältin zu diesem Zeitpunkt als «äusserst heikel».

Ob der nun erstinstanzlich verurteilte ehemalige Richter seine Anwaltspatent behalten und weiterhin als Anwalt in seiner Kanzlei tätig sein wird, konnte Knodel keine Antwort geben. „Wir haben uns auf den Prozess konzentriert. Das waren keine Fragen, die uns jetzt beschäftigten.“

 

Für den verurteilten Richter gilt bis zum Eintreten der Rechtskraft des Urteils die Unschuldsvermutung.

2 thoughts on “Ex-Verwaltungsrichter verurteilt, Strafe lediglich bedingt

  1. Dieses Urteil ist ganz klar rechtswidrig, weil es den Ermessensspielraum des Gerichts massiv übersteigt u dadurch Befangenheit der RichterInnen im Verdacht steht. Das ist unrechtsstaatlich, undemokratisch u moralisch äusserst verwerflich. Es zeigt, dass sich im Kanton GR nach wie vor faschistoide Tendenzen breit machen wegen der SVP-Dominanz. Das stellte sich schon durch mehrere Korruptionsskandale von illegalen Kartellen heraus,  schwärzeste Kuhschweiz eben. Eben erst haben die ebenfalls extremrechtsbürgerlich u faschistoid dominierten eidg. Räte nach viel zu langen Diskussionsrunden entschieden, dass ‚Nein heisst Nein‘ im Sexualstrafrecht gilt. Aber bei den hinterwäldlerischen  Bündnern scheint das noch nicht angekommen zu sein. Es ist für mich unfassbar, dass eine Frau als Richterin noch heute, im Zeitalter der ‚Me too‘-Bewegung, zu einem solchen Urteil gelangt. Es ist ein Hohn für alle Frauen und eine Schande für die Schweiz, dass sie solches noch zulässt u damit zeigt, dass die Kuhschweiz immer noch vorherrscht. Muuuhhh!!!

  2. Danke für die Berichterstattung hier. Ich finde dieses Urteil sowie auch die Frage des Nebenrichters an das Opfer und auch die Ausführungen der Verteidigung einfach unterirdisch.

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