Am 7. März 2021 nahm die Stimmbevölkerung mit 51 Prozent die Initiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ an. Der Bundesrat hat diese Woche verkündet, dass die daraus resultierende Verordnung ab 2025 bundesweit gilt. Über ein Gesetz, das wenig bringt und vor allem eins ist: Kulturkampf.
Der Abstimmungskampf im Frühjahr 2021 war emotionsgeladen. Die Initiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ sorgte im In- und Ausland für Debatten. Das „Egerkinger Komitee“, ein vor allem aus SVP-Vertretern bestehender Verein, der die christlichen, abendländischen Werte vor dem angeblich sich immer stärker ausbreitenden politischen Islam schützen will, hatte die Initiative eingereicht. Die Abstimmungsplakate warnten eindringlich vor Burka tragenden Frauen, Linksautonomen und Fussball-Hooligans. Am Ende gewann man damit die Abstimmung ganz knapp mit 51.21 Prozent.
Die Initiative soll den Artikel 10 a der Bundesverfassung ‚Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts’ wie folgt verändern:
1 Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden; das Verbot gilt nicht für Sakralstätten.
2 Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.
3 Das Gesetz sieht Ausnahmen vor. Diese umfassen ausschliesslich Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums.
Menschenrechtsbüro der UNO meldet sich
Kurz nach Annahme der Initiative meldete sich die Sprecherin des UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte. Ravina Shamsadani sagte dabei: „Die Schweiz gehört jetzt zu einer kleinen Zahl von Ländern, in denen die aktive Diskriminierung von Musliminnen rechtens ist. Das ist sehr bedauerlich.“ Die Abstimmungskampagne sei mit deutlich fremdenfeindlichen Untertönen geführt worden. Ähnliche Verbote gibt es in Frankreich, Österreich und anderen Ländern. Frauen dürften nicht gezwungen werden, ihr Gesicht zu verschleiern, sagte Shamdasani. Gleichzeitig schränke ein gesetzliches Verbot von Gesichtsverschleierungen die Freiheit der Frauen, ihren Glauben zu bekunden, über Gebühr ein. So eine Einschränkung sei nur möglich, um die öffentliche Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit oder fundamentale Rechte anderer zu schützen. „Vage Rechtfertigungen, dass Gesichtsverhüllungen eine Bedrohung von Sicherheit, Gesundheit oder den Rechten anderer sein könnten, können nicht als legitime Gründe für solche tiefgreifenden Beeinträchtigungen der fundamentalen Freiheiten betrachtet werden“, sagte Shamdasani.
Mehr als drei Jahre bis zum endgültigen Gesetz
Seit der Volksabstimmung ist rund um das Gesetz einiges passiert. Im Mai 2021 verlangte der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder in einer Motion vom Bundesrat, dem Parlament eine Vorlage für ein nationales Ausführungsgesetz zu Artikel 10a vorzulegen. Der Bundesrat argumentierte daraufhin, dass die Kompetenz für die Regelung der Ordnung im Öffentlichen Raum bei den Kantonen liegt. Ein nationales Ausführungs- oder Rahmengesetz auf Bundesebene sei damit hinfällig. Es sei aber beabsichtigt, eine strafrechtliche Regelung in die Vernehmlassung zu schicken. Bundesrat und Ständerat lehnten Minders Motion folglich ab.
So ging ein erster Entwurf einer Gesetzesänderung in die Vernehmlassung. Dieser wurde von etlichen NGO’s kritisiert. Im Oktober 2022 schlug der Bundesrat dem Parlament vor, das Verbot der Gesichtsverhüllung in einem eigenständigen Bundesgesetz (GVVG) umzusetzen, da die zuerst geplante Umsetzung im Strafgesetzbuch im Vernehmlassungsverfahren von Seiten der Zivilgesellschaft kritisiert wurde und das Strafmass von bis zu 10’000 Franken als viel zu stark beurteilt wurde. Der Entwurf über ein Bundesgesetz wurde im Februar auch von der Staatspolitischen Kommission des Ständerats SPK-S als Ganzes abgelehnt. Die Gründe lagen vor allem iim Föderalismus. In ihrer Begründung dazu sagte sie:
„Der Verfassungsartikel über das Gesichtsverhüllungsverbot kann durchaus auf Ebene der kantonalen Gesetzgebungen konkretisiert werden. Eine Konkretisierung durch die Kantone ist umso mehr angezeigt, als die Zuständigkeit für den Erlass von Regeln über die Nutzung des öffentlichen Grundes bei den Kantonen liegt. Der Bund verfügt nur über die Kompetenz, strafrechtliche Vorschriften zu erlassen, um in Bezug auf das Gesichtsverhüllungsverbot tätig zu werden. Das Hauptziel, das mit dem Gesichtsverhüllungsverbot verfolgt wird, ist jedoch nicht die Bestrafung, sondern die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und im weiteren Sinne des „Zusammenlebens“, sodass es nicht angebracht ist, diese Gesetzgebung auf eine Zuständigkeit im Bereich des Strafrechts zu stützen.“
Der Ständerat hingegen wollte ein rasches Gesetz. Im März 2023 stimmte er für die bundesrätliche Initiative. Im September nahm auch der Nationalrat die Initiative zur Umsetzung der Burkaverbots-Initiative auf Bundesebene an.
Ab 2025 in Kraft
Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden, dass das landesweite Verhüllungsverbot an öffentlich zugänglichen Orten auf Anfang 2025 per Gesetz und Verordnung in Kraft tritt. Teil der angenommenen parlamentarischen Initiative ist, dass Verstösse mit Bussen bis zu tausend Franken geahndet werden können.
Die Verstösse gegen das Verbot werden grundsätzlich im Ordnungsbussenverfahren geahndet. Der Bundesrat machte klar, dass die Busse in der Regel hundert Franken betrage. Dies, um den administrativen Aufwand gering zu halten. Erst wenn sich jemand weigere, zu zahlen, komme der maximale Strafrahmen von tausend Franken zum Tragen.
Wer nun meint auf der Skipiste keinen Schlauch, im Bus keinen Mundschutz oder an der Fasnacht keine Maske mehr tragen zu dürfen, darf beruhigt sein. Der Initiativtext war in dieser Hinsicht von Anfang an klar: „Das Gesetz sieht Ausnahmen vor. Diese umfassen ausschliesslich Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums.“ Nicht dass wegen einigen Burkas noch die ganze Fasnacht oder die Silvesterchlaus-Tradition hätte abgeblasen werden müssen.
Der Bundesrat regelt dies nun mittels Verordnungen: Erlaubt bleibt die Verhüllung des Gesichts etwa in Gotteshäusern, an der Fasnacht, bei Kunstdarbietungen, zum Schutz gegen Kälte oder zum Gesundheitsschutz. Weitere Ausnahmen gelten für Botschaften und Konsulate, für künstlerische Darbietungen und wenn jemand sein Gesicht zu Werbezwecken verhüllt. Behörden können Verhüllungen ausserdem an Demonstrationen bewilligen, da diese zur Ausübung der Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit notwendig sind.
Klar ist damit aber vieles nicht. Was gehört zum einheimischen Brauchtum? Was ist eine Kunstdarbietung? An wem ist es eine solche zu beurteilen? Was gehört zum Gesundheitsschutz? Falls es zu solchen Possen kommt, werden die Gerichte dies beurteilen müssen. Betroffen von der neuen Gesetzgebung werden aber wohl nicht die Skifahrerinnen, Schneeschaufler, Maskenträger:innen, Silvesterchläuser und Fasnachtsfanatiker. Die Gesetzgebung richtet sich primär gegen vollverschleierte Musliminnen, Teilnehmer:innen unbewilligter Demonstrationen und Hooligans.
Bisher kaum Bussen in Tessin und St. Gallen
Die Kantone Tessin und St. Gallen kennen ein Verhüllungsverbot wie es nun schweizweit eingeführt werden soll schon länger. Der Tessin hat im Zeitrahmen von 2013 bis 2019 insgesamt 28 Bussen gegen Frauen „mit verschleierten Gesichtern“ ausgesprochen. Seit der Coronapandemie wurde jedoch keine mehr ausgestellt, unter anderem „wegen des starken Rückgangs des Tourismus aus arabischen Ländern“, sagte das Justizdepartement in der Zeitung „La Regione“.
Im Kanton St. Gallen sind die Zahlen noch tiefer, beziehungsweise liegen sie bei Null. Seit der Einführung des kantonalen Verhüllungsverbots hat man im Kanton noch keine einzige Busse ausgesprochen, sagt Florian Schneider von der Kantonspolizei St. Gallen gegenüber SRF. Dies habe damit zu tun, dass die kantonale Regelung eine zusätzliche Bedingung verlangt. Von der verhüllten Person muss nämlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Solche Fälle seien in St. Gallen bislang schlicht nicht vorgekommen
Verhüllt oder vermummt?
Wenn es um Demonstrationsteilnehmende geht, kennen die meisten Kantone bereits ein Vermummungsverbot. Der Unterschied zum Verhüllungsverbot ist, dass sich ein Vermummungsverbot explizit an die Teilnehmenden von bewilligungspflichtigen Veranstaltungen, also Demonstrationen oder Sportveranstaltungen, richtet. Auch in diesen Fällen ist die Umsetzung schwierig, weil vermummte Demonstrationsteilnehmende oder Sportfans oft nur mit grossem Aufwand identifiziert werden können und es mit der Verhältnismässigkeit nicht einhergeht, eine Demonstration aufzulösen, wenn sich beispielsweise nur wenige Personen vermummen.
Die Einführung eines Verhüllungsverbots dürfte an den derart tiefen Zahlen wohl nur wenig ändern. Man hat damit allerhöchstens ein symbolisches Zeichen gegen den Islam gesetzt. Geschützt wird die Öffentlichkeit damit aber nicht.
Verhüllungsverbot: Die Situation in Europa
In den vergangenen Jahrzehnten haben diverse Länder Verhüllungsverbote eingeführt oder kontroverse Diskussionen über diese Thematik geführt. Die Gründe für diese Entscheidungen sind vielfältig und reichen von Sicherheitsbedenken bis hin zu Fragen der Integration und kulturellen Identität.
Frankreich: Pionier und Vorreiter
Frankreich war das erste europäische Land, das 2010 ein landesweites Verhüllungsverbot erlassen hat. Dieses Verbot umfasst das Tragen von Gesichtsbedeckungen, einschließlich der Burka und des Nikabs, in der Öffentlichkeit. Verstöße werden mit einer Geldstrafe von bis zu 150 Euro geahndet. Die französische Regierung argumentierte, dass das Verbot der Wahrung der republikanischen Prinzipien der Laizität und der Gleichheit diene. Kritiker werfen der Massnahme jedoch vor, Frauen zu diskriminieren und die Religionsfreiheit einzuschränken. Mehrere Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben das Verbot nicht gekippt; der Gerichtshof urteilte, dass Frankreich das Recht habe, aus sozialen und kulturellen Gründen Gesichtsbedeckungen zu regulieren.
Belgien: Striktes Verbot seit 2011
Belgien folgte Frankreichs Beispiel und verbot 2011 das Tragen von Gesichtsbedeckungen an öffentlichen Orten. Verstösse gegen dieses Gesetz können ebenfalls zu Geld- und in schweren Fällen zu Gefängnisstrafen führen. Die belgischen Behörden betonen die Bedeutung der Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts als Hauptgründe für das Verbot. Kritiker befürchten jedoch, dass diese Massnahme die Integration erschwere und das Vertrauen der muslimischen Gemeinschaften in den Staat beeinträchtige.
Deutschland: Regionale Unterschiede und Debatten
In Deutschland existiert kein generelles Verhüllungsverbot, allerdings sind Gesichtsbedeckungen in bestimmten Bereichen wie Schulen, Gerichten und bei Demonstrationen verboten. Zudem besteht für Beamte und Beschäftigte im öffentlichen Dienst ein Verschleierungsverbot. Der deutsche Staat legt bei seinen Regelungen Wert auf die Wahrung der „offenen Kommunikation“ im öffentlichen Raum und den Schutz der staatlichen Neutralität. Die Debatte über ein allgemeines Verhüllungsverbot ist jedoch immer wieder aufgeflammt und bleibt politisch umstritten.
Österreich: Das „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ von 2017
Österreich führte 2017 ein Gesetz ein, das das Verhüllen des Gesichts in der Öffentlichkeit verbietet. Dieses sogenannte „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ sieht eine Strafe von 150 Euro bei Verstössen vor. Der österreichische Staat begründet das Gesetz mit dem Ziel, die gesellschaftliche Integration zu fördern und die Kommunikation zu erleichtern. Doch auch hier gibt es Stimmen, die das Gesetz als Diskriminierung der muslimischen Bevölkerung sehen.
Dänemark: Verbote und Sanktionen seit 2018
Dänemark verabschiedete 2018 ein Gesetz, das das Tragen von Gesichtsbedeckungen in der Öffentlichkeit verbietet. Personen, die gegen dieses Verbot verstossen, müssen mit einer Geldstrafe von etwa 135 Euro rechnen; bei wiederholten Verstössen können höhere Strafen verhängt werden. Die dänische Regierung nennt ähnliche Gründe wie Frankreich und Belgien: Sicherheit und Integration. Doch auch in Dänemark gibt es Proteste, und Kritiker argumentieren, dass das Gesetz nicht zur Integration beiträgt, sondern eher zur Polarisierung innerhalb der Gesellschaft.
Niederlande: Eingeschränktes Verbot seit 2019
In den Niederlanden wurde 2019 ein Teilverbot für das Tragen von Gesichtsbedeckungen in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln eingeführt. Das Gesetz umfasst Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel und Regierungsgebäude, nicht jedoch den gesamten öffentlichen Raum. Das niederländische Parlament betont, dass das Gesetz die Kommunikation und den sozialen Austausch fördern soll. Die muslimische Gemeinschaft sowie Menschenrechtsorganisationen äusserten sich kritisch und sehen das Gesetz als Symbolpolitik, das die tatsächliche Integration nicht fördert.
Italien: Kein Verhüllungsverbot
In Italien gilt ein Vermummungsverbot, nicht aber ein allgemeines Verhüllungsverbot. Gerichte haben Gemeinden, die das Vermummungsverbot als Verbot der Gesichtsverschleierung interpretierten, zurückgepfiffen. Denn: Schleier gehören in Italien zur religiösen Tradition. Zwei von der Lega Nord regierte Regionen, die Lombardei und Venetien, haben die Vollverschleierung und die Burka in Spitälern und öffentlichen Gebäuden verboten.
Grossbritannien: Liberale Haltung
In Grossbritannien gibt es im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern kein nationales Verhüllungsverbot. Die britische Gesetzgebung ist in Bezug auf das Tragen religiöser Kleidung, einschließlich Gesichtsbedeckungen wie Burka und Nikab, relativ liberal und erlaubt es Einzelpersonen, sich in Übereinstimmung mit ihren religiösen Überzeugungen zu kleiden. Die Entscheidung über eventuelle Einschränkungen von Gesichtsbedeckungen wird grösstenteils den einzelnen Institutionen überlassen, was zu einem dezentralisierten und eher toleranten Umgang mit dem Thema führt.