Das Regionalgericht Plessur hat die Vorwürfe der Vergewaltigung und der mehrfachen sexuellen Nötigung eines ehemaligen Verwaltungsrichters zum Schaden einer damaligen Gerichtspraktikantin bestätigt. Aufgrund der Aktenlage blieb Richterin Bettina Flütsch und den Richtern Helmi Saluz und Paul Schwendener kaum eine andere Wahl. Zu klar war die Aktenlage, zu eindeutig waren die übereinstimmenden Zeugenaussagen des Opfers und ihres Umfeldes, zu unglaubwürdig die Behauptung des Täters, alles sei einvernehmlich vonstatten gegangen.
Das ist allerdings auch das einzig positive, was es zu diesem Verfahren zu vermelden gibt.
Alles andere zeigt: Die Bündner Strafverfolgungsbehören können es nicht.
Beginnen wir beim Strafmass des Churer Regionalgerichts: Eine bedingte Freiheitsstrafe von 23 Monaten für einen Vergewaltiger muss nicht nur für das Opfer selbst, sondern für jede Frau in diesem Land wie ein Hohn klingen. Die zynischen Leserbrief-Kommentare auf den grossen Plattformen zeigen es: «Offensichtlich hat man(n) die erste Vergewaltigung frei», heisst es dort sinngemäss. Die Wahrnehmung ist nachvollziehbar.
Zum Vergleich: Das Bezirksgericht Zürich hat eben erst einen Mann zu 24 Monaten unbedingt (aufgeschoben zugunsten einer stationären Massnahme) verurteilt. Nicht für eine Vergewaltigung: Er war in der Stadt Zürich mit 114 km/h geblitzt worden, ohne dass jemand konkret zu Schaden gekommen war.
Aber auch im Vergleich zu anderen Vergewaltigungsfällen passt das Strafmass nicht: In einem schweizweit diskutierten Fall aus Basel hatte der Täter eine Strafe von 36 Monaten kassiert, davon die Hälfte unbedingt, zusätzlich musste er dem Opfer eine Entschädigung von CHF 9’000.– bezahlen. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen das Urteil gutgeheissen, das Verschulden des Täters als schwerer eingestuft und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen. Mit dem Auftrag, die Strafe zu verschärfen . Mit Urteil vom 15. März 2024 hat das Bezirksgericht Martigny und St. Maurice einen Mann (für eine sexuelle Nötigung, keine Vergewaltigung) zu 30 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, davon die Hälfte unbedingt. Dazu musste er das Opfer mit CHF 10’000 entschädigten und wurde für 10 Jahre ausgewiesen. Das Bundesgericht hat das Strafmass in BGE 6B_612/2024 bestätigt.
Natürlich: Jedes Strafmass ist individuell zu bemessen und das Verschulden des Täters individuell zu berücksichtigen. Das soll auch so bleiben. Dass aber der portugiesische Arbeiter für dieselbe Tat 15 Monate einsitzt und der Bünder Ex-Richter keinen Tag – derlei Unterschiede in der Strafzumessung lassen sich der Bürgerin und dem Bürger schlicht nicht vermitteln – oder eben nur den einen Schluss zu: Der Bündner Ex-Richter hat von seinen Richter-Kollegen einen Kollegen-Bonus erhalten. Ein Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Angeklagte früher Parteipräsident derselben Churer Ortspartei war, welcher Richter Hermi Saluz heute angehört.
Damit zur Person von Richter Saluz: Dem nebenamtlichen Nicht-Juristen fehlt es offensichtlich in mehrfacher Hinsicht an der Sensibilität, die für das Richteramt notwendig ist: Das zeigte sich in der Befragung des Opfers mit der Bemerkung, warum sie nicht die Beine zusammengepresst habe? Das unangemessene Verhalten des Richters wurde an anderer Stelle schon ausführlich diskutiert und hat bereits zu Rücktrittsforderungen geführt.
Gegen Saluz spricht aber auch, dass er sich als CVP/Mitte-Richter nicht von sich aus wegen Befangenheit zurückgezogen hatte. Zur Erinnerung: Die Dogmatik verlangt nicht, dass ein Richter tatsächlich befangen sein muss, um in den Ausstand zu treten. Es reicht der Anschein der Befangenheit.
In diesem Punkt kann man Saluz höchstens noch zugute halten, dass er über die hohen Ansprüche, die wir als Gesellschaft an die Unabhängigkeit unserer Gerichte haben dürfen, genauso salopp hinweggeht wie es (fast) die gesamte Richterkaste auf allen Ebenen bis hoch zum Bundesgericht seit Jahren tut. Und wenn es weiterer Belege noch bedurft hätte: Das Bündner Kantonsgericht hatte sie bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung geliefert, als es mit den Urteilen SK1 2023 59 und SK2 2023 34 alle Bedenken der Bündner Staatsanwaltschaft, das Regionalgericht Plessur könne aufgrund der Kleinräumigkeit gar nicht unbefangen urteilen, in den Wind schoss.
Aufgrund dieser Konstellation wird im weiteren Prozessverlauf auch vom Bündner Kantonsgericht respektive Obergericht nicht viel zu erwarten sein: Der beschuldigte Richter war früher als Verwaltungsrichter auf derselben Stufe wie die Kantonsrichter tätig, und ab 2025 sind das frühere Kantons- und das bisherige Verwaltungsgericht sogar noch unter einem gemeinsamen Dach als Obergericht vereint. Augenscheinlicher kann fehlende Distanz und Unabhängigkeit wohl gar nicht in Erscheinung treten, und alle sehen sie – ausser die Bünder Richter selbst.
Bleibt die Bündner Staatsanwaltschaft. Dass ausgerechnet sie es war, die beim Kantonsgericht vorstellig wurde und die fehlende Unabhängigkeit der Stadt-Churer Richter anprangerte, hatte bei einigen Juristen im Kanton zu ungläubigem Augenreiben geführt. Schliesslich war es die Staatsanwaltschaft selbst, die sich in diesem Verfahren genau so viele kritische Fragen gefallen lassen musste. Etwa, warum der Fall mit Corina Collenberg von einer Staatsanwältin geführt wurde, die per «Du» mit dem Angeklagten ist. Warum dringende Beweismittelsicherungen nicht durchgeführt wurden und das Verfahren so verschleppt wurde, bis einzelne Tatbestände vom erstinstanzlichen Gericht nun tatsächlich wegen Verjährung eingestellt wurden.
Alles zusammen ein Armutszeugnis für die Bündner Justiz.
Es stellt sich zunehmend die Frage, wie das Skandal – Urteil aussehen würde, wäre der Angeklagte ein ehemaliger SVP -Richter…abgesehen von der medialen Hetze!
Der Verurteilte ist Anwalt und verrechnet seinen Klienten sicher Stundenansätze von Fr. 250.– und mehr. Nun wurde er zu Tagesansätzen von nur Fr. 90.– verurteilt. Auch hier zeigt sich aus meiner Sicht, dass die Verurteilung wegen des Richterbonuses viel zu milde war.
Ohne eine Wertung vornehmen zu wollen und rein informationshalber: Der beschuldigte Ex-Richter hatte vor Gericht ausgesagt, er sei psychisch so angeschlagen, dass er nicht mehr als zu 40% oder 50% arbeitsfähig sei. Was wohl bei der Berechnung seiner Einkommensverhältnisse Berücksichtigung fand. Ob die Angaben des Beschuldigten den Tatsachen entsprechen, ob die Angaben überprüft wurden, können wir nicht beurteilen. Vielleicht wird das begründete Urteil dazu etwas Klarheit schaffen.
Dazu wäre zu bemerken, dass ein Richter aufgrund seiner Einkommensverhältnisse, während Jahren in der Juristerei, begütert sein dürfte.
Das Opfer keine Entschädigung zugesprochen erhielt und die Busse somit den Charakter einer Busse eines geblitzten Rasers, notabene ohne Verkehrsunfall. Ob das unverhältnismässig oder lachhaft tief ist, wäre eigentlich Sache einer nächsten Instanz zu beurteilen, nebst noch wichtigerem.
Wir haben selbst keine Informationen zur wirtschaftlichen Situation des beschuldigten Richters. Die Befragung zu den persönlichen Verhältnissen, in welcher auch die wirtschaftliche Situation eines Beschuldigten geklärt wird, fand unter Ausschluss der Medien statt. Wenn es rechtsstaatlich korrekt zu und her geht, wäre das Gericht gehalten, anhand der Unterlagen des kantonalen Steueramts die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu überprüfen. Ob das geschehen ist, können wir aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Informationen nicht verifizieren. Gegebenenfalls kann aber die schriftliche Urteilsbegründung darüber Klarheit verschaffen.