Nebelkerzen im Fall Fabienne W. Der Kanton Schaffhausen agiert intransparent und verweigert weiterhin eine saubere Kommunikation. In der Krisenkommunikation gibt es Regeln, die selten missachtet werden. Zum Beispiel, dass eine halbe Wahrheit eine ganze Lüge ist, dass Transparenz – von Ausnahmen abgesehen – ein Gebot der Stunde ist und dass man die Medien nicht für dumm verkaufen darf (das tun sie oft genug selber). Nun missachtet die Regierung des Kantons Schaffhausen in Person der zuständigen Regierungsrätin Dr. Cornelia Stamm Hurter (Bild rechts) gleich mehrere dieser Gebote. Sie verschickte am Freitagmorgen eine Medienmitteilung, die als Fazit festhält, dass man im Fall Fabienne W. nichts falsch gemacht habe und alle Vorwürfe der Medien und der Öffentlichkeit falsch seien. Eine PR-Welle, die von den meisten Medien einfach übernommen wurde. Das Gutachten wurde verfasst von „Prof. em. Dr. Andreas Donatsch, Zürich, (Bild links) „einem ausgewiesenen Kenner des schweizerischen Polizei- und Strafprozessrechts“. Es ist derselbe Professor, der auch schon für den Kanton Schaffhausen tätig war. Unabhängig? Die Einsicht in das PR-Gutachten wurde inside-justiz verweigert. Die Schaffhauser Regierung bleibt einmal mehr intransparent.
Der Umgang des Kantons Schaffhausen mit der Affäre rund um die Prügelattacke auf Fabienne W. wirft weiterhin Fragen auf, insbesondere in Bezug auf die Transparenz und Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit. Anstatt die Möglichkeit zu bieten, das vollständige Gutachten zu den fragwürdigen Ermittlungen der Polizei einzusehen, werden durch den Verweis auf die Geschäftsprüfungskommission und die Justizkommission des Parlaments bürokratische Hürden errichtet, die eine Einsichtnahme stark verzögern oder sogar verhindern könnten. Dieses Vorgehen erweckt den Eindruck, dass der Kanton mehr daran interessiert ist, die kritischen Informationen unter Verschluss zu halten, als eine offene und souveräne Aufklärung zu fördern. Die anhaltenden Versuche, die Einsichtnahme zu erschweren, sind nicht nur unprofessionell, sondern sie vertiefen das Misstrauen gegenüber den Behörden und lassen vermuten, dass unangenehme Wahrheiten unter den Teppich gekehrt werden sollen.
Die Rundschau und der Fall Fabienne W.
Der Fall Fabienne W. hat in der Schweiz für grosses Aufsehen gesorgt und wirft ein scharfes Licht auf die Praktiken der Schaffhauser Polizei und die Reaktion der kantonalen Behörden. Die junge Frau wurde im Dezember 2021 von mehreren Männern brutal verprügelt, eine Tat, die von den Ermittlungsbehörden zunächst nicht ernst genug genommen wurde. Die Angreifer sollen gezielt vorgegangen sein, und die Schläge und Einschüchterungen wirkten systematisch und geplant. Trotz der Schwere der Vorwürfe und der offensichtlichen Verletzungen, die Fabienne W. davontrug, wurden die Ermittlungen in einer Art und Weise geführt, die viele Fragen aufwarf.
Schon kurz nach dem Vorfall zeigten sich erste Risse im Vertrauen der Öffentlichkeit in die Schaffhauser Polizei. Die Ermittler sollen Hinweise übersehen oder bewusst ignoriert haben, die für die Aufklärung der Tat entscheidend gewesen wären. Die Art und Weise, wie die Polizei den Fall behandelte, führte schnell zu Kritik von Seiten der Bevölkerung und Medien. Insbesondere die Sendung „Rundschau“ des SRF griff den Fall auf und beleuchtete die Versäumnisse und das zögerliche Verhalten der Behörden. Die Frage, ob Fabienne W. ein Einzelfall war oder ob strukturelle Probleme in der Schaffhauser Polizei existieren, stand im Raum und wurde in den Medien breit diskutiert.
Die Berichterstattung führte schliesslich zu einem öffentlichen Aufschrei, und in Schaffhausen gingen Hunderte Menschen auf die Strasse, um gegen das Verhalten der Polizei zu protestieren. Der Druck auf die Behörden wuchs, und es wurde ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, um die Vorwürfe zu untersuchen und die Rolle der Polizei kritisch zu hinterfragen. Dieses Gutachten, das inzwischen vorliegt, soll angeblich gravierende Mängel in der Ermittlungsarbeit aufgedeckt haben. Es war jedoch von Beginn an klar, dass die Veröffentlichung dieses Berichts ein heikles Thema sein würde.
Die kantonalen Behörden entschieden sich, das Gutachten nicht öffentlich zugänglich zu machen. Stattdessen wurde eine anonymisierte Version des Berichts lediglich den Mitgliedern der Geschäftsprüfungskommission und der Justizkommission des Parlaments zur Verfügung gestellt. Diese Gremien sollten zunächst über den Inhalt beraten, bevor eine Entscheidung über eine mögliche Freigabe des Dokuments getroffen wird. Diese Entscheidung, das Gutachten nicht sofort zugänglich zu machen, wurde von vielen als Versuch gewertet, die Wahrheit zu verschleiern und die öffentliche Aufarbeitung des Falls zu behindern.
Anfrage von inside-justiz nach dem Gutachten und die Antwort
Besten Dank für Ihre erneute Anfrage. Nach Rücksprache kann ich Ihnen folgende Antwort weiterleiten:
Das Finanzdepartement hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen bestmöglichst zu wahren. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir Ihnen das Gutachten nicht per E-Mail versenden werden.
Ein allfälliges Akteneinsichtsgesuch ist schriftlich zu stellen. Das Finanzdepartement wird auf Gesuch hin im Umfang der geltend gemachten Interesse prüfen, ob eine Einsicht vor Ort in eine anonymisierte Version des Gutachtens zulässig wäre. Dies aber erst, nachdem die Geschäftsprüfungskommission und die Justizkommission des Parlamentes darüber beraten konnten. Die Mitglieder der Kommissionen haben das Gutachten in anonymisierter Form erhalten.
Herzlichen Dank für Ihre Kenntnisnahme und freundliche Grüsse
Lea Plieninger
Experte Konrad Jecker widerspricht in 20 Minuten
Konrad Jeker, einer der renommiertesten Strafverteidiger der Schweiz, kommentierte damals in der Reportage der «Rundschau» zum Fall von Fabienne W. das Vorgehen der Polizei. Gegenüber 20 Minuten äussert er sich auch zum Gutachten der Schaffhauser Polizei. «Die zuständige Regierungsrätin hat nur die von ihrem Departement verfasste Medienmitteilung veröffentlicht, nicht aber das Gutachten selbst. Das ist intransparent und lässt offen, welche konkreten Fragen der Gutachter überhaupt zu beantworten hatte.»
Laut Jeker ging es offenbar darum, die Rechtmässigkeit der polizeilichen Ermittlungen zu bestätigen. Gegenstand der Kritik war aber nicht die Rechtmässigkeit, sondern die Verletzung des Auftrags der Staatsanwaltschaft und von kriminalistischen Standards. Das wird nun offenbar auch vom Gutachter bestätigt. «Die Polizei hat zwar rechtmässig gehandelt, aber nicht alles Notwendige getan, um alle Beweise zu sichern.»
Fabienne W. wollte sich auf Anfrage nicht näher äussern, ihr und ihrem Sohn sei schon zum jetzigen Zeitpunkt alles zu viel. Sie verwies wiederum auf ihren Anwalt Philip Stolkin, der sie in dieser Sache vertritt. «Das Gutachten des Professors stellt den Schaffhauser Behörden zu Unrecht einen Persilschein aus. Die Rechtsvertretung von F.W. geht weiterhin von massiven Ermittlungsfehlern der Schaffhauser Polizei und Staatsanwaltschaft aus, stützt die Auffassung der ‹Rundschau›», teilt der Anwalt mit. Die Polizei habe sich vom Anwalt gleichsam diktieren lassen, was zu beschlagnahmen sei und was nicht und welche Räume zu betreten gewesen seien, was absolut unüblich sei und der Gutachter übersehen habe.
«Offenbar hatte sich die Polizei auch gegenüber dem Anwalt negativ über F.W. geäussert und so möglicherweise das Amtsgeheimnis gebrochen», so Stolkin weiter. Die Opferrechte seien seiner Mandantin nicht sorgfältig erklärt worden. Es sei nicht berücksichtigt worden, «dass es weitere Kameras in der Bar des Anwaltes gegeben haben muss». «Die Polizei hat unserem Aktenstand entsprechend nicht alle Verfahrenshandlungen protokolliert. Sie unterliess es im Zusammenhang mit der Aufklärung der Sexualdelikte, offensichtlichen Widersprüchen nachzugehen», teilt der Anwalt mit. Ohnehin sei die Auftragserteilung an den Gutachter unvollständig, hätten doch auch die Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft thematisiert werden müssen.
«Offensichtlich ging es beim Gutachten letztlich lediglich darum, einen Persilschein in Wahlkampfzeiten zu bekommen. Die Rechtsvertretung von F.W. teilt die Auffassung der ‹Rundschau› und ihres Experten Herrn Jeker, der soweit ersichtlich besser dokumentiert war als der Gutachter. Die Rechtsvertretung wird weiterhin die Beschwerde und Strafanzeigen verfolgen und wenn es sein muss, bis nach Strassburg gehen», heisst es von Anwalt Stolkin abschliessend.
Der Kanton Schaffhausen schiesst also trotz strahlendem Sonnenschein mit peinlichen Nebelpatronen um sich.