Schockanrufe und Telefonbetrügereien sorgen bei Rentner:innen für grosse finanzielle Schäden. In den letzten zwei Jahren sind die Fälle stark angestiegen. Davon melden sich viele nicht bei der Polizei, und wenn doch, ist es schwer die Täter aufzuspüren. Was sind also die Mittel dagegen?
Es ist Mittwochnachmittag Mitte Mai, als ein unbekannter Mann eine Rentnerin in Zürich anruft. Er stellt sich vor, gibt sich als Polizist aus und weist die Frau darauf hin, dass das Geld auf der Bank wegen unseriöser Mitarbeiter nicht mehr sicher sei. Sie solle es deshalb der «Polizei» übergeben und empfiehlt ihr 18’000 Franken zu übergeben.
34jähriger Kurier
Der Versuch scheint vorerst zu klappen. Die Rentnerin beschafft sich bei ihrer Bank das Bargeld. Kurz danach wird sie jedoch misstrauisch und kontaktiert die richtige Polizei. Ein Mitarbeiter des Notrufs informiert sie, dass die Polizei über Telefon nie Geldforderungen stellt und es sich in ihrem Fall um Betrug handeln muss. So geht es aus einer Mitteilung der Stadtpolizei Zürich hervor.
Am Übergabeort erwischt die Stadtpolizei den 34-järigen Kurier, der das Geld abholen will. Sein Smartphone, auf dem er Anweisungen erhält, führt die Fahnder:innen nach Gränichen in den Kanton Aargau, wo die Polizei ein Paar, einen 48-jährigen Mann und eine 34-jährige Frau festnehmen können.
Die anschliessende Hausdurchsuchung erhärtet den Verdacht, dass es sich um professionelle Telefonbetrüger handeln könnte. Die Polizei findet in einer Schlafzimmerschublade 715′ 000 Euro und 305’640 Franken in bar, also ein Gesamtwert von über einer Million Franken. In der Tiefgarage finden die Beamten eine elektrische Geldzählmaschine, im Büro der Frau ein Softair-Revolver. Zudem finden die Behörden handschriftliche Notizen wie: 105 × 1000, 26 × 200, 28 × 100 etc. Die Notizen legen den Verdacht nahe, dass da jemand Buch über die Einkünfte aus Telefonbetrug geführt hat.
Was die Polizei in diesem Fall ermittelte, kommt seit einiger Zeit immer häufiger vor.
Schockanrufe als neuste Masche
Der Enkeltrickbetrug ist wohl ähnlich alt wie das Telefon selbst. Mittlerweile geben sich die Anrufenden aber nicht mehr nur als Verwandte mit Geldproblemen aus. Mittlerweile haben die sogenannten Schockanrufe Hochkonjunktur. Dies ist eine besonders aggressive Form des Telefonbetrugs. Bei einem Schockanruf werden die Opfer angerufen und mit einer erfundenen, aber glaubwürdig klingenden Nachricht konfrontiert, die sie in Schock versetzen soll: Zumeist wird behauptet, ein Mitglied Ihrer Familie sei in einer schweren Notlage oder in grosser Gefahr.
Gleichzeitig wird behauptet, dass die Notlage gelindert bzw. die Gefahr abgewendet werden kann, indem man so schnell wie möglich Geld und Wertsachen an einen Boten oder eine Botin übergibt. Der Schock verursacht oft, dass die Betroffenen nicht rational denken können, aber Ihrem Familienmitglied helfen wollen. Unter Druck gesetzt kommen sie den Forderungen nämlich eher nach. Sie realisieren erst später, zu spät, dass sie betrogen wurden.
Telefon- und Onlinebetrügereien steigen stark an
Das Fedpol veröffentlichte Anfang 2024 Zahlen zu Telefonbetrügen, bei denen festgestellt werden muss, dass diese stark ansteigen. 2011 registrierte das Fedpol schweizweit noch 295 Versuche, bei denen es in 23 Fällen zu einer Geldübergabe kam. 2022 waren es bereits 956 Versuche, 84 davon erfolgreich. 2023 stieg die Zahl sehr stark an. Es kam über das Jahr hinweg zu 3329 Versuchen, von denen in 250 Fällen Geld oder Schmuck an eine Täterschaft übergeben wurde. Dies sind jedoch nur die registrierten Fälle, die das Fedpol aus allen Kantonen sammelt. Rolf Decker von der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich erklärte in einem Beitrag des „Kassensturz“, dass die Dunkelziffer bei Telefonbetrügen Faktor 5 der registrierten Fälle betrage. Damit käme man also für das Jahr 2023 auf über 16’000 Versuche.
Mit dem Anstieg der Fälle steigt auch der bezifferte Schaden der Opfer. So verdoppelte sich der Schaden durch Telefonanrufe zwischen 2022 und 2023 von 5,7 auf 11,5 Millionen Franken. Dies dürfte aber nur die Spitze des Eisbergs sein, denn viele Opfer melden sich gar nie bei der Polizei. Der Grund dafür, so Rolf Decker, liegt wohl darin, dass die Geschädigten Scham empfinden, dass sie Opfer eines solchen Betrugs geworden sind.
Wer ruft tatsächlich an?
Eine Täterschaft auszumachen, gestaltet sich als schwierig. Im Falle von Gränichen lebten die Täter in der Schweiz. Zeitungsrecherchen führen aber immer wieder mal zu organisierten Strukturen ins Ausland wie im Falle einer „Kassensturzrecherche“ nach Polen, von wo aus die Täterschaft operiert und sich weniger bedroht sieht. Gerade dies stellt eine der grössten Herausforderung für die hiesigen Behörden dar. Denn für die Festnahme im Ausland benötigt es eine Kooperation mit den örtlichen Polizeibehörden. Ist dies nicht gegeben, sind der Polizei die Hände gebunden. Im Mai dieses Jahres wurde zuletzt vermeldet, dass Polizeibehörden in Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Albanien, Kosovo und im Libanon 12 Call-Center zerschlagen konnten.
Angefangen hatten die Ermittlungen mit einem Bankangestellten aus Freiburg in Deutschland. Als im Dezember 2023 ein Kunde darum bat, über 100’000 Euro in bar abzuheben, wurde der Bankangestellte misstrauisch. Er stellte schnell fest, dass der Kunde Opfer eines «Betrugs mit falschen Polizisten» geworden war. Er informierte die Polizei, dieses Mal die echte, die verhinderte, dass das Opfer das Geld an die Telefonbetrüger aushändigte.
Was ist die Rolle der Banken?
Die Frage drängt sich auf, wieso man bei der Bank überhaupt auf einen Schlag so viel Geld abheben kann. Im „Kassensturz-Beitrag“ wird gezeigt, wie eine ältere Frau nach einem Schockanruf bei der Raiffeisen-Bank in Herisau über 55’000 Franken am Schalter abheben wollte und wegen der Kontenlimite auch tatsächlich 40’000 Franken bar beziehen konnte, obwohl sie sonst immer nur 500-1000 Fr. abhob. Damals meldete sich nicht nur die Raiffeisenbank, die mitteilte, dass die Kundenberaterin sorgfältig gehandelt habe, sondern auch die Schweizerische Bankier-Vereinigung mit einer Stellungnahme:
«Generell gilt: Die Bank ist auftragsrechtlich verpflichtet, die von den Kundinnen und Kunden geforderten Dienstleistungen zu erbringen und deren Entscheide auszuführen. Was den sogenannten ‹Enkeltrickbetrug› betrifft, schulen und sensibilisieren die Banken ihre Mitarbeitenden. Wenn eine Person plötzlich einen ungewöhnlich hohen Betrag abhebt, weisen die Bankmitarbeitenden daher typischerweise auf die damit verbundenen Risiken hin. Verhindert werden kann die Transaktion aber nicht. Denn die Banken sind verpflichtet, die autonomen Entscheide ihrer verfügungsberechtigten und bevollmächtigten Kundinnen und Kunden zu respektieren und auszuführen.»
Die Banken stecken somit im Dilemma, dass das Geld einerseits den Kund:innen gehört und sie andererseits eine Fürsorgepflicht haben. Sie sind die letzte Phase, in der der Betrug noch unterbrochen werden kann. Konsumentenschützerin Sara Stalder forderte deshalb eine Informationskampagne, wie sich ältere Kunden bei der Bank schützen können, beispielsweise durch Vollmachten.
In Bayern im Berchtesgadener Land haben sich die Bankhäuser dazu entschlossen, bei jeder grösseren Bargeldauszahlung einen Flyer mitzugeben. Auf diesem werden Fragen gestellt und vor spezifischen Trickbetrugsszenarien gewarnt.
Prävention als einzige Strategie?
Im Moment scheint der Kampf gegen Telefonbetrügereien und Schockanrufe schwierig zu sein. Die Banken dienen nicht als Sicherheitsmechanismus, den sie sicher sein könnten. Die Strafverfolgung gestaltet sich gerade auch wegen internationaler Strukturen als schwierig. Ins Netz gehen ihr viel häufiger die „kleinen Fische“. Im Jahr 2023 kam es gerade einmal zu 29 Festnahmen, wobei bereits fünf durch einen Dokumentar-Film des Ringiermagazins „Izzy“ erzielt werden konnte.
Am häufigsten verfolgen die Behörden im Moment den präventiven und informativen Ansatz. Gerade die Kantonspolizei Zürich hat eine grosse Präventionskampagne lanciert, die auf die Gefahren von Telefon- und Cyberkriminalität aufmerksam macht. Sicherlich ist es am einfachsten, wenn alle Menschen einen Fake-Anruf sofort erkennen und den Hörer auflegen. Doch wie schon früh erörtert: gerade bei einem Schockanruf können Angehörige zum Teil nicht mehr rational denken. Es kann also alle treffen.
Betrug liegt oft viel näher
In all der Aufregung um Telefon- und Cyberkriminalität ist es jedoch auch wichtig die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren. Laut einer repräsentativen Befragung der Pro Senectute, die im Oktober 2023 veröffentlicht wurde, werden in der Schweiz bei Menschen über 55 jährlich ca. 675 Millionen Franken veruntreut. Die Befragung zeigt, dass die meisten Straftaten in Betrugsfällen, wie bei vielen anderen strafrechtlichen Fällen, nicht von unbekannten Personen weit weg getätigt werden, sondern von Angehörigen, Bekannten und Nahestehenden. Gemäss der Pro-Senectute-Umfrage beträgt der jährliche Schaden durch Fachpersonen, die ihre Vertrauensbeziehung missbrauchen, 255 Millionen Franken. 216 Millionen Franken zweigen nahestehende Personen dank einer Vollmacht vom Bankkonto von Senior:innen ab.
In der Befragung tauchen die Schockanrufe erst auf Platz 21 der grössten finanziellen Schäden durch Betrug auf. Pro Senectute weist jedoch darauf hin, dass ihre Befragung in den letzten fünf Jahren stattgefunden hat. Die Schockanrufe sind ein neueres Phänomen. Die grösste Vorsicht ist deshalb im eigenen Umfeld geboten. Ein grösserer behördlicher und medialer Blick darauf wäre deshalb sicher lohnenswert.