In Deutschland gilt die freie Wahl des Geschlechts – die Kritik am Selbstbestimmungsgesetz bleibt

In Deutschland ist am 1. November das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten. Es ist wohl eines der umstrittensten neuen Gesetze der deutschen Ampelregierung. Es stellt schon das alleinige Aussprechen von Wahrheiten unter Strafe. Die Kritik an dem Gesetz bleibt gross – gerade von Frauenrechtsorganisationen. Sie möchten keine Transfrauen ohne Geschlechtsangleichung in Frauensaunen, -garderoben oder -Toiletten.

Das Selbstbestimmungsgesetz löst das frühere deutsche Transgender-Gesetz ab, das vom Bundesverfassungsgericht in sechs Entscheiden als grundrechtswidrig taxiert worden war. Dass das Ursprungsgesetz aus dem Jahr 1981 von einer Novelle abgelöst wird, ist deshalb nicht zu beanstanden.

Extrem in der anderen Richtung

Ein Kritikpunkt an dem alten Gesetz war, dass Menschen, die ihre Geschlechtsidentität ändern wollten, sich dafür einem Prozess unterwerfen mussten, der von verschiedener Seite als entwürdigend empfunden wurde. So gehörten beispielsweise zwei Gutachterbesuche dazu, in denen auch sehr intime Fragen beantwortet werden mussten – etwa nach dem eigenen Masturbationsverhalten oder dazu, welche Unterwäsche die Person trage.

Im neuen Selbstbestimmungsgesetz herrscht nun ein vollständig gegenteiliger Ansatz: Jede Person in Deutschland kann gemäss § 2 Satz 1 SBGG einmal im Jahr ihren Geschlechtseintrag ohne jede Hürde, alleine durch einen Sprechakt, ändern. Zur Auswahl stehen männlich, weiblich divers oder «kein Eintrag». Als einzige Hürde dient eine dreimonatige Frist zwischen der Anmeldung des Geschlechterwechsels und dem Zeitpunkt, zu dem der Wechsel rechtswirksam wird. Da Anmeldungen seit dem 1. August 2024 möglich waren, können also ab anfangs November die ersten Anpassungen nach dem neuen Recht wirksam werden.

Geschlechtsangleichung nicht nötig

Wichtig: Die Geschlechtseintragung erfolgt vollständig unabhängig von der äusserlichen Erscheinung einer Person. D.h. eine vollständig «als Mann gelesene» Person mit Penis, Hoden und Bart kann sich genauso als Frau eintragen lassen wie sich eine vollständig mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen (z.B. Brüsten, Vagina, Uterus) ausgestattete Frau als Mann eintragen lassen kann. Körperliche Merkmale spielen keine Rolle – auch eine hochschwangere Frau kann sich z.B. im achten Schwangerschaftsmonat als Mann eintragen lassen. Massgebend ist nicht die biologische Realität, sondern allein das Empfinden einer Person.

Noch nicht vollständig geklärt sind die konkreten Rechtsfolgen. Feministische Kreise befürchten, dass Lebensbereiche, die bisher Frauen vorbehalten waren, künftig keine «Safe Spaces» mehr sein werden: Sie fürchten sich vor Transfrauen – also mit Penis und Hoden ausgestattete umdeklarierte Männer –  in Frauen-Saunen, Frauen-Garderoben, Frauen-Badis oder Frauen-Fitness-Centern.

Auch im Sport sind die Folgen unklar. Das federführende Bundesfamilienministerium behauptet zwar, die Sportverbände seien nach wie vor frei, die Zulassungskriterien für die Frauen- und Männer-Wettbewerbe selbst zu bestimmen. Nur: Im Gesetzestext findet sich keine solche Regelung, die Regierung überlässt es den Gerichten, ob sie dereinst den Sportverbänden ein «Hausrecht» zugestehen werden – oder eben nicht, mit Verweis auf das Diskriminierungsverbot.

Von wegen Hausrecht

In der parlamentarischen Debatte wurden derlei Bedenken zwar auch von FDP-Justizminister Marco Buschmann mit dem Verweis auf das Hausrecht zurückgewiesen. Vertragsfreiheit und Hausrecht blieben vorbehalten, hiess es. Allein: Im Selbstbestimmungsgesetz ist das eben mit keinem einzigen Buchstaben festgehalten.  Im Gegensatz etwa zur Wehrpflicht, die in § 9 SBGG explizit geregelt wird: Falls die deutsche Regierung den Verteidigungs- oder auch nur schon den «Spannungsfall» verkündet, können auch all’ diejenigen biologischen Männer eingezogen werden, die nicht schon länger als zwei Monate als Frau eingetragen sind.

Wie relativ das Hausrecht gehandhabt werden dürfte, legt die Internetseite des deutschen Familienministeriums unter der Grünen Lisa Paus mit Verweis auf das Allgemeine Geleichbehandlungsgesetz AGG gleich selbst offen: «Danach ist eine Zurückweisung speziell von transgeschlechtlichen Personen allein aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität unzulässig. Unterschiedliche Behandlungen wegen des Geschlechts sind zulässig, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt (§ 20 AGG)

Das könne (aber muss nicht, die Red.) der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trage (§ 20 Absatz 1 Nummer 2 AGG). Schlicht falsch ist die Behauptung des BMFSFJ: «Auch insoweit ändert sich an der bestehenden Rechtslage durch das SBGG nichts.» – Das tut es natürlich sehr wohl, wenn neu jede Person sein Geschlecht auf Zuruf ändern kann und damit der Schutz z.B. von Frauenräumen erst über die Abwehrrechte des AGG neu erkämpft werden müssen.

Die ersten Gerichtsfälle gibt es schon

Wo die Reise hingehen wird, hat sich in einem konkreten Fall schon vor der Einführung des neuen Gesetzes gezeigt. Eine Transfrau wollte in dem reinen Frauen-Fitnessstudio «Ladie’s first» in Erlangen Mitglied werden, wie durch verschiedene Medienberichte Ende Mai bekannt wurde.  Weil sie keine Geschlechtsangleichung vorgenommen hatte – also Penis und Hoden hat – schlug die Transfrau vor, mit einer Badehose zu duschen. Die Studio-Inhaberin Doris Lange lehnte ab und begründete in Zeitungsberichten, sie hätte auch viele muslimische Kundinnen, die selbstredend niemand in einem Studio trainieren würden, in dem ein biologischer Mann mit ihnen duschen oder auch nur trainieren würde.

Die Transfrau gelangte in der Folge an die deutsche Antidiskriminierungs-Beauftragte Ferda Ataman, welche der Studioinhaberin vorschlug, der Transfrau für die durch die Absage erlittene «Persönlichkeitsverletzung» eine Entschädigung von EUR 1’000 zu bezahlen. Die Studioinhaber stieg nicht darauf ein und wurde unterdessen just mit Verweis auf § 20 Abs. 1 AGG verklagt. – Die Verfahrenskosten seien so hoch, dass sie ihre Existenz gefährden würde, berichtete die Inhaberin Lange in verschiedenen Medien. Über die juristische Ausgangslage berichtet die deutsche LEGAL TRIBUNE ONLINE hier.

Rechtsstaatliche Probleme

Wie die Gerichte künftig in der Sache entscheiden werden, bleibt abzuwarten, denn das neue Selbstbestimmungsgesetz steht auch zum deutschen Grundgesetz verschiedenfach in einem Spannungsverhältnis. So besagt Art. 3 Abs.3 GG beispielsweise wörtlich: «Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.» Und Art. 1 GG erklärt die Menschenwürde als unantastbar.

Auf die juristische Begründung, wie es denn mit der Menschenwürde vereinbar sein soll, dass es künftig quasi Frauen erster (biologische) und zweiter (selbstdeklarierte) Kategorie geben soll, darf man mit Spannung warten. Oder wie sonst soll der Umstand gewertet werden, dass ein Teil der Frauen in spezifischen Frauenräumen Zutritt hat, der andere Teil nicht? Nach der letzten Rechtsentwicklung in diesem Themenbereich durch die obersten deutschen Gerichte zu urteilen, wäre es auch überhaupt nicht erstaunlich, wenn die Gerichte die geschützten Frauenräume mit Verweis auf das Diskriminierungsverbot bald aufgeben würden.

In diese Richtung deutet auch eine Äusserung der Familienministerin Paus. In einer Medienkonferenz antwortete sie auf die Frage, wie sie sicherzustellen gedenke, dass die (biologischen) Frauen in ihren Safe Spaces weiterhin geschützt blieben: «Eine Transfrau ist eine Frau.»

Das zeigt: Die Idee, die Definition des Geschlechts wie nun mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz einfach der Selbstdeklaration zu überlassen, schafft enorme rechtsstaatliche Probleme. Kritiker werfen den Ideologen denn auch immer wieder vor, den Paradigmen-Wechsel nicht zu Ende gedacht zu haben.

Offenbarungs-Verbot

Eine zusätzliche Brisanz erhält das neue Gesetz durch das Offenbarungsverbot nach § 13 Satz 1: «Sind Geschlechtsangabe und Vornamen einer Person nach § 2 geändert worden, so dürfen die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden.» Bei Zuwiderhandeln gegen dieses Verbot werden Strafen bis zu EUR 10’000 angedroht.

Der Gesetzestext nennt zwar auch hier eine Reihe von Ausnahmen, etwa wenn die Daten für «öffentliche Stellen» nötig sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen, oder wenn «besondere Gründe des öffentlichen Interesses» eine Offenbarung erforderten – wobei aber gemäss Gesetzestext vor allem an die Interessen der Strafverfolgungsbehörden gedacht wurde.

Auch das Offenbarungsverbot ist unter rechtstaatlichen Aspekten höchst problematisch. Es stellt etwa einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dar, verbietet es doch Medienschaffenden eine Berichterstattung über wahre Tatsachen unter Strafandrohung. Kritische Beiträge z.B. über einen Sportler wie die US-amerikanische Transschwimmerin Lia Thomas sind damit kaum mehr möglich – denn wie will ein Medienschaffender über die Thematik der unfairen Wettkämpfe zwischen biologischen und Transfrauen berichten, wenn er die Fakten nicht mehr nennen darf?

Problematik der Minderjährigen

Ein anderer grosser Kritikpunkt der Gegner des Gesetzes betrifft die Regelung bei Minderjährigen, geregelt in
§ 3 SBGG: Beim Kindern bis 5 Jahren können die Sorgeberechtigten alleine über den Geschlechtseintrag des Kindes entscheiden. Mit anderen Worten: Auch ein Kind, das mit klar ausgebildeten männlichen Genitalien und XY-Chromosomen zur Welt gekommen ist, kann von den Eltern ohne Weiteres als Mädchen eingetragen werden. Im Alter zwischen fünf und 14 Jahren können die Sorgeberechtigten das Geschlecht nurmehr mit dem Einverständnis des Kindes wechseln, ab 14 Jahren kann das Kind das selbständig, braucht aber das Einverständnis der Sorgeberechtigten.

Falls diese, oder auch nur ein Elternteil, nicht einverstanden sind, kann ein Familiengericht einspringen, sofern die Umdeklaration dem Kindswohl nicht schadet. Wie ein Familiengericht dazu in der Lage sein soll, diese Frage zu klären, ist eine der vielen offenen Fragen des neuen Gesetzes. Ab dem 18. Lebensjahr kann dann jede Person völlig selbständig entscheiden.

Entwicklungspsychologen, die dem Gesetz kritisch gegenüberstehen, machen darauf aufmerksam, dass wissenschaftlich als erwiesen gilt, dass die Entwicklung des Hirns erst im Alter von 25 Jahren abgeschlossen ist und stehen deshalb sowohl der Umdeklaration wie auch operativen Geschlechtsanpassungen vor der vollständigen neurologischen Entwicklung skeptisch gegenüber.

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