Das Bundesgericht hat am 17. Januar 2025 in einem bemerkenswerten Urteil (2C_405/2022) entschieden, dass der Betrieb der katholischen Mädchenschule Kathi in Wil (SG) nicht mit den Prinzipien der konfessionellen Neutralität und der Gleichbehandlung vereinbar ist. Diese Entscheidung, die sowohl lokal als auch national für Aufmerksamkeit sorgte, wirft die Frage auf, wie religiöse Schulen in der Schweiz zu positionieren sind und führt zu einer grundsätzlichen Debatte über die Trennung von Kirche und Staat.
Die Schule Kathi, die von der Stiftung Schule St. Katharina geführt wird, blickt auf eine jahrzehntelange Tradition als katholische Mädchenschule zurück. Und so wird der Zweck der Stiftung im Handelsregister beschrieben:
Die Stiftung bezweckt die Führung von Bildungseinrichtungen im Geiste der christlichen Werteschule mit Offenheit gegenüber anderen Religionen, wie sie von der Schwesterngemeinschaft des Dominikanerinnenklosters St. Katharina Wil seit 1809 getragen wurde. Sie kann geschlechtergetrennte oder geschlechtergemischte Schulen führen. Zur Zweckerfüllung können auch eine Tagesschule und ein Internat geführt werden.
Ein Vertrag zwischen dem Kloster St. Katharina und der politischen Gemeinde Wil ermöglichte seit 1996 den Betrieb der Schule, und im Jahr 2016 wurde dieser Vertrag durch einen Nachtrag erneuert, der der Stiftung Schule St. Katharina übertragen wurde. Dies ermöglichte es der politischen Gemeinde Wil, über die Aufnahme von Schülerinnen aus der Gemeinde zu entscheiden. Allerdings brachte dieser Vertrag auch rechtliche Konflikte mit sich, die schliesslich vor das Bundesgericht gelangten.
Gegen die Verfassung verstossen
Das Urteil des Bundesgerichts kommt zu dem Schluss, dass der Betrieb der Kathi in mehrfacher Hinsicht gegen verfassungsrechtliche Prinzipien verstösst. Ein zentraler Punkt ist das Gebot der konfessionellen Neutralität, das für öffentliche Schulen gilt. Laut Bundesgericht umfasst dieses Prinzip nicht nur den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schülerinnen und ihrer Eltern, sondern auch das Ziel, den Religionsfrieden zu wahren.
Das Gericht betont, dass öffentliche Schulen keine Lerninhalte oder -methoden verwenden dürfen, die systematisch auf eine Glaubensrichtung ausgerichtet sind. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass an der Kathi im Alltag bewusst religiöse Akzente gesetzt werden, wie beispielsweise durch Wallfahrten, Gottesdienste, Adventseinstiege, Meditationen oder die sogenannte Assisi-Woche. Das Gericht stellt die Ansicht auf, dass dadurch die konfessionelle Neutralität verletzt werden könne, da von den Schülerinnen erwartet werde, an diesen Aktivitäten teilzunehmen, wobei ein Fernbleiben zwar möglich sei, aber mit Hürden verbunden, wodurch indirekt Druck auf die Schülerinnen ausgeübt werde.
Geschlechtertrennung
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Geschlechtertrennung. Das Bundesgericht stellt die Ansicht auf, dass der Umstand, dass die Schule ausschliesslich Mädchen aufnimmt, dem Grundsatz der Gleichbehandlung widerspreche. In der Schweiz gilt zwar der Grundsatz der Koedukation, doch kann monogeschlechtlicher Unterricht in Einzelfällen zulässig sein, etwa wenn er dazu dient, geschlechtsbedingte Benachteiligungen auszugleichen. Eine generelle Abweichung vom Prinzip der Koedukation, wie sie an der Kathi praktiziert wird, sei verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Das Urteil löst eine breite Debatte aus. Während Kritiker das Urteil als notwendigen Schritt in Richtung einer konsequenten Umsetzung der Trennung von Kirche und Staat begrüssen, sehen Befürworter der Schule in der Entscheidung eine Bedrohung für die kulturelle Vielfalt und die Wahlfreiheit im Bildungssystem. Eine Mutter, deren Tochter die Schule besucht, betont die Qualität der schulischen Ausbildung und die Vermittlung von Werten wie Respekt, Mitgefühl und Gemeinschaftssinn. Viele Eltern schätzen die klare Werteorientierung der Schule und sehen sie als sinnvolle Alternative zu staatlichen Schulen. Auch die historische Bedeutung der Schule wird betont – seit Jahrzehnten sei die Kathi ein fester Bestandteil der lokalen Kultur und Identität von Wil.
Exklusion
Kritiker hingegen weisen auf die potenziellen Nachteile des Modells der Kathi hin, einschliesslich der Exklusion junger Männer und der Frage, ob die finanzielle Unterstützung der Schule durch öffentliche Mittel mit der verfassungsmässig garantierten Trennung von Kirche und Staat vereinbar ist. Ein Vertreter der Beschwerdeführer erklärte, es sei nicht akzeptabel, dass öffentliche Gelder in eine Schule fliessen, die eine spezifische religiöse Agenda verfolgt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die indirekte Beeinflussung der Schülerinnen durch die starke katholische Prägung der Schule. Eltern und Schülerinnen könnten sich gezwungen fühlen, sich den religiösen Praktiken anzupassen, selbst wenn sie einer anderen oder keiner Glaubensgemeinschaft angehören.
Das Bundesgericht hat in seiner Medienmitteilung darauf hingewiesen, dass das Neutralitätsgebot nicht absolut ist und kantonal unterschiedliche Gewichtungen zulässig sind, wobei diese nicht so weit gehen dürfen, dass sie das Prinzip der konfessionellen Neutralität im Kern verletzen. Das Gericht betonte, dass der Grundsatz der konfessionellen Neutralität nicht nur die religiösen Überzeugungen der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer
Eltern schützt, sondern auch den Religionsfrieden wahrt. Diese Ausführungen unterstreichen die Bedeutung des Urteils als wegweisend für die Zukunft religiös geprägter Schulen in der Schweiz.
Konfessionslose überholen traditionelle Kirchen
Die Religionslandschaft der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Basierend auf den aktuellsten Daten ergibt sich folgendes Bild:
- Konfessionslose: Mit 34% (ca. 2,45 Mio. Personen) bilden sie erstmals die grösste Gruppe in der Schweiz.
- Römisch-katholische Kirche: 32% der Bevölkerung (rund 2,3 Mio. Mitglieder).
- Evangelisch-reformierte Kirche: 21% (rund 1,5 Millionen Mitglieder).
- Andere Religionsgemeinschaften: 13%, hauptsächlich andere christliche Konfessionen und islamische Glaubensgemeinschaften (je ca. 6%).
- Der Anteil der Konfessionslosen ist seit 1970 von 1% auf 34% im Jahr 2022 stark angestiegen.
Die traditionellen Grosskirchen verlieren kontinuierlich Mitglieder. Im Jahr 2023 traten 67’497 Personen aus der römisch-katholischen Kirche aus, Die Evangelisch-reformierte Kirche verlor im Jahr 2023 rund 39’000 Mitglieder.
In den Kantonen Basel-Stadt (56%) und Neuenburg (53%) sind die Konfessionslosen in der Mehrheit. In ländlichen Gebieten ist der Anteil der Konfessionslosen geringer (28%) als in städtischen Gebieten (36%).
Bild: Kathi Wil Homepage: Rorate
Kirche und Staat –
ein komplexes Verhältnis
Die Trennung von Kirche und Staat ist ein in der Schweizer Verfassung verankertes Prinzip, doch die Realität zeigt immer wieder deutliche Widersprüche. Denn die Verflechtungen zwischen Staat und Religion sind tief in der gesellschaftlichen und politischen Struktur verwurzelt.
Kirchensteuer: Ein Relikt vergangener Zeiten?
Die Kirchensteuer, die auch Unternehmen zahlen müssen, ist ein Beispiel für die problematische Verquickung von Staat und Religion. Auch Unternehmen ohne religiöse Bindung oder mit säkularer Ausrichtung müssen diese Steuer entrichten. Dies widerspricht dem Neutralitätsgebot und wird zunehmend als anachronistisch empfunden, zumal die Gruppe der Konfessionslosen mit 34% mittlerweile die grösste Bevölkerungsgruppe darstellt.
Konfessioneller Unterricht: Neutralität im Klassenzimmer?
Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, der häufig von staatlich finanzierten Lehrkräften erteilt wird, steht in einem direkten Spannungsverhältnis zur Neutralitätspflicht des Staates. Es stellt sich die Frage, warum solche Programme in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft überhaupt noch existieren.
Feiertage: Privilegierung einer Religion?
Gesetzlich festgelegte christliche Feiertage wie Ostermontag oder Weihnachten bestimmen nach wie vor den öffentlichen Kalender. Sie spiegeln eine historische Dominanz des Christentums wider, die den heutigen gesellschaftlichen Realitäten mit wachsender religiöser Vielfalt nicht mehr gerecht wird.
Warum die Trennung wichtig bleibt
Die Trennung von Kirche und Staat ist mehr als ein idealistisches Prinzip – sie ist die Grundlage für Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und eine funktionierende Demokratie. Nur eine klare Trennung garantiert, dass
- Niemand wird zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung gezwungen.
- alle Religionen und Weltanschauungen gleichberechtigt sind.
- der Staat gegenüber den verschiedenen Glaubensrichtungen neutral bleibt.
Schutz vor Diskriminierung und Machtmissbrauch
Die enge Verbindung von Staat und Kirche birgt die Gefahr, Andersgläubige und Konfessionslose zu benachteiligen oder allen Bürgern religiöse Vorschriften zu machen. Gerade in einer multireligiösen Gesellschaft wie der Schweiz ist dies ein ernst zu nehmendes Problem.
Herausforderungen für die Demokratie
Die Trennung von Staat und Kirche ist auch ein Schutzschild für die Demokratie. Sie verhindert, dass religiöse Institutionen politische Macht übernehmen oder religiöse Normen die Gesetzgebung dominieren. Nur ein neutraler Staat kann garantieren, dass alle Bürger – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – vor dem Gesetz gleich sind.
Vielfalt und Integration
Eine klare Trennung fördert die Vielfalt, indem sie unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen Raum zur freien Entfaltung gibt. Sie schafft die Voraussetzungen für einen offenen Dialog und die gleichberechtigte Integration religiöser Minderheiten.
Die Realität: eine Gratwanderung
De facto existiert in der Schweiz kein striktes Trennungsmodell, sondern ein Kooperationsmodell, das staatliche Neutralität und Zusammenarbeit mit den Kirchen verbindet. Während dies historisch erklärbar ist, bleibt die Frage, ob diese Praxis in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft zukunftsfähig ist. Die aktuellen Austrittszahlen aus den christlichen Kirchen und der wachsende Anteil der Konfessionslosen sind deutliche Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels.
Das Urteil des Bundesgerichts zur katholischen Mädchenschule Kathi markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer konsequenten Umsetzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze. Um die Trennung von Kirche und Staat in der Schweiz konsequent umzusetzen, braucht es aber mehr als juristische Entscheide. Es ist an der Zeit, religiöse Privilegien kritisch zu hinterfragen und eine laizistische Zukunft aktiv zu gestalten.