Von einer grossen Idee zu einem bösen Verdacht: Der Fall Reto Hartmann

Vor bald zwei Jahren enthüllte INSIDE-JUSTIZ, dass ein Bündner Verwaltungsrichter der CVP der Vergewaltigung beschuldigt wurde. Unterdessen wurde der Beschuldigte vom Regionalgericht Plessur in erster Instanz verurteilt. Als ein Leserbrief-Kommentator den beschuldigten Richter der Arroganz bezichtigte, reichte dieser Strafanzeige wegen Ehrverletzung und Rassendiskriminierung ein. – Was folgt, ist eine Justizposse.

Im Jahr 2009 stiess Reto Hartmann auf eine Idee, die ihn nicht mehr loslassen sollte. An der kanadischen Nipissing University hatten Forscher ein Verfahren entwickelt, um hochgiftige Rückstände aus dem Bergbau zu reinigen und dabei wertvolle Metalle wie Gold und Silber zurückzugewinnen. Da die Bergbaubranche seit jeher eine enorme Menge an Sondermüll produziert, erkannte er im neuen Verfahren ein grosses Potenzial:  eine innovative Technologie, die Umweltprobleme löst und gleichzeitig profitabel ist. „Ich bin kein Grüner, aber ich glaube, dass wir dem Planeten mehr Sorge tragen müssen,“ sagt er gegenüber der NZZ. Als CEO des kleinen Schweizer Rohstoffunternehmens United Commodity (UC) sass er auf der richtigen Position, um sich so einem Unterfangen annehmen zu können.

In der Folge brauchte es eine Fabrik. Das Team rund um Hartmann fand eine alte Fabrik im kanadischen Cobalt, Ontario, die über die notwendigen Lizenzen verfügte und kostengünstig zu übernehmen war. Für ihn war es der perfekte Ort für die industrielle Umsetzung der Technologie. Über vierzig Mitarbeitende wurden daraufhin eingestellt. Das Ziel war ehrgeizig: Zehn Tonnen verseuchtes Material pro Tag sollten verarbeitet werden, was einer ernstzunehmenden Grösse entspricht.

Anfangs sah alles vielversprechend aus. Die kanadische Regierung sprach Fördermittel, Investoren zeigten Interesse, und die Produktionsanlage nahm 2013 ihren Betrieb auf. Hartmann prophezeite 2013 voller Selbstbewusstsein, dass UC in wenigen Jahren Gewinne erzielen und weltweit Raffinerien betreiben könnte.

Doch die Realität holte das Unternehmen bald ein. Der Aufbau der Anlagen verschlang immense Summen, technische Probleme und Becken mit umweltgefährdenden Stoffen, das zu überlaufen drohte, verzögerten die Produktion. 2013 fielen dann noch die Preise für Gold und Silber. Dazu kamen Liquiditätsprobleme.

Vom Unternehmer zum Ziel der Kritik

All diese Probleme sorgten dafür, dass Hartmann und United Commodity Geld brauchten. Man entschied sich für ein spezielles Geschäftsmodell: Aktien werden an Kleinanleger verkauft, die meisten übers Telefon. Die Aktien wurden an der Börse in Stuttgart kotiert. Dort sind die Vorschriften weniger streng. UC und ihr Praxis gerieten damals medial in die Kritik. Von „wunderlichen Methoden, Aufschwatzung und Parallelhandel“ war die Rede. Auch Hartmanns Vergangenheit wurde zum Gesprächsthema. Seine Entlassung als Konzernchef von Valora im Jahr 2003 wurde wieder aufgerollt. Damals hatte man ihm vorgeworfen, hinter dem Rücken des Verwaltungsrats den Verkauf des Unternehmens vorbereitet zu haben. Hartmann bestreitet das bis heute. Zudem erstattet die Firma Anzeige gegen Personen aus dem eigenen Umfeld, weil diese mit dubiosen Kontakten zusammengearbeitet hätten, so die NZZ. Und auch Hartmann selbst liess sich übers Ohr hauen. Bei einem angebotenen Kredit sollte er in einer Bank in Thun 400’000 Franken in einen Umschlag stecken, um seine Kreditwürdigkeit zu beweisen. Er tat es, die Frau mit ihm im Raum tauschte den Umschlag aus und verschwand. Ein CEO, der sich so plump um Geld bringen liess: der Hohn war ihm gewiss.

Als UC in immer grössere finanzielle Schwierigkeiten geriet, versuchte Hartmann, das Unternehmen durch einen Zusammenschluss mit der kanadischen Firma Bonaparte Exploration zu retten. Er schlug den Aktionären einen Deal vor, sie sollen ihre Aktien gegen eine Beteiligung bei der kanadischen Firma tauschen. Bonaparte erwies sich später aber laut Ermittlungen als Mantelgesellschaft ohne echte Aktiva. United Commodity geriet dadurch selbst ins Blickfeld der Strafverfolgung. In Deutschland eröffnete die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Verfahren wegen des Verdachts der Marktmanipulation. In Zürich begann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen, da sie von mehreren Banken Geldwäschereimeldungen und Strafanzeigen von Privatanlegern erhält. Was folgte, war ein rechtlicher Schlamassel.

Die Ermittlungen: Ein Staatsanwalt und seine Fehler

In Zürich übernahm der Staatsanwalt Manfred Welti, erfahrener Ermittler für Wirtschaftskriminalität. Er hatte schon bald einen Verdacht: UC habe Investoren getäuscht und sich als zukunftsfähiges Unternehmen ausgegeben, obwohl es von Anfang an ein „Lügengebäude“ gewesen sei. Gerade die kanadische Firma sei vielmehr eine inaktive Firma ohne Rohstoffe, nennenswerte Aktiven oder Personen gewesen. Die Konten von UC wurden daraufhin blockiert, Anfang 2016 ging die Firma in Konkurs, die Fabrik in Kanada wurde zu einem Spottpreis veräussert.

Welti legte sein Augenmerk am Anfang vor allem auf den Vizepräsidenten und einige Geschäftspartner. Hartmann selbst geriet nicht in sein Visier. Erst nach drei Jahren kam es zu einer Ausweitung des Strafverfahrens, wobei Hartmann zuvor nur immer als Auskunftsperson galt. Welti begründete dies damit, dass der hinreichende Tatverdacht sich erst im Laufe der Zeit entwickelt habe. Und so wurde erst 2018 die Wohnung von Hartmann durchsucht.

Zudem kam es durch Staatsanwalt Manfred Welti zu diversen informellen Treffen mit Zeugen und Beschuldigten, darunter dem Finanzchef von UC, Walter B. Dieser übergab dem Staatsanwalt sensible Geschäftsdokumente, die später in den offiziellen Akten nicht auftauchten, und erhob schwere Vorwürfe gegen Hartmann. Diese Gespräche protokollierte der Staatsanwalt jeweils mit unleserlichen, handschriftlichen Notizen. Erst 2020 fand der Verteidiger von Hartmann heraus, dass solche informellen Treffen stattgefunden hatten. Den Vorwurf ein Geheimdossier geführt zu haben stritt Welti jeweils konsequent ab. Er habe keine Erkenntnisse aus den Gesprächen gezogen, die er für die Ermittlungen genutzt habe. Solche informellen Methoden und die fehlende Protokollierung wurden dem Staatsanwalt schliesslich zum Verhängnis.

Im September 2020 kam es dann zu einem vernichtenden Entscheid des Zürcher Obergerichts. Das Gericht erklärte Welti für befangen und seine Arbeit für unzulässig. Er habe informelle Gespräche geführt, hätte das Strafverfahren nicht erst nach drei Jahren auf Hartmann ausdehnen dürfen, sprach von gravierenden Verletzungen der Parteirechte. Alle Ergebnisse seiner Ermittlungen wurden für unbrauchbar erklärt, und der Fall musste neu aufgerollt werden. Die Oberrichter sprachen von einem „krassen“ Verstoss gegen die Vorgaben.

Welti, mittlerweile im Ruhestand, wollte sich gegenüber der NZZ nicht äussern. Die Oberstaatsanwaltschaft beteurte, dass die Kontrollmechanismen, die es gebe, einwandfrei funktioniert hätten. Eine Einflussnahme durch Vorgesetzte sei unserem Rechtssystem fremd, man analysiere aber solche Entscheide und treffe, wo angezeigt, Massnahmen.

Zusätzlich betont der Artikel: Zu Ausständen kommt es extrem selten. Zwischen 2020 und 2023 wurden vom Zürcher Obergericht gerade einmal 10 Ausstandsbegehren tatsächlich bewilligt.

Ein Ende – aber ohne Entschädigung

Nun übernahm der Staatsanwalt Urs Wiedemann. Die neuen Ermittlungen zogen sich über Jahre hin. Im Herbst 2023 wurde das parallele Verfahren in Deutschland eingestellt, und ein halbes Jahr später folgte die Zürcher Staatsanwaltschaft. Hartmanns Ruf nach einer Entschädigung wurde jedoch ausgeschlagen. Die Begründung lag für die Staatsanwaltschaft darin, dass Hartmann habe das Strafverfahren durch täuschendes Verhalten schuldhaft ausgelöst habe. Er habe den Anlegern die schwierige Lage des Unternehmens verschwiegen, so Wiedemann. Für Hartmann war dies ein schwerer Schlag, hatte er nicht nur berufliche Existenz, sondern auch Familie und Ruf verloren.

Ein Fall, der Fragen aufwirft

Die Geschichte von Reto Hartmann wirft viele Fragen auf. Wie konnte ein Verfahren mit solch gravierenden Fehlern für alle Beteiligten derart katastrophal enden? Und wer trägt letztlich die Verantwortung für das Scheitern? Der Unternehmer, der seine Vision nicht realisieren konnte, oder ein Rechtsstaat, der seine Kontrollmechanismen nicht ausreichend genutzt hat?

Das Unternehmen schien schon am Abgrund zu stehen, die Untersuchungen waren der vollendete Todesstoss. Die Ermittlungen Manfred Weltis, die die Vorgaben krass verletzten, sorgten im Endeffekt vor allem auch dafür, dass kein ordentliches Gerichtsverfahren zustande kam. Beweise aus fünf Jahren Ermittlungsarbeit mussten für ungültig erklärt werden. Geschädigt sind dadurch im Endeffekt nicht nur Hartmann, auf dem das Hauptaugenmerk des NZZ-Artikels liegt, sondern auch die diversen Kleinanleger, dich aufgrund der schlechten Ermittlungsführung nach wie vor nicht wissen, ob sie durch United Commodity betrogen wurden. Sicher ist: auch ihr Geld ist weg.

Bildnachweis:  Reto Hartmann (re.) und sein United Commodity-Finanzchef Jochen Schäfer (li.).zvg

Manfred Welti – Staatsanwalt ohne Gesicht

Manfred Welti, ein Zürcher Bezirksanwalt, stand im Verlauf seiner Karriere immer wieder im Zentrum bedeutender und oft kontrovers diskutierter Strafverfahren. Sein Name tauchte in einigen der prominentesten Fälle der Schweizer Justizgeschichte auf, in denen es um Betrug, Bestechung und Korruption ging. Doch Welti, der für seine Entschlossenheit bekannt war, zog mit seinen Ermittlungen auch Kritik auf sich, insbesondere wenn es zu Fehlern oder Verzögerungen kam.

Einer der bekanntesten Fälle, in denen Welti eine zentrale Rolle spielte, war der Fall Peter Aliesch, ein Bündner Regierungsrat, der unter dem Verdacht der Bestechung stand. Die Bündner Regierung betraute Welti und seinen Zürcher Kollegen Christian Weber mit den Ermittlungen. Gleichzeitig war Welti auch für die Untersuchung gegen den griechischen Geschäftsmann Panagiotis Papadakis zuständig, der wegen Anlagebetrugs, Geldwäscherei und Bestechung von Aliesch angeklagt war. Trotz seiner Bemühungen geriet Welti in die Kritik, da der Fall Aliesch nicht so schnell vorankam, wie es von der Öffentlichkeit und den Medien erwartet wurde.

Ein weiterer Fall, der Welti ins Rampenlicht rückte, war die ETH-Computeraffäre. Als vierter Untersuchungsbeamter übernahm er ein Verfahren, das durch die Hände mehrerer Kollegen gegangen war. Der Fall betraf schwerwiegende Unregelmässigkeiten bei der Beschaffung von ETH-Großrechnern. Mit über 180 Bundesordnern an Akten und einem bereits zwei Jahre währenden Verfahren begann Welti erneut von vorn. Die langwierigen Ermittlungen und die mangelnden Fortschritte führten zu öffentlichen Protesten und verstärkten den Druck auf die Justiz.

Auch im Bereich der Finanz- und Börsenbetrugsfälle war Welti aktiv. Im Fall Westexx, einem Schneeballsystem, das über 100 Anleger um mehr als fünf Millionen Franken betrogen hatte, trieb er die Ermittlungen voran. Zwei Hauptbeschuldigte wurden schliesslich zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. In der Swisskap-Affäre, die Anleger um fast 10 Millionen Franken betrog, war Welti ebenfalls federführend. Trotz der Verurteilungen in diesen Fällen wurde seine Arbeit oft als ineffizient und fehleranfällig kritisiert.

Der Fall Simon P., der als falscher CIA-Agent über eine Million Franken ergaunerte, war einer der spektakulärsten Fälle, an denen Welti beteiligt war. Simon P. überzeugte seine Opfer mit abenteuerlichen Lügengeschichten und gefälschten Dokumenten, bevor er schliesslich verurteilt wurde. Während Welti während der Vernehmungen seine Entschlossenheit unter Beweis stellte, warfen Kritiker auch in diesem Fall Fragen nach der Effektivität seiner Ermittlungen auf.

Weitere prominente Fälle, in denen Welti ermittelte, waren der Betrug durch den Konzertveranstalter Harry Sprenger, der die Suisa um eine halbe Million Franken prellte, sowie der Fall des Handballclub GC, bei dem ein ehemaliger Präsident fast 10 Millionen Franken veruntreut hatte. In beiden Fällen wurden die Beschuldigten zu teilbedingten Freiheitsstrafen verurteilt. Welti war auch in den Skandal um zwei Börsenschwindler involviert, die Anleger mit einem Schneeballsystem um mehrere Millionen Franken betrogen hatten.

Trotz der Vielzahl an Verfahren, in denen Welti tätig war, blieb seine Karriere von kontroversen Diskussionen geprägt. Insbesondere der Fall Reto Hartmann, in dem Welti massive Fehler unterlaufen sein sollen, hat sein Erbe in der Justiz überschattet. Kritiker bemängeln, dass er in vielen Fällen ineffizient arbeitete und einige Ermittlungen unnötig in die Länge zog.

Manfred Welti ist inzwischen pensioniert. Damit bleibt er von jeglicher Verantwortung für die Fehler, die während seiner Laufbahn gemacht wurden, befreit. Sein Wirken hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck und wird weiter für Diskussionen sorgen. 

Roger Huber

 

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