Strafrechtlicher Paradigmenwechsel? Die neue Verantwortung von Treuhändern

Erneut hält das Bundesgericht seine schützende Hand über Ladina Nick (Leiterin Rechtsdienst Steuerverwaltung), die ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchung, ESTV) und verurteilt einen Treuhänder zu einer Busse von CHF 5’000.00, weil dieser nicht wusste, was eine Saffiano-Tasche ist. Das Bundesgericht biegt einen jahrelangen Appenzeller Murks zurecht . Ein weiterer fragwürdiger Entscheid.  (BGE 9C_308/2024 und 98C_309/2024)

In Dreierbesetzung hat das Bundesgericht zwei Beschwerden eines Treuhänders abgewiesen. Beteiligt waren die Bundesrichter Francesco Parrino (oben links), Michael Beusch (oben rechts) und Bundesrichterin Karin Scherrer Reber (unten).  Die Tragweite dieses Entscheids für die Steuerberatungsbranche kann noch nicht abgeschätzt werden. Nach Ansicht des Bundesgerichts trägt ein Chef einer Treuhandgesellschaft die strafrechtliche Verantwortung für die Buchungspraxis seiner Mitarbeiter. Werden geschäftsmässig nicht begründete Belege verbucht, soll nicht mehr zwingend das buchende Personal verurteilt werden, sondern direkt der vorgesetzte Treuhänder zur Rechenschaft gezogen werden. Die vorgesetzte Person wird Wissen zurechnet («muss oder hätte wissen müssen»). Das jahrzehntelang bewährte Prinzip der individuellen Zuweisung der strafrechtlichen Tatbestandsmässigkeit wird auf diese Weise aufgeben.

Jeder Inhaber einer Steuerberatungs- und Treuhandgesellschaft wird sich nach diesem Urteil künftig überlegen müssen, ob er überhaupt noch das Risiko «Buchen von Kundenbuchhaltungen» eingehen darf, oder ob er nicht besser diese Dienstleistung zum strafrechtlichen Schutz seiner Person aufgeben soll.

Wildwestmethoden im Kanton Appenzell Ausserrhoden

Inside Justiz hat über die rüden Methoden mit Postzustellung «Express-Mond» der Rechtsleiterin Ladina Nick (Kantonales Steueramt AG) bereits früher berichtet. Das Obergericht Kanton Appenzell A.RH. hat rechtskräftig die krasse und mehrfache Gehörsverletzung durch die Verfahrensführung der Leiterin Recht KSTA AR, Ladina Nick, festgestellt. Der konkrete Fall betrifft ein Ehepaar aus dem Kanton AR, das offenbar in den Jahren 2009 und 2010 mit Hilfe eines Treuhandunternehmens Steuern hinterzogen hat.

Der Sachverhalt wurde von der ASU/ESTV jahrelang aufbereitet, wobei gemäss Sachverhalt des Bundesgerichts nur gerade das Ehepaar befragt wurde. Weitere Zeugen/Auskunftspersonen wurden offenbar nie befragt. Im Sachverhalt ist noch eine Sachbearbeiterin aufgeführt, welche aber die Aussage verweigert hat.

Am 12. Dezember 2019, wenige Tage vor Eintritt der Verjährung, hat Ladina Nick gegen den Treuhänder mittels einer Post-Express-Mond-Sendung ein Steuerstrafverfahren wegen Gehilfenschaft zur Steuerhinterziehung eröffnet. Warum Ladina Nick die zeitliche Planung nicht sorgfältiger vorgenommen hat, sondern bis 19 Tage vor Eintritt der Verjährung zugewartet hat, ist eines der ungeklärten Rätsel um die sonderbare Verfahrensführung von Ladina Nick.

Jedenfalls hat Ladina Nick in der Folge die Gehörsrechte des Treuhänder derart gravierend verletzt, dass das Obergericht Kt. AR mit Urteil O2V 20 9 / O2V 20 25 vom 10. Dezember 2020 die Strafverfügung kassiert hat. Die Kassierung eines Urteils aufgrund krasser Verfahrensverletzung führt in der Regel dazu, dass alle Entscheide (und damit zusammenhängende Entscheid) als nichtig geltend und insbesondere der Eintritt der Verjährung nicht gehemmt wird.

«Unbürokratische» Mutation eines Einspracheentscheides zur einer Verfügung

Zur nichtigen Verfügung gehörte auch der Einspracheentscheid vom 20. April 20202 gegen die Strafverfügung vom Dezember 2019. Erstaunlich, das Bundesgericht erkennt im Einspracheentscheid vom 20. April 2020 eine mutierte verjährungsausschliessende «neue Verfügung». Dass es diesen Einspracheentscheid ohne die kassierte Verfügung überhaupt nicht gäbe, interessiert die Höchstrichter aber nicht. Ebenso wenig kümmert das Bundesgericht die Tatsache, dass gegen diese neu mutierte Verfügung kein eigenständliches Einspracherecht besteht, was mithin eine rechtswidrige Verkürzung des Rechtsmittelwegs darstellt.

Die vom Treuhänder monierte Rechtswegverkürzung putzt das Bundesgericht mit einem Satz weg: «Der Rechtsweg hinsichtlich der Verurteilung selbst (Einsprache, Beschwerde) wird von Art. 184 Abs. 2 DBG ohnehin nicht tangiert und stand dem Beschwerdeführer auch «unverkürzt» offen.»

Dass der Beschwerdeführer kein selbständiges Einspracherecht gegen die mutierte Verfügung vom 20. April 2020 hatte, blendet das Bundesgericht billigend aus. Im Gegenteil,  das Bundesgericht hält dem Beschwerdeführer vor, dass er bezüglich Verfügung ein «formelles» Verständnis pflegt. Das ist bemerkenswert, weil doch üblicherweise gerade das Steuerrecht einem streng formellen Verständnis folgt.

Ladina Nick (kleines Bild im Kasten) stellt nach dem erwähnten Urteil des Obergerichts AR vom Dezember 2020 die Verfahren 2009 und 2010 hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern ein. Gleiches tut sie bezüglich der Direkten Bundessteuer 2009. Entschädigungen und Genugtuung werden keine zuerkannt. Für die Direkte Bundessteuer 2010 verhängt Ladina Nick mit Strafverfügung vom 10. März 2023 eine Busse von CHF 5’000.00

Aleatorischer Vorgang

Aus dem Sachverhalt des Bundesgericht ist die Rally der Bussensanktion schön nachgezeichnet.

  • Ladina Nick verhängt im Dezember 2019 eine Busse von CHF 10’000 (je CHF 5’000 für 2009 und 2010);
  • im Einspracheverfahren 2020 wurde die Busse auf CHF 30’000 erhöht und schliesslich wieder auf CHF 10’000 festgesetzt.
  • Nach Wegfall der Steuerperiode 2009 zufolge Verjährung standen wiederum CHF 5’000 als Sanktion im Raum.

Der Beschwerdeführer rügt hierzu, dass die Bussensanktion von CHF 5’000 seit Dezember 2019 feststand und zufolge langer Verfahrensdauer und dem langen Zeitablauf der Geschehnisse angemessen reduziert werden muss. Das Bundesgericht lehnt eine Reduktion ab mit dem Verweis, dass der Vorinstanz ein Ermessenspielraum zusteht. Art. 48 lit. e StGB hält das Bundesgericht offenbar nicht für anwendbar, obschon das Bundesgericht einen Abschnitt weiter oben selbst auf Art. 47ff StGB referenziert.

Verfahrenseinstellung und trotzdem keinen Anspruch auf Genugtuung und Parteikostenersatz

Das Bundesgericht lässt den Beschwerdeführer auf seinen mutmasslich erheblichen Anwaltskosten für das jahrelange Verfahren sitzen und verweigert «mangels Rechtsgrundlage»  eine Kostenübernahme durch den Kanton Appenzell Ausserrhoden.

Art. 6 Ziff. 1 EMRK und die fair trial-Regeln halten die Höchstrichter nicht für anwendbar.

Damit hat das Bundesgericht eine Art «Verdachtsstrafe» begründet, indem der Beschwerdeführer auf den notwendigen Verteidigungskosten von mutmasslich x-tausend Franken sitzen bleibt.

Es ist erstaunlich und nicht nachvollziehbar, dass das Bundesgericht die „fair trial“-Regeln der EMRK nicht anwenden will, kann es doch nicht korrekt sein, dass ein Freispruch in einem Strafverfahren dazu führt, dass eine beschuldigte Person auf ihren Kosten sitzen bleibt.

Fehlende institutionelle Unabhängigkeit der ASU/ESTV

Einmal mehr verweigert das Bundesgericht eine einlässliche Auseinandersetzung mit der offenkundig fehlenden institutionellen Unabhängigkeit der ASU. Allein der Hinweis der Höchstrichter, wonach eine gerichtliche Überprüfung der ASU-Befunde durch ein unabhängiges Gericht möglich war, ist allenfalls theoretisch normativ richtig. Tatsächlich ist uns kein einziger Fall bekannt, wo eine gerichtliche Instanz die ASU-Befunde jemals kritisch und sorgfältig gewürdigt hat. Es wird von den Gerichten vielfach einfach kritiklos für bare Münze übernommen, was die ASU behauptet.

Es bleibt zu hoffen, dass der EGMR dereinst auf die fehlende institutionelle Unabhängigkeit der ASU erkennt, damit die Schweiz endlich ihre steuerstrafrechtliche Kodifikation neu fasst, um ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren bieten zu können.

Saffiano-Tasche…Unwissen ist strafbar

Witzig ist, dass das Bundesgericht wie zuvor Ladina Nick und das Obergericht AR offenbar davon ausgehen, dass jeder Mensch weiss, was eine Saffiano-Tasche (grosses Bild oben links)  ist. Nur der «dumme» Treuhänder wusste das offenbar nicht. Dass eine Saffiano-Tasche steuerrechtlich nicht geschäftsmässig begründet sein soll, gehört nach Ansicht der Bundesrichter somit zum Allgemeinwissen.

Keine Willkür will das Bundesgericht in dieser Beurteilung erkennen, obschon ebenfalls allgemein bekannt ist, dass Taschenhersteller auch Aktenmappen, Aktenkoffer usw. herstellen, welche geschäftsmässig wohl begründet sein dürfen. Ob Ladina Nick (Leiterin Rechtsdienst KSTA) mit einer Papiertüte ihre Akten oder ebenfalls einen Aktenmappe eines renommierten Herstellers herumträgt, ist leider nicht bekannt.

Steuerhinterziehung: keine Anwendbarkeit der StPO

Obschon das Verfahren zur Ahndung der Steuerhinterziehung unbestritten ein Strafverfahren darstellt, verweigert das Bundesgericht die Anwendung der StPO. Das stimmt so absolut nicht, weil das Bundesgericht im Urteil selbst an einigen Stellen die StPO zitiert. Das Bundesgericht hält dem anwaltlich vertretenen Treuhänder vor, dass er eine «Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht ansatzweise thematisiert habe». Das Gericht gibt dann allerdings selbst gleich zu erkennen, dass eine Praxisänderung sowieso nicht ansteht.

Nun, vielleicht irrt das Bundesgericht hierzu. Wenn schon unbestritten ist, dass ein Steuerhinterziehungsverfahren ein echtes Strafverfahren darstellt, so ist der Gesetzgeber per se verpflichtet die „fair trial“-Regeln der EMRK zu beachten. Es kann ja nicht der Betroffene eines solchen Verfahrens die Verantwortung dafür tragen, dass es der Schweizer Gesetzgeber bis heute sträflich unterlassen hat, das Steuerstrafrecht unter dem Blickwinkel von „fair trial“ zu kodifizieren.

Die Steuerstrafrechtskodifikation in der Schweiz ist offensichtlich bis heute sehr rudimentär gefasst. Das Steuerstrafrecht wendet in völlig unhaltbarer Weise noch immer Erfolgsstrafrecht  an und betrachtet die Beschuldigten als reine «Objekte» im Verfahren.

Es ist für einen Rechtsstaat dringend an der Zeit , dass Beschuldigte im Steuerstrafverfahren endlich als Subjekte mit Rechten wahrgenommen werden.

Ergebnis

Der beschuldigte Treuhänder muss nach jahrelangem Kampf eine Busse von CHF 5’000 sowie alle Anwalts- und Gerichtskosten tragen und gilt als verurteilter Gehilfe zur Steuerhinterziehung. Allein das Bundesgericht stellt für sein Urteil CHF 6’000 in Rechnung, und die Anwalts- und kantonalen Gerichtskosten dürften sich für das fünfjährige Verfahren auf CHF 15’000 belaufen.

Das Bundesgericht hat mit seinem Urteil die krass mangelhafte und rechtswidrige Verfahrensführung (auch diese Feststellung ist rechtskräftig) von Ladina Nick zurechtgebogen, damit dem Ziel «Verurteilung des Treuhänders» Nachachtung verschafft werden konnte. Der schale Eindruck bleibt, dass das Bundesgericht unbedingt vermeiden wollte, dass ein offenbar als lästig wahrgenommener Treuhänder freigesprochen wird und auch noch von der öffentlichen Hand entschädigt werden muss.

Zurück bleiben mit dem Bundesgerichtsurteil nur Verlierer

  • Ladina Nick als beschädigte Rechtsleiterin des KSTA AR aufgrund ihrer mangelhaften Verfahrensführung;
  • ein vorbestrafter Treuhänder der offenbar nicht weiss, was eine Saffiano-Tasche ist
  • das Bundesgericht mit zumindest diskussionswürdiger Urteilspraxis und das unsägliche Beharren an der (tatsächlich nicht gegebenen) institutionellen Unabhängigkeit der Steuerstraforgane und der ASU/ESTV.

Es bleibt zu hoffen, dass der Treuhänder die Urteile 9C_308/2024 und 9C_309/2024 mit einer Individualbeschwerde dem EGMR zur Beurteilung vorlegen wird.

Die Schweiz hat jedenfalls ein neues, menschenrechtskonformes Steuerstrafrechtsverständnis verdient.

Bildnachweis: Prada

Lesen Sie zu diesem Sachverhalt auch unsere Geschichte: Wildwest-Methoden in Appenzell Ausserrhoden

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Verfahren des EGMR gegen die Schweiz

Dass weder die ASU noch die KSTA  als verwaltungsstrafrechtliche Organe nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK als institutionell unabhängig geltend, kümmert bis heute weder Behörde noch ein Gericht. Auch das Bundesgericht lehnt es regelmässig sichtlich genervt ab, die ASU kritisch zu würdigen. Eine betroffene Steuerpflichtige spricht hier zutreffend vom «schwarze-Peter-Spiel» zum Nachteil der Steuerpflichtigen.

Bleibt zu hoffen, dass der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) die fehlenden institutionelle Unabhängigkeit dereinst sieht und der Rechtsstaatlichkeit endlich Nachachtung verschafft.

 

ASU – Behörde mit enormer Macht

Inside Justiz hat schon mehrfach über die ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchung) berichtet. Stossen die Kantonalen Steuerämter mit ihrem Latein an ein (vermeintliches) Ende oder vermuten sie Machenschaften zum Nachteil des Staates, können sie der ESTV informell das Begehren auf eine Besondere Untersuchung nach Art. 190 ff DBG stellen. Die Vorsteherin des EFD, aktuell BR Karin Keller-Sutter ermächtigt dann in einen weitestgehend undurchsichtigen Vorgang die ESTV in krasser Durchbrechung der Gewaltenteilung  zur Durchführung der Untersuchung.

Die stets im Geheimen operierende ASU ist, was viele nicht wissen, mit einer enormen Machtfülle ausgestattet. Sie darf Haus- und Personendurchsuchungen und Einvernahmen durchführen und Beschlagnahmungen (Bankkonti, Guthaben, usw.) sowie Grundbuchsperren veranlassen. Von diesem Zwangsmassnahmerecht macht die ASU in der Regel exzessiv Gebrauch, was für die Betroffenen häufig gravierende existenzielle Folgen hat.

Bei der Beschlagnahme handelt es sich um eine konservatorische Massnahme für die Dauer des Verfahrens (Art. 46 Abs. 1 VStrR). Für den Betroffenen ist mit der Beschlagnahme das Vermögen zwar nicht verloren, aber er hat auch kein Recht mehr, darüber zu verfügen. Wissen muss man, dass die ASU nicht selbständig Steuerhinterziehungsverfahren führt. Die ASU erstellt «nur» den ASU-Bericht, der als rechtserhebliche Grundlage Eingang die kantonalen Steuerhinterziehungsverfahren findet.

Bis so ein Verfahren abgeschlossen ist, dauert es vielfach gegen 10 Jahre und deutlich mehr. Besonders stossend ist dabei, dass ein Nachsteuerverfahren nach Erlass einer Strafverfügung durch das Kantonale Steueramt (KSTA) nach Art. 184 Abs. 2 DBG nicht mehr verjährt.

Bis zum Abschluss am Tag X kann der Betroffene somit nicht mehr über sein Vermögen verfügen!

One thought on “Strafrechtlicher Paradigmenwechsel? Die neue Verantwortung von Treuhändern

  1. Arbeiten bei der Steuerbehörde im Kanton Appenzell Ausserhoden seit neustem auch Kinder? Eigentlich sollte eine Leiterin Recht eine gewisse LEbenserfahrung mitbringen; das scheint hier zu fehlen. Kein Wunder also, dass es solche Fälle gibt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.
    Was diesem Treuhänder an UNgerechtigkeit widerfahren ist, macht mich betroffen.
    Ich bin übrigens auch ein Mann und weiss auch nicht was eine Saffiano-Tasche ist.

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