Gemäss mehreren Medienberichten ist die Sarco-Kapsel zum ersten Mal in der Schweiz eingesetzt worden – und das im Kanton Schaffhausen. Der dortige Erste Staatsanwalt Peter Sticher hat gegenüber BLICK.CH am Morgen bereits einen Polizeieinsatz eingeräumt. Später wurden von der Staatsanwaltschaft gemäss BLICK.CH mehrere Festnahmen bestätigt.
Gemäss dem Zeitungsbericht sei eine 64-jährige Amerikanerin in einem Waldstück bei Merishausen mit der Kapsel freiwillig aus dem Leben geschieden. Die Strafverfolgungsbehörden seien von einer Rechtsanwaltskanzlei verständigt worden und hätten in der Folge gegen mehrere Personen wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord ein Strafverfahren eröffnet, heisst es in dem Bericht. Es seien mehrere Personen in Polizeihaft versetzt worden, die Polizei prüfe zudem die Verletzung von weiteren Straftatbeständen. TAGESANZEIGER.CH ergänzte am Dienstagnachmittag, zumindest einige der Festgenommenen befänden sich immer noch in Polizeigewahrsam. Ob die Behörden Untersuchunghaft beantragen wollen, war zunächst nicht Gegenstand der Berichterstattung.
Der «Sarco» (vgl. Bild) ist eine Erfindung der Sterbehilfeorganisation «The Last Resort». Es handelt sich dabei um eine Kapsel, die im 3D-Drucker hergestellt wird. Die sterbewillige Person kann darin Platz nehmen und dann über einen Knopf die Zuführung von Stickstoff auslösen, bis das Gasgemisch in der Kapsel aus 100 Prozent Stickstoff besteht. «Ohne Sauerstoff verliert eine Person schnell das Bewusstsein und stirbt kurz darauf. Der Tod ist friedlich und zuverlässig», schreibt die Betreiberorgansation «The Last Resort» auf ihrer Internetseite.
Wer alles hinter dieser Organisation steht, ist nicht bekannt. Auf der Internetseite schreibt die Organisation: «The Last Resort wurde von einem kleinen internationalen Kollektiv von Menschenrechtsaktivisten (mit juristischem, wissenschaftlichem, medizinischem und gesundheitsbezogenem Hintergrund) gegründet, die den Prozess der Sterbehilfe in der Schweiz diversifizieren (und verbessern) wollen.» Ein Hinweis auf einen postalischen Sitz findet sich auf der Internetseite nicht, dass es sich bei The Last Resort um einen Verein handelt, ist in den Fragen & Antworten auf der Internetseite gut versteckt.
Erst eine Recherche in den Handelsregisterämtern offenbart, dass The Last Resort im Kanton Zug eingetragen ist – mit Gründungsdatum vom 21. November 2023 und mit einer Adresse an der Baarerstrasse 43 in Zug. Bereits nach rund einem halben Jahr des Bestehens wurden am 13. Mai 2024 mit den Rechtsanwälten Florian Willet (als Präsident) in Küsnacht und Carla Stefanie Duran (als Vorstandsmitglied) in Alle de Bravo/Mexico zwei neue Vorstandsmitglieder eingetragen, welche den bisherigen Präsidenten Gerhard Schnorbus (Rickenbach/Solothurn) und Vorstandsmitglied Cordula Henggeler (London/Grossbritannien) ersetzten.
Interessant auch: Noch am 5. August 2024 änderte der Verein bereits seine Statuten. Zum einen korrigierte, dass er seine Unterstützung nicht ausschliesslich Vereinsmitgliedern zugänglich machen wolle. Zum andern liess er aus dem Vereinszweck den Satz streichen: «Mittel: Mittel des Vereins: Mitgliederbeiträge, freiwillige Zuwendungen (Sponsorengelder, Schenkungen, Vermächtnisse etc.), Darlehen.»
Auf der Internetseite stellen sich Florian Willet und Fiona Stewart als Leiter der Organisation vor. Stewart ist gemäss Medienberichten die COO der Organisation und hatte in der Verhangenheit die Sarco-Kapsel bei Medienanlässen vorgestellt. Beide sind Anwälte.
Kontroverse
Seit die Kapsel am 16. Juli 2024 in der Schweiz erstmals vorgestellt wurde, ist eine Kontroverse über die neue Form des assistierten Suizids im Gange. Erst am Montag war der Sarco Thema im Nationalrat. Bundesrätin und Justizministerin Baume-Schneider (SP) erklärte auf eine Frage von SVP-Nationalrätin Fehr-Düsel, die Anwendung des Sarco widerspreche Schweizerischem Recht. Als Gründe machte sie geltend, das Produkt entspreche nicht dem Schweizerischen Produktesicherheitsrecht und dürfe deshalb nicht in Verkehr gebracht werden. Zum zweiten verstosse die Suizidkapsel gegen das Chemikaliengesetz, das eine Anwendung von Stickstoff für einen Suizid nicht vorsehe.
Zu diesen konkreten Einwänden äussert sich «The Last Resort» auf ihrer Homepage nicht. Zu den aufgeworfenen Fragen lediglich: «In einigen Medienberichten wurde zwar behauptet, dass die Verwendung von einer Genehmigung der Schweizer Behörden abhängt, dies entspricht jedoch nicht der Rechtsauskunft, die The Last Resort erhalten hat. Es wird erwartet, dass der Sarco in naher Zukunft in den Privatwohnungen der Menschen in der Schweiz verwendet werden kann.»
Und weiter: «Die Schweizer Regierung hat die Verwendung von Sarco nicht genehmigt. Dies liegt daran, dass nach Schweizer Recht eine Genehmigung nicht erforderlich ist. Das Schweizer Sterbehilfegesetz erlaubt die Verwendung eines Geräts wie Sarco im Rahmen der Sterbehilfe, solange 3 Hauptfaktoren erfüllt sind:
1.) Der Benutzer drückt den Aktivierungsknopf, 2.) Der Benutzer ist urteilsfähig und 3.) Diejenigen, die den Sarco zur Verfügung stellen, sind altruistisch motiviert. Es wird erwartet, dass die Behörden bei der ersten Verwendung des Sarco eine Untersuchung einleiten, um festzustellen, wie der Sarco funktioniert und ob er das tut, was er zu tun vorgibt.»
Bewilligung nicht erforderlich?
Ob das ausreichend ist, wird sich zeigen und dürfte interessantes Juristenfutter werden. Tatsächlich dürfte die Frage nicht so eindeutig zu beantworten sein, wie das die Innenministerin glauben machen möchte. Am Beispiel des Produktesicherheitsrechts, gegen das der Sarco gemäss Baume-Schneider verstossen soll: Tatsächlich regelt zwar Art. 3 Abs. 1 PrSG, dass Produkte «bei normaler oder bei vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und die Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender und Dritter nicht oder nur geringfügig gefährden.» Daraus nun einfach abzuleiten, ein Gerät, das den Suizid bewirken soll, verstosse deshalb per se gegen das Gesetz, erscheint doch als voreilige und wenig reflektierte Auslegung des Gesetzes.
Genausogut wäre denkbar, dass ein Gericht zum Schluss kommt, der besagte Gesetzestext verlange von Sarco lediglich, dass dieser die versprochenen Produkteigenschaften sicher erfülle: Sprich: der Person, die ihr Leben beenden möchte, zuverlässig und sicher zu einem schnellen und schmerzlosen Tod führt – ohne dass ein Risiko für eine schwere Invalidität oder einen langen Todeskampf besteht.
Zudem muss nach Abs. 2 des besagten Gesetzestextes ein Produkt «den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nach Art. 4 oder, wenn keine solchen Anforderungen festgelegt worden sind, dem Stand des Wissens und der Technik entsprechen.» Art. 4 Abs. 1 PrSG legt dann fest, dass der Bundesrat diese «grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen» festlege. Nur hat der Bundesrat gemäss dem Stand unserer Recherchen nie solche Anforderungen für Suizidkapseln erlassen.
Ob die Betreiber von Sarco über Konformitätserklärungen verfügen, ist nicht bekannt. Allerdings dokumentiert die Internetseite von The Last Resort ausführlich, wie die Kapsel vom Australier Philip Nitschke geplant und gebaut wurde. Nitschke hat ursprünglich Physik studiert und sich anschliessend der Medizin zugewandt. Er trägt ein PhD als Medical Doctor.
Art. 3 PrSG: Grundsätze
1 Produkte dürfen in Verkehr gebracht werden, wenn sie bei normaler oder bei vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und die Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender und Dritter nicht oder nur geringfügig gefährden.
2 Sie müssen den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nach Artikel 4 oder, wenn keine solchen Anforderungen festgelegt worden sind, dem Stand des Wissens und der Technik entsprechen.
3 Für die Gewährleistung der Sicherheit und der Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender und Dritter sind zu berücksichtigen:
- die angegebene oder voraussichtliche Gebrauchsdauer eines Produkts;
- der Umstand, dass das Produkt auf andere Produkte einwirkt, sofern seine Verwendung mit diesen andern Produkten vernünftigerweise vorhersehbar ist;
- der Umstand, dass das Produkt für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen auch von Konsumentinnen und Konsumenten benutzt werden kann;
- der Umstand, dass das Produkt von Personengruppen verwendet werden kann, die dabei einer grösseren Gefahr ausgesetzt sind als andere (z.B. Kinder, Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen).
4 Dem spezifischen Gefährdungspotenzial eines Produkts müssen überdies entsprechen:
- seine Kennzeichnung und Aufmachung;
- die Verpackung sowie die Anleitungen für seinen Zusammenbau, die Installation und die Wartung;
- Warn- und Sicherheitshinweise;
- Gebrauchs- und Bedienungsanleitung und Angaben zu seiner Entsorgung;
- alle sonstigen produktbezogenen Angaben oder Informationen.
5 Ein Produkt ist nicht allein deshalb als gefährlich zu betrachten, weil ein sichereres Produkt in Verkehr gebracht wurde.
6 Die Pflichten nach diesem Abschnitt müssen erfüllt werden:
- vom Hersteller;
- subsidiär vom Importeur, Händler oder Erbringer von Dienstleistungen.
Art. 4 PrSG
1 Der Bundesrat legt die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen fest.
2 Er berücksichtigt dabei das entsprechende internationale Recht.