1989 in Chur: Vier Tote, ein Bekennerschreiben und keine Konsequenzen“

Ein Bericht im «DAS MAGAZIN» veröffentlichte einen erschütternden Bericht über einen Hausbrand, der vor 35 Jahren in Chur stattfand und bei dem insgesamt vier Menschen ums Leben kamen. Dass es sich um einen rechtsextremen Brandanschlag handeln musste, wurde von den Ermittlungsbehörden ignoriert, die Ermittlungen eingestellt. Der Bericht von Barbara Achermann und Anja Conzett rekonstruiert nicht nur die Ereignisse jener Nacht, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf das Versagen der Ermittlungsbehörden und die mangelnde gesellschaftliche Aufarbeitung des Rechtsextremismus in der Schweiz. Er zeigt eindrücklich, wie institutionelle Verharmlosung und systematisches Wegschauen dazu führten, dass die Täter nie zur Rechenschaft gezogen wurden.

Es soll ein feierlicher, ein friedlicher Abend gewesen sein am 2. Juli 1989, als sich die tamilische Verwandtschaft in Chur an der Alexanderstrasse traf. Die Eltern von Murali und Mugunthan waren nicht mitgekommen, weil sie arbeiten mussten. Sie wohnten als Familie in St. Gallen, waren in den Achtzigern aus Sri Lanka vor dem brutalen Bürgerkrieg geflohen und arbeiteten nun als Küchenhilfen. Die beiden Buben und die Schwester Mena gingen deshalb mit dem Onkel zum Familienfest nach Chur, weil ihnen langweilig war. Und so kamen in der Wohnung an der Alexanderstrasse gut 15 Leute zusammen, die zusammen den Abend verbrachten bis sich kurz vor Mitternacht auch die letzte Person ins Bett legte.

Um viertel nach zwei ging dann bei der Kantonspolizei der Notruf eines Nachbarn ein. Er meldete, dass das Haus Nr. 38 brenne. Weil der Hauseingang brannte, mussten die Leute fünf Meter in die Tiefe springen. Die meisten verletzten sich, die bewusstlose Mena wurde aus dem Fenster geworfen und unten aufgefangen. Der achtzehnjährige Saththivel Thambirajah und der vierzigjährige Thevarajah Sinnethamby trauten sich nicht zu springen und verbrannten bis zur Unkenntlichkeit. Die beiden Buben Murali und Mugunthan erstickten in ihren Betten.

Zu Wort kommt im Artikel Margrethe Sauter, die gleich nebenan wohnte und die Nacht erlebte. Für sie war schon in der Nacht klar, dass es sich um Mord handeln musste, weil der Hauseingang brannte und dieser unbewohnt war und weil es in Chur damals eine starke Antitamilische Stimmung gab. So gab es beispielsweise die „Anti-Tamilen-Organisation. Für eine saubere Schweiz.“. Sie tat nach den Erste-Hilfe-Massnahmen das, was sie als Journalistin und Fotografin am besten konnte: sie dokumentierte das Geschehen. Die Bilder waren am nächsten Tag im Bündner Tagblatt zu sehen.

Und etwas fiel ihr bereits damals auf: bei jedem Verkehrsunfall kommt normalerweise der Untersuchungsrichter und fordert den Film ein – nicht in diesem Fall. In den Untersuchungsakten finden die die Autorinnen der „Magazin“-Recherche dann auch ein Bekennerschreiben, das an den damaligen Regierungsrat Luzi Bärtsch drei Tage später geschickt wurde. Ein „pakt rütlischwur“ unterschrieb den Brief, in dem stand:

Brandstiftung? JA! Dritte und letzte Warnung an B.Rat Koller, Arbenz & Polit-Konsorten: RAUS MIT DEM ASYLANTEN-u. RAUSCHGIFTPACK AUS UNSEREN DÖRFERN u. STÄDTEN. ODER WIR VERHEIZEN DAS GESINDEL, BIS KEINER MEHR IN UNSEREN HÄUSERN IST!

Antitamilische Stimmungsmache

Der mutmassliche Brandanschlag, beleuchtet der Artikel, fand in einer Zeit statt, in der durch Medienberichte und rechte Parteien gegen tamilische Geflüchtete Stimmungsmache gemacht wurde. Sie galten, trotz Bürgerkrieg, vielerorts als falsche Flüchtlinge. In dieser Zeit erstarkte auch der Rechtsextremismus in der Schweiz, der in Historikerkreisen „kleiner Frontenfrühling“ genannt wird, da der Begriff „Front“, geprägt durch die Nationalsozialisten in vielen rechtsextremen Gruppennamen verwendet wurde. Ein wichtiges Buch über diese Zeit stammt vom mittlerweile verstorbenen Ostschweizer Journalisten Jürg Frischknecht (Siehe Kasten). Es heisst «Schweiz wir kommen. die neuen Fröntler und Rassisten», das sich mit dem Rechtsextremismus und den damit verbundenen Morden auseinandersetzte.

In der Schweiz gab es zwischen 1988 und 1993 dreizehn Todesopfer rechtsextremer Gewalt, was gemessen an der Bevölkerungszahl mehr als überall sonst in Europa sind. Sogar mehr als in Deutschland, wo das rechtsextreme Aufstreben dieser Zeit auch „Baseballschlägerjahre“ genannt wird. Frischknechts Buch zeigt auch: im Jahr 1989 brannten in der Schweiz 13 Mal Geflüchtetenunterkünfte, vier davon im Graubünden. Bei allen Brandanschlägen stellten die Autorinnen fest, geschah genau das gleiche: der Brand wurde jeweils in der Nacht gelegt, mit Brandbeschleuniger im Eingangsbereich, sodass den schlafenden Bewohnern der Fluchtweg abgeschnitten wurde.“ Es gab also eine klare Kontinuität, ein Bekennerschreiben, eine Stimmungsmache und vier tote Menschen. Musste man da nicht alles möglich tun?

Die Rolle der Justiz

Die Polizei selbst, das stellt der Artikel bereits früh fest, suchte gar nie nach politisch motivierten Tätern. Man prüfte, ob es ein Unfall war, ob es jemand aus dem Haus selbst war oder vermutete Rivalitäten innerhalb der Tamilischen Community. Auch der Nachrichtendienst wurde aufgeboten. Aus personellen Gründen und weil man nicht in den tamilischen Personenkreis vordringen könne, sich da nicht auskenne, zog er sich wieder zurück. Nach Tätern im rechtsradikalen Bereich wurde gar nie gesucht.

„Das Magazin“ zeigt die Untersuchungsakten einem erfahrenen Polizisten, der im Artikel Hannes Tarnutzer heisst und damals in der Alexanderstrasse im Einsatz war. Ihm legt man die vollständige Untersuchung vor, die gerade mal aus einem Bundesordner besteht. Seine Reaktionen und Bewertungen sind eindeutig.

Ein Anwohner meldete zwei Tage nach dem Brand, dass ein Putzlappen in der Tanköffnung steckte und ihm Benzin geklaut wurde. Der Tankdeckel war weg. Die Polizei nahm davon keine Fingerabdrücke.

Auch die Zaungäste der Tatnacht wurden nicht befragt, obwohl sich die Täter häufig unter ihnen befinden. Dann der Bericht des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich, der hinzugezogen wurde, der über eine Büchse im offenen Hauseingang feststellte, dass der Inhalt als Brandbeschleuniger fungiert habe. Dann auch das Fazit: „Eine Brandstiftung steht im Vordergrund.“

«Wenn ich das lese, ist es für mich sonnenklar: Brandstiftung. Gemäss Sachverhalt mit dringendem Verdacht auf qualifizierte Tötung – Mord», sagt Tarnutzer.

So hätte die Bündner Polizei den Inhalt genauer untersuchen müssen und einen speziellen Auftrag an die Zürcher Kollegen geben müssen. Dies taten sie aber nicht. Die Büchse, eines der wichtigsten Beweismittel, wurde vernichtet.

Dann eine weitere Erkenntnis: die Sonderkommission löste sich am 5. Oktober auf, der forensische Bericht kam am 10. Oktober 1989. Sie löste sich also fünf Tage vorher auf, wartete nicht einmal den Bericht ab.

Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen mit der Begründung ein, dass die Brandursache nicht eindeutig geklärt werden konnte. Die Opferfamilie erhob Beschwerde dagegen beim Kantonsgericht. Dieses wies die Beschwerde aber ab, sodass das die Ermittlungen endgültig eingestellt wurden. Es änderte sogar noch die Begründung für die Einstellung, weil es wohl sah, dass die Begründung der Staatsanwaltschaft nicht genügte und den Forensikern aus Zürich widersprach. Die neue Begründung lautete: Es gibt keinen Verdacht auf eine konkrete Täterschaft. Und: Es konnte nie herausgefunden werden, wer die rassistischen Flugblätter verfasste.

„Logisch konnten die Urheber nicht gefunden werden, wenn die Polizei nicht danach gesucht hatte“, so die Autorinnen.

Die in der Schweiz übliche Untersuchungsmaxime wurde in diesem Fall krass verletzt.

Die Autorinnen betonen aber auch, dass die Bündner Polizei nicht generell schlecht gearbeitet habe.  Beim Brandanschlag im November 1988 auf das Asylzentrum in Klosters, wo es nur um Sachschaden ging, ermittelten die Beamten mit grosser Sorgfalt und taten ihr Möglichstes, um den Fall ergebnisoffen aufzuklären.

Weshalb war das in Chur anders? Tarnutzer will den Polizisten nicht alles zur Last legen und sagt, die Ermittlungen hingen auch immer stark vom zuständigen Untersuchungsrichter ab. Weshalb die Ermittlungen so dermassen schlecht geführt wurden, ob sie es nicht besser konnten oder absichtlich pfuschten, können die Autorinnen für diesen konkreten Fall nicht beantworten. Eine übergeordnete Antwort finden sie aber im Buch von Jürg Frischknecht: „Die Verharmlosung des Rechtsradikalismus ist bei Beamten der Polizei (und teilweise auch der Justiz) verbreitet, und zwar auf den verschiedensten Stufen.“

Die meisten Akteure dieser Zeit, liegt der Fall auch schon lange zurück, konnten nicht erreicht werden. Der damalige Staatsanwalt und Untersuchungsrichter liess verlauten, er habe stets professionell gearbeitet.

Kritik von namhafter Seite

Dr. Damir Skenderovic (Bild) ist Professor an der Universität Fribourg und der einzige namhafte Historiker, der zum Rechtsextremismus nach 1945 in der Schweiz forscht. Für ihn stehe der Fall symptomatisch für den Umgang mit Rechtsextremismus in der Schweiz: „In der Schweiz wird seit jeher so getan, als habe man kein Problem mit Rechtsextremismus.“ Er wirft der Schweiz kollektive Verdrängung vor, in der man so tue, als sei man ein Sonderfall. Das Nicht-Erinnern sei dabei Programm. Das zeige sich alleine daran, dass in allen umliegenden Ländern viel mehr Forschung zu genau diesem Thema betrieben werden. Skenderovic fordert eine Untersuchungskommission, was damals bei Polizei und Staatsanwaltschaft falsch lief. Zudem brauche es eine breite Erinnerungsarbeit zum Rechtsextremismus in der Schweiz.

In einem Interview mit der „Wochenzeitung“ meldete sich nun diese Woche ein zweiter Historiker zu Wort. Jonathan Pärli sagt, dass ihn der Fall an denjenigen von Oury Jalloh erinnert, der 2005 im deutschen Dessau in Haft verbrannt ist. Alles sprach dafür, dass er von der Polizei umgebracht worden ist – weil die Justiz versagte, seien es engagierte Gruppen, die bis heute Aufklärung leisten.

Pärli sieht aber auch eine Mitverantwortung bei Christoph Blocher und bürgerlichen Kreisen, die eine entmenschlichende Rhetorik gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe fuhren. In Bezug auf den konkreten Fall meint er: „Dabei sollte jeder Stein umgedreht werden, um zu ergründen, warum das Verbrechen nicht aufgeklärt wurde. Neben Tiefenbohrungen zu den einzelnen Taten braucht es aber auch eine Gesamtsicht, wie es zu dieser Gewaltwelle kam und welche Verantwortung die Bundesbehörden und die Bundesanwaltschaft dafür tragen.“

Eins ist aber klar: verurteilt wird dafür niemand mehr, denn in der Schweiz verjährt Mord nach 30 Jahren. Es wird  Murali und Mugunthan nicht mehr zurückbringen. Vielmehr muss es ein Denkanstoss für den Umgang mit der Gegenwart und der Zukunft sein.

Tote durch Rechtsextremismus: kaum Zahlen

Jürg Frischknecht zählt in seinem Buch 13 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt für die Zeit von 1988 – 1993. Sonstige Zahlen zu Todesopfern durch Rechtsextremismus fehlen in der Schweiz jedoch gänzlich. Der Nachrichtendienst erhebt zwar intern Zahlen zu Extremismus und teilt seine Einschätzung. In einer Antwort auf eine Anfrage von Fabian Molina (SP) schrieb der Bundesrat: „In seinem Lagebericht „Sicherheit Schweiz“ veröffentlicht der NDB jährlich eine Zusammenfassung der Statistiken zu Ereignissen im Zusammenhang mit gewalttätigem Extremismus. Der NDB verfügt über Daten, anhand derer er zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen unterscheiden kann. Die Daten, die diesen Statistiken zugrunde liegen, gelten jedoch als vertraulich und können nicht geteilt werden.“

Das Problem daran ist, dass damit „gewaltextremistisch motivierte Ereignisse“ nur als solches ausgewiesen werden – ohne innere Ausdifferenzierung. So zählt der BND für das Jahr 2022 für ein linkes Spektrum 89 solcher Gewaltfälle, für das rechte fünf Taten. Diverse Parameter wie Intensität und gegen was oder wen bleiben dabei offen. Klassischerweise richtet sich linke Gewalt gegen Sachen, rechte Gewalt gegen Menschen. Und auch wenn die Zahlen nicht übertragbar sind, liefern diejenigen aus Deutschland eine Tendenz. Gemäss offizieller Polizeistatistik gab es in den Jahren 2001 bis 2023 51 Tote durch rechte Gewalt. Die deutsche Amadeu-Antonio-Stiftung kommt zu deutlich höheren Zahlen. Im gleichen Zeitraum starben drei Menschen durch linke Gewalt.

Wenn es also um Leib und Leben geht, ist ziemlich klar, woher die Gefahr kommt. Sie trifft jedoch nicht alle gleichermassen. Die meisten der dreizehn Getöteten in der Schweiz von 1988 bis 1993 waren nichtschweizerischer Herkunft: Balamurali und Balamugunthan Kandiah, Thevarajah Sinnethamby, Sathivel Thambirajah, getötet in Chur; Jorge Gomes, getötet in Zürich; Mustafa Yildirim, getötet in Fribourg; Santhakumar Sivaguru, getötet in Regensdorf.

DIE SDA-Meldung vom 2. Juli 1989

Vier Menschen bei Brand in Chur umgekommen – mehrere Verletzte

Chur, 2. Juli (sda) Bei einem in der Nacht zum Sonntag in einer alten Liegenschaft an der Alexanderstrasse in Chur ausgebrochenen Brand sind vier Personen, davon zwei Knaben im Alter von zehn und elf Jahren, ums Leben gekommen. Bei den Opfern handelt es sich um Tamilen, wie die Staatsanwaltschaft und Kantonspolizei Graubünden am Sonntag nachmittag mitteilten. Die Brandursache ist nicht bekannt.

Mehrere Personen, die sich vor dem Feuer, das in einer im hochgelegenen Obergeschoss gelegenen Wohnung ausgebrochen war, durch einen Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen wollten, mussten mit zum Teil schweren Verletzungen in Spitalpflege verbracht werden. Das Gebäude brannte vollständig aus.

Die kurz nach 2 Uhr alarmierte städtische Feuerwehr bekämpfte mit etwa 50 Männern den Brand. Das Feuer konnte innert zwei Stunden unter Kontrolle gebracht und gelöscht werden. Kurz nach Eintreffen der Hilfskräfte wurden die Leichen der beiden Knaben, die über das Wochenende zu Besuch im Haus weilten, aufgefunden werden. Im Zuge der nach den Löscharbeiten aufgenommenen Ermittlungen wurden am späten Sonntagvormittag noch zwei weitere Leichen erwachsener Personen in ihrem Schlafzimmer unter den Schuttmassen entdeckt.

Die Liegenschaft beherbergte früher die Stallungen und später die Garagen der Verbandsmolkerei und heutigen Toni-Molkerei Chur. Sie wurde jedoch in den letzten Jahren von der Eigentümerin nicht mehr gebraucht. Eine sich im Obergeschoss befindende Vierzimmer-Wohnung diente tamilischen Mitarbeitern der Molkerei als Unterkunft. Zur Zeit des Brandausbruchs, dessen Ursache noch unbekannt ist, hatten sich nebst den Mietern noch mehrere Personen aus deren Verwandten- und Bekanntenkreis in der Wohnung aufgehalten, insgesamt etwa fünfzehn Erwachsene und Kinder.

 

Bildnachweis:  Screenshots SRF, Polizei Chur

Jürg Frischknecht: Chronist des Schweizer Rechtsextremismus

Jürg Frischknecht (1947–2016) gilt als einer der bedeutendsten Chronisten des Rechtsextremismus in der Schweiz. Mit seiner journalistischen und publizistischen Arbeit setzte er sich über Jahrzehnte hinweg für die Aufklärung und öffentliche Debatte über rechtsextreme Gewalt und ihre gesellschaftliche Verharmlosung ein. Frischknecht, der in Herisau aufwuchs und an der Universität Zürich Soziologie, Publizistik und Geschichte studierte, widmete sein Leben einer unabhängigen und hartnäckigen Berichterstattung, die häufig Tabuthemen aufgriff.

Das Werk eines Aufklärers

Einen Meilenstein setzte Frischknecht mit seinem Buch «Schweiz, wir kommen. Die neuen Fröntler und Rassisten», das 1990 veröffentlicht wurde und eine Chronik rechtsextremer Gewalt und ihrer politischen Verflechtungen in der Schweiz bietet. Es dokumentiert die Welle von Morden, Brandanschlägen und anderen rechtsextremen Gewalttaten zwischen 1988 und 1993 – darunter auch den Brandanschlag von Chur, bei dem vier tamilische Geflüchtete starben. Frischknecht prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „kleinen Frontenfrühlings“, der auf die ideologische und organisatorische Wiederbelebung rechtsextremer Gruppierungen in den späten 1980er-Jahren verweist.

Frischknechts Buch war mehr als eine reine Bestandsaufnahme; es zeigte auch auf, wie diese Gewaltwelle durch eine gesellschaftliche und politische Stimmung des Wegschauens, der Verharmlosung und sogar der Unterstützung begünstigt wurde. Der aufstrebende SVP-Politiker Christoph Blocher etwa sprach 1989 von einer „Asylantenschwemme“ und forderte Notrecht gegen Geflüchtete, während rechte Gruppierungen offen zur Gewalt aufriefen. Frischknecht legte in seiner Arbeit die Strukturen und Netzwerke dieser Gruppierungen offen.

Unermüdliche Recherchen trotz Widerstand

Frischknecht war bekannt für seine akribischen Recherchen, die ihm nicht nur Bewunderung, sondern auch Drohungen und Feindseligkeiten einbrachten. Zu seinen bedeutendsten Enthüllungen gehört die Aufdeckung des sogenannten Cincera-Archivs 1976. Dieses Archiv, geführt vom rechtsextremen „Subversivenjäger“ Ernst Cincera, dokumentierte systematisch vermeintlich linke Akteure und Organisationen und diente der politischen Verfolgung. Frischknechts Enthüllung führte zu einem landesweiten Skandal und machte ihn über Nacht bekannt – und gleichzeitig zur Zielscheibe rechter Kreise.

Seine Hartnäckigkeit blieb jedoch ungebrochen. In zahllosen Artikeln in der Wochenzeitung (WOZ) und anderen Publikationen setzte er sich mit rechtsextremen Netzwerken, deren ideologischer Grundlage und den strukturellen Versäumnissen von Behörden und Gesellschaft auseinander. Er deckte auf, wie Polizei und Justiz häufig wegschauten, wenn es um rechtsextreme Verbrechen ging, wie im Fall des Brandanschlags in Chur. Der Bericht im Das Magazin bestätigt viele seiner damaligen Beobachtungen: Ermittlungsversagen, mangelnde Aufarbeitung und die systematische Verdrängung rechtsextremer Gewalt.

Die Rolle der Medien und die Verantwortung der Gesellschaft

Frischknecht kritisierte auch die Medien für ihre Rolle in der Verharmlosung des Rechtsextremismus. Boulevardzeitungen wie der Blick schürten mit Kampagnen gegen „kriminelle Tamilen“ rassistische Ressentiments, während viele andere Medien die rechtsextremen Taten kaum politisch einordneten oder sogar ignorierten. Frischknecht erkannte früh, dass diese Passivität der Medien nicht nur die Aufarbeitung verhinderte, sondern auch den rechtsextremen Akteuren Raum für ihre Hetze bot.

In einem gesellschaftlichen Klima, das Rassismus und rechtsextreme Gewalt oft als „Randproblem“ abtat, blieb Frischknecht eine der wenigen konstanten Stimmen, die auf die Gefahr hinwiesen und strukturelle Veränderungen forderten. Seine Arbeit erinnert daran, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem radikaler Gruppierungen ist, sondern durch stillschweigende Duldung und institutionelle Verharmlosung begünstigt wird.

Ein Erbe, das weiterwirkt

Frischknechts journalistisches Vermächtnis reicht weit über die Dokumentation von Rechtsextremismus hinaus. Für sein Lebenswerk wurde Frischknecht mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Fischhof-Preis der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Seine Werke sind ein eindringliches Zeugnis dafür, wie wichtig unabhängiger und mutiger Journalismus für die Gesellschaft ist.

Im Fall des Brandanschlags von Chur, der exemplarisch für die Verdrängung rechtsextremer Gewalt steht, bleibt sein Erbe ein Aufruf zur Erinnerung und Aufarbeitung. Jürg Frischknecht zeigt, dass das Schweigen nicht die Lösung ist – weder damals noch heute.

Roger Huber

Fotonachweis: Wikipedia. Jürg Frischknecht 1988

 

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