Das Zuger Kantonsgericht hat heute entschieden, dass der Ringier-Verlag der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin 309’531 Franken für den Gewinn aus vier persönlichkeitsverletzenden Artikeln bezahlen muss. Hinzu kommen ein Zins von 5 Prozent sowie eine Parteientschädigung von 112’495 Franken. Die Artikel erschienen zwischen 2014 und 2015 im BLICK, auf BLICK.CH sowie BLICK AM ABEND und befassten sich mit der sogenannten Landammann-Affäre, die mit provokativen Schlagzeilen wie «Sex-Skandal in Zug“ und «Jolanda Heggli zeigt ihr Weggli» die Leserinnen und Leser anzog. Das Urteil A1 2020 56, das erstmals in der Schweiz eine Gewinnveröffentlichung in einem solchen Zusammenhang regelt, hat das Potenzial, die Medienlandschaft grundlegend zu beeinflussen.
Das Gericht stützte sich auf den Grundsatz «Unrecht darf sich nicht lohnen» und folgte in seiner Berechnung weitgehend den von Spiess-Hegglin vorgelegten Gutachten. Diese basierten auf detaillierten Schätzungen der Werbeeinnahmen, der Kioskverkäufe und der Frage, wie stark solche Artikel zur Leserbindung beigetragen haben. Von besonderer Relevanz war die Frage, ob die Artikel lediglich einen «Zusatznutzen» generierten, wie Ringier behauptete, oder ob sie auch der Aufrechterhaltung des bestehenden Geschäfts dienten. Das Gericht schloss sich der weiteren Auslegung des Gewinnbegriffs an, der auch die Stabilisierung des Geschäftserfolgs durch solche Veröffentlichungen umfasst.
Die Summe von über 300’000 Franken umfasst die geschätzten Einnahmen, die Ringier mit den vier Artikeln erzielt hat. Grundlage dafür waren die Klickzahlen, die Werbeeinblendungen und die Prominenz der Artikel sowohl in der Online- als auch in der Printausgabe. Das Gericht beurteilte die Schätzungen der Klägerseite als nachvollziehbar und überzeugend. Das Verlagshaus Ringier hingegen kritisiert das Urteil scharf. Laut CEO Ladina Heimgartner entbehren die Berechnungen «jeder faktischen Grundlage», da der tatsächliche Gewinn aus den Artikeln lediglich 4’900 Franken betragen habe. Die Diskrepanz liegt in der unterschiedlichen Definition des Gewinns, da Ringier nur den so genannten «Mehrgewinn» berücksichtigt wissen wollte.
Reaktionen und Kritik von Ringier
Ladina Heimgartner erklärte, das Urteil könne die Pressefreiheit in der Schweiz gefährden. Derart hohe «Strafzahlungen» könnten Journalistinnen und Journalisten davon abhalten, über sensible oder kontroverse Themen zu berichten, was wiederum eine Kernaufgabe des Journalismus in Frage stelle. Sie warnte vor einem «Todesstoss» für den freien Journalismus und kündigte an, das Urteil ans Zuger Obergericht weiterzuziehen.
Gleichzeitig betonte Ringier, dass die fragliche Berichterstattung Ausdruck eines harten Boulevardstils gewesen sei, den der BLICK heute nicht mehr praktiziere. Die damalige Berichterstattung gehöre nicht zu den «journalistischen Sternstunden» des Hauses, so Heimgartner. Trotz dieser Einstufung betont das Medienhaus, dass die vom Gericht angenommenen Gewinne völlig unrealistisch seien. Mit solchen Gewinnen, so Ringier, hätte es 2014 keine Medienfinanzierungskrise gegeben.
Urs Saxer zur schwierigen Berechnung des herauszugebenden Gewinns
Der bekannte Medienanwalt Urs Saxer hatte in einer Analyse in der NZZ vom 11.7. 2022 (online nicht verfügbar) grundsätzliche Fragen zur Berechnung einer Summe bei Klagen auf Gewinnherausgabe aufgeworfen. Der damalige Artikel stand im Zusammenhang mit einem Urteil desselben Zuger Kantonsgerichts vom 22.6.2022 (Teilentscheid). Damals hatte es entschieden, dass Ringier die Zahlen herausrücken müsse, wie viel Gewinn das Verlagshaus mit den Artikeln erwirtschaftet hatte. Saxer verwies auf BGE 133 II 153 im Falle Patty Schnyder. Das höchte Gericht hatte damals eine Gewinnherausgabe bei journalistischen Artikeln grundsätzlich bejaht, was als bahnbrechend galt. Grundlage waren ebenfalls Artikel der BLICK-Gruppe, in denen die Eltern der Tennisspielerin Patty Schnyder aufs Gröbste verunglimpft worden waren (mit Titeln wie: «Patty Schnyder klagt ihre Eltern an: ‚Sie sind wie Taliban’» oder «Patty Schnyder: ‚Dann will ich meinen Vater im Gefängnis sehen’».
Saxer wies darauf hin, dass es das Bundesgericht auch nicht mehr vorgab «als eine gewisse Richtung, wie der Gewinn berechnet wird». Weil sich Ringier in der Folge mit den Schnyders am grünen Tisch einigte, existierte nie ein Urteil, das eine genaue Berechnungsformel enthielt. Zudem macht Saxer darauf aufmerksam, dass es für ein Medienopfer sehr schwierig sei, im Rahmen eines Zivilprozesses aufzuzeigen, wie hoch der Gewinn denn gewesen sei -genau das sei aber eben nötig. Den Zugriff auf Verkaufs- und Klickzahlen habe aber eben nur das Verlagshaus.
Das Zuger Kantonsgericht stellte damals aber immerhin klar: Gewinn ist nicht gleich Ertrag. Mit anderen Worten: Das Verlagshaus darf die Kosten abziehen.
Aber: Welcher Umsatzanteil kann angerechnet werden vom Verkaufspreis einer Zeitung am Kiosk. Schliesslich bleibt völlig unklar, ob just diese eine persönlichkeitsverletzende Geschichte zum Kauf einer Zeitung motiviert hat – oder ob der Käufer die Zeitung auch ohne die entsprechende Geschichte – z.B. aus Gewohnheit – gekauft hätte. Saxer: «Damit wird klar: Die Berechnung des Gewinns ist keine keine exakte Wissenschaft.»
Immerhin hatte das Zuger Kantonsgericht aber bereits 2022 der Argumentation von Ringier klar widersprochen, dass es sich bei den konkreten Zahlen zu Umsätzen aus Werbung und Verkauf, Klickzahlen, etc. um Geschäftsgeheimnisse handle. Diese Interessen müssten angesichts der Schwere der Persönlichkeitsverletzungen zurücktreten.
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt
Das Kantonsgericht Zug schreibt nun in seiner Medienmitteilung zu dem 57-seitigen Urteil zunächst, das Gericht sei zum Schluss gekommen, «dass die persönlichkeitsverletzenden Artikel aufgrund ihrer Aufmachung und Ausrichtung geeignet waren, zur Absatzförderung von Medienerzeugnissen der Beklagten und damit zur Gewinnerzielung beizutragen». Damit sah es den Kausalzusammenhang – als eine der Anspruchsgrundlagen – als erfüllt an. Dass die Persönlichkeitsverletzungen widerrechtlich waren, hatte das Gericht schon in seinem Teilurteil 2022 wenigstens erwogen. Als dritte Anspruchsgrundlage musste schliesslich auch noch überhaupt ein Gewinn resp.eine vermögensrechtliche Besserstellung vorliegen.
Wie erwartet gingen in letzterem Punkt die Vorstellungen weit auseinander. Riniger stellte sich auf den Standpunkt, es könne nur über derjenigen Gewinnanteil («Mehrgewinn») überhaupt verhandelt werden, der mit den streitgegenständlichen Artikeln zusätzlich erzielt worden sei. Also quasi der Gewinn aus denjenigen Einnahmen, die ohne diese umstrittenen Artikel nicht hätten erzielt werden können. Ringier kam mit seiner «Differenz-Theorie» lediglich auf den erwähnten Zusatzgewinn von CHF 4’900.– Spiess-Hegglin vertrat hingegen die Ansicht, der gesamte Gewinn sei herauszugeben und kam auf eine Summe von über CHF 300’000.–.
Kantonsgericht folgt Spiess-Hegglin
Das Kantonsgericht folgte letzterer Auffassung und der Argumentation von Spiess-Hegglin und hielt zunächst fest, «dass ein abschöpfbarer Gewinn nicht nur dann vorliegt, wenn eine konkrete Auflagensteigerung nachgewiesen werden kann, sondern auch dann, wenn die Persönlichkeitsverletzung zur Erhaltung einer bestimmten Auflagenstärke oder gar zu einer Minderung der vom Medium generierten Verluste (Abnahme der Passiven, sog. Verlustersparnis) beigetragen hat.» Dabei stützte sich das Kantonsgericht auf das erwähnte Urteil aus dem Jahr 2006 im Fall Schnyder. Auch im Folgenden zitiert das Kantonsgericht weiter aus diesem Urteil und hält wörtlich fest:
«So erwog das Bundesgericht in besagtem Leitentscheid weiter, es sei zu berücksichtigen, dass sich der unmittelbare Zusammenhang zwischen einer bestimmten Berichterstattung und der Gewinnerzielung aufgrund verschiedener Faktoren naturgemäss nicht strikt nachweisen lasse. Aus diesem Grund dürften an den Beweis nicht Anforderungen gestellt werden, welche die Durchsetzung der dem widerrechtlich Verletzten grundsätzlich zustehenden Ansprüche bzw. die Verweisung in Art. 28a Abs. 3 ZGB von vornherein illusorisch machten, zumal so die Bestrebungen des Gesetzgebers zur Stärkung des Persönlichkeitsschutzes bei der seinerzeitigen Revision des Persönlichkeitsrechts (vgl. BBl 1982 II 637) geradezu vereitelt würden (BGE 133 III 153 E. 3.3).»
Das Bundesgericht hatte im erwähnten Urteil festgehalten, dass wegen dieser Schwierigkeiten der herauszugebende Gewinn nach Ermessen des Richters zu schätzen sei, dieser dabei Eckdaten wie Umsatz-, Auflage und Leserzahlen, aber auch Grösse, Aufmachung und Pisitoniertung der Berichterstattung zu berücksichtigen habe.
Damit war für das Kantonsgericht erwiesen: «Die Klägerin hat deshalb Anspruch auf Herausgabe des mit diesen Artikeln erzielten (Netto-)Erlöses und nicht bloss auf einen allfälligen Mehrgewinn, um den das Ergebnis der Beklagten aufgrund der streitgegenständlichen Artikel gesteigert wurde.»
Ringier «selbst schuld»
Auch bei der konkreten Berechnung des Gewinns folgte das Kantonsgericht der Methode, die von Spiess-Hegglin zusammen mit ihrer Anwältin Rena Zulauf und dem ehemaligen 20MINUTEN.CH-Chefredaktor Hansi Voigt erarbeitet worden war. Ringier machte demgegenüber geltend, die von der Klägerin eingesetzten Zahlen seien viel zu hoch; bei den Werbeerlösen seien z.B. Rabatte nicht berücksichtigt worden. Da Ringier dazu allerdings keine konkreten Zahlen vorlegte, um ihren Einwand zu substanziieren, folgte das Gericht der Berechnungsmethode der Klägerin.
Das Kantonsgericht rügte deutlich an die Adresse des Verlagshauses: «Das Ausbleiben von begründeten Bestreitungen im Rahmen der Schätzung – und damit das Abstellen auf die klägerischen Angaben – wirkte sich im Ergebnis erheblich zulasten der Beklagten aus.»
Das Urteil des Kantonsgerichts Zug ist nicht rechtskräftig. Es kann zunächst ans Obergericht Zug und dann auch noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.
(Titelbild: SRF)