Ein Gastkommentar von Patrick Senn*
Ladina Heimgartner, CEO von Ringier Schweiz, sieht nach dem Urteil des Zuger Kantonsgerichts das Ende des kritischen Journalismus gekommen. So zumindest äussert sie sich in der Berichterstattung auf dieser Plattform. Und befürchtet, angesichts des Risikos einer hohen Bestrafung würden Journalisten gar nicht mehr kritisch recherchieren mögen. Dass sich Heimgartner als Geschäftsleiterin von Ringier Schweiz so äussern muss, ist nachvollziehbar.
In der Sache unterliegt Heimgartner natürlich verschiedenen Irrtümern. Zunächst räumt Ringier selbst ein, die Berichterstattung über den Vorgang in Zug sei keine Sternstunde des Boulevardjournalismus gewesen. Dem ist beizupflichten. Tatsächlich hatte ich mich damals regelmässig gefragt, welche Zielsetzung das Haus Ringier verfolgte und sprach auch einzelne Journalistinnen und Journalisten darauf an, ob die Absicht eigentlich sei, die involvierten Personen in einen Suizid zu treiben. Danach war dann meist Stille in der Leitung.
Die damalige Berichterstattung von Ringier erfolgte nicht, um einen Sachverhalt zu erhellen, sondern diente ganz offensichtlich nur der Befriedigung der Neugier seines Publikums. Dieses zeigte sich zwar in Leser- und auch persönlichen Kommentaren gerne angewidert von den ständigen Enthüllungen aus dem intimsten Bereich des Menschseins, beförderte aber gleichwohl jede noch so unsinnige Weiterung des Themas innerhalb Rekordzeit unter die «Meistgelesensten Artikel» auf BLICK.CH. Das zeigte sich besonders gut, wenn es zwar keine «News» gab, der BLICK aber gleichwohl einen «Faktenordner» publizierte, weil das Publikum es so erwarte. So zumindest hatte damals einer der Ringier-Journis am Telefon argumentiert.
Zwischen der damaligen Berichterstattung der BLICK-Gruppe und einem kritischen Journalismus besteht ein meilenweiter Unterschied. Das beginnt damit, dass schon das Gesetz in Art. 28f. ZGB die Berichterstattung über eine Person zwar grundsätzlich als Persönlichkeitsverletzung sieht, eine solche aber durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein kann.
Und genau hier liegt der springende Punkt. Ringier muss den Gewinn herausgeben, weil das Verlagshaus für die Publikation der verschiedenen Geschichten kein überwiegendes öffentliches Interesse anführen kann. Man mag noch kontrovers diskutieren, ob es nicht ein Vorgang von öffentlichem Interesse sei, wenn ein Strafverfahren gegen einen kantonalen Parlamentarier geführt wird, weil er mit einer anderen kantonalen Parlamentarierin sexuelle Handlungen vorgenommen hat und die Einvernehmlichkeit in Frage steht. Was allenfalls einen einzelnen Beitrag zu dem Thema gerade noch rechtfertigen könnte – und womöglich zu einem späteren Zeitpunkt auch eine Berichterstattung über Anklage oder Einstellung des Verfahrens. Aber auch schon hier ist die Abwägung äusserst delikat, ist doch die intimste Sphäre der Persönlichkeit betroffen. Wobei allen Medienschaffenden bewusst sein muss, dass eine identifizierende Berichterstattung das soziale Leben der Involvierten auf das Massivste beeinträchtigt – in einer Situation, in welcher völlig offen ist, ob und falls ja, wer, sich allenfalls falsch verhalten hat. Eine monatelange Kampagne über jedes intimste Detail kann sich aber sicherlich nicht auf ein «überwiegendes öffentliches Interesse» abstützen.
Medienschaffende, die ihren Job und insbesondere ihre Verantwortung ernst nehmen, wissen natürlich um den Unterschied. Übrigens schon damals. Deshalb berichteten auch Medien wie SRF oder die NZZ gar nicht oder nur mit grösster Zurückhaltung. Seriöse Journalistinnen und Journalisten werden sich deshalb durch das Ringier-Urteil nicht abschrecken lassen, wie Heimgartner oder auch der CH-MEDIA-Medienredaktor Christian Mensch befürchten. Sondern das Urteil vielmehr begrüssen, weil es den branchenschädigenden Praktiken einer kleinen Zahl von unseriösen Kolleginnen und Kollegen den Boden entzieht.
*Patrick Senn ist Kommunikationsberater und war früher selbst lange Jahre Journalist, etwa als Chefredaktor von Tele Ostschweiz oder Stv. Moderationsleiter von DRS1. Er war als Berater in den Fall der Zuger Landamman-Affäre involviert.