Assange: Das Ende der Heldensaga

WikiLeaks-Gründer Julian Assange hat Grossbritannien verlassen, nachdem er mit der US-Staatsanwaltschaft eine Einigung über eine der grössten Veröffentlichungen von geheimen Materialien in der Geschichte der USA erzielt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Deal ausgehandelt, der die juristische Saga des WikiLeaks-Gründers um die veröffentlichten Dokumente beendete und ihm nach Jahren der Inhaftierung und des Hausarrests die Freiheit ermöglichte.

WikiLeaks gab bekannt, dass Assange aus Belmarsh, einem Hochsicherheitsgefängnis in London, entlassen worden sei und bereits aus Grossbritannien ausgeflogen sei, nachdem ihm eine Kaution gewährt worden sei. Stephen Parkinson, der britische Staatsanwalt, bestätigte Assanges Abreise und sagte, dass am vergangenen Donnerstag eine Kautionsanhörung stattgefunden habe, die auf Wunsch des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Laut Gerichtsakten hat sich Assange mit dem US-Justizministerium darauf geeinigt, sich in einem Anklagepunkt der Verschwörung schuldig zu bekennen, um an geheime Informationen zu gelangen und diese zu verbreiten, die mit der nationalen Verteidigung der USA in Verbindung stehen.

Laut einer Mitteilung von WikiLeaks ist der Deal mit dem Justizministerium „noch nicht offiziell abgeschlossen”. Weiter heisst es, dass weitere Informationen bereitgestellt würden, sobald Assange „nach Australien zurückkehrt”. Bei dem Fall handelt es sich um eine der grössten Veröffentlichungen von geheimen Informationen in der Geschichte der USA, wie die Staatsanwaltschaft es bezeichnet. Die Regierung in Washington hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung der Informationen das Leben von Geheimagenten gefährden könnte. Diese Behauptung wurde von Assanges Anwälten jedoch in Frage gestellt. „Julian Assange ist frei”, erklärte WikiLeaks und wies darauf hin, dass er „schwer für die Veröffentlichung von Geschichten über Regierungskorruption und Menschenrechtsverletzungen” bezahlt habe.

Guam

Am Mittwochmorgen hat er vor dem Bundesgericht in Saipan, das zu den Nördlichen Marianen, einem US-amerikanischen Commonwealth nördlich von Guam, gehört, seine Erklärung abgeben. Die Verurteilung erfolgte unmittelbar nach der Abgabe der Erklärung. Herr Assange hat bereits 62 Monate in einem britischen Gefängnis verbüsst, und die Staatsanwaltschaft sieht keine Veranlassung, eine weitere Haftstrafe zu fordern. Das Gericht in Saipan wurde ausgewählt, weil Assange die Durchführung des Verfahrens auf dem US-amerikanischen Festland ablehnte. Zudem liegt es näher an seinem Heimatland Australien, wo er nach Abschluss des Verfahrens erwartet wird, wie aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft an das Gericht hervorgeht.

„Das ist endlich vorbei“, sagte Stella Assange, die Frau des WikiLeaks-Gründers, gegenüber der BBC. Am Dienstag landete Assanges gecharterter Jet in Bangkok, von wo aus er dann weiter nach Saipan flog. Frau Assange startete einen „Notfallaufruf“ in den sozialen Medien, in dem sie um 520.000 US-Dollar bat, die Assange ihrer Aussage nach „der australischen Regierung für den Flug zurückzahlen muss“. Die Vereinbarung zielt darauf ab, einen langwierigen Rechtsstreit zwischen dem Justizministerium und Assange beizulegen, einem umstrittenen Verfechter der Transparenz der Regierung, dessen rechtliche Probleme sich auf mehrere Länder erstrecken.

Die australische Labor-Regierung hat seit ihrer Wahl im Jahr 2022 in Washington privat Lobbyarbeit betrieben, um eine Lösung für den Fall Assange zu finden. Premierminister Anthony Albanese erklärte vor dem Parlament des Landes, dass die Freilassung von Assange „eine willkommene Entwicklung“ sei, dass die Verfahren jedoch „entscheidend und heikel“ seien. „Unabhängig von den Ansichten, die die Menschen über die Aktivitäten von Herrn Assange haben, hat sich der Fall zu lange hingezogen“, fügte Albanese hinzu. „Es gibt keine Vorteile, die durch seine weitere Inhaftierung gewonnen werden können. Wir möchten daher, dass er nach Australien zurückgebracht wird.“

2006

Assange gründete WikiLeaks im Jahr 2006 als Plattform für die Veröffentlichung von durchgesickerten Materialien. Seiner Meinung nach sollte dadurch Licht auf geheimniskrämerische und mächtige Organisationen, einschliesslich Regierungen und Unternehmen, geworfen werden. Im Jahr 2010 veröffentlichte die Website einen Cache von Militär- und Geheimdokumenten, die von Chelsea Manning, der ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstanalystin, durchgesickert waren. Während ihres Dienstes im Irak kopierte sie Hunderttausende von Protokollen über militärische Zwischenfälle und etwa 250.000 diplomatische Depeschen. WikiLeaks wurde für die Enthüllungen über US-Operationen in Ländern wie Afghanistan und Irak gelobt.

Kritiker, darunter die US-Regierung, äusserten jedoch Bedenken hinsichtlich der Rechtmässigkeit der Veröffentlichungen und der potenziellen Gefährdung der Sicherheit von Menschen. Im Jahr 2010 erliess Schweden im Zusammenhang mit einer Vergewaltigungsuntersuchung einen Haftbefehl gegen Assange, woraufhin dieser das Land in Richtung Grossbritannien verliess. Nachdem das höchste britische Gericht im Jahr 2012 seine Auslieferung nach Schweden genehmigt hatte, gewährte Ecuador Assange Asyl, nachdem er die Botschaft des Landes in London betreten hatte. Im Jahr 2019 widerrief Ecuador jedoch Assanges Asylstatus, woraufhin er von der Londoner Polizei aus der Botschaft gezerrt und auf Ersuchen des Justizministeriums verhaftet wurde.

US-Staatsanwälte bemühten sich, Assange auszuliefern, um ihn wegen einer 2019 aufgedeckten Anklage anzuklagen. Diese Anklage betrifft das Verschwören zum Eindringen in Computer. Hintergrund ist, dass er sich bereit erklärt hatte, das Passwort für einen geheimen Computer der US-Regierung zu knacken. Später wurde er wegen weiterer Spionagevorwürfe angeklagt, darunter die Beschaffung und Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung. Herr Assange wehrt sich gegen die Bemühungen, ihn in die USA zu bringen, um sich den Anklagen zu stellen, und argumentiert, dass ihm im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe drohe.

Im Mai erlaubte ihm der High Court in London, gegen die Anordnung zur Auslieferung Berufung einzulegen. „Dieser Fall hat das Strafrechtssystem über viele Jahre hinweg viel Zeit und Ressourcen gekostet”, sagte der britische Justizminister Parkinson am Dienstag in einer Erklärung. Die Vereinbarung über die Berufung würde „[der Gerechtigkeit] Genüge tun” und „die anhaltenden erheblichen Ressourcen einsparen, die mit der weiteren Prozessführung in dieser Angelegenheit in England verbunden sind”, fügte er hinzu. Manning wurde wegen Spionage im Zusammenhang mit den WikiLeaks-Materialien angeklagt und verurteilt. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Weissen Haus im Jahr 2017 wurde ihre 35-jährige Haftstrafe von Barack Obama in eine andere Strafe umgewandelt.

Ein Held?

Viele Menschen freuten sich in den sozialen Netzwerken und in den Medien über die Freilassung. Viele Leute finden, dass Julian Assange ein Held ist. Sie schreiben zum Beispiel auf der Plattform X: „Julian Assange is a hero” oder „A good man, finally free”.

Assange ist ein Held. Er hat sich für die Pressefreiheit eingesetzt. Die Justiz konnte ihm nichts nachweisen. Deshalb wurde er freigelassen. Gegen Korruption und Machtmissbrauch. Für Transparenz und Demokratie. „Ein Justizdrama findet ein gutes Ende” schrieb SRF online. Assange hat die USA blamiert. Dafür hat er jetzt die Quittung bekommen.

Die linke „TAZ” warnt: „Julian Assange kommt frei – die Bedrohung bleibt”. Die Vereinbarung mit den Gerichten ändert nichts daran, dass der Fall Assange ein Beispiel für die „Kriminalisierung von Journalismus” ist. Man hat Assange verfolgt. Die Täter der Menschenrechtsverletzungen wurden nicht bestraft. Die Wochenzeitung „Die Zeit” ist nicht glücklich über den Deal. Ihrer Meinung nach ist die Pressefreiheit die grosse Verliererin.

Assange gibt zu, dass er Informationen von nationaler Bedeutung beschafft und weitergegeben hat. Das ist das Ziel von Wikileaks, die Plattform, die er 2005 gegründet hat. Viele vergessen, dass Assange nicht nur Gutes getan hat.

Geltungsdrang

Kritiker sagen, er handelt nur aus Geltungsdrang. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagte dem „Guardian”, dass Assange noch immer der „Kleinstadtjunge aus Queensland” sei, der verzweifelt versuche, die Welt auf sich aufmerksam zu machen. Er ist ein Angeber, der vorgibt, die Macht zur Rechenschaft zu ziehen, aber selbst in Machtgefühlen schwelgt. Und sich dabei kaum für ethische Regeln interessiert. Es war Assange egal, welche Informationen er veröffentlichte und welche Folgen das hatte.

In der Dokumentation „Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy” berichten die britischen Journalisten David Leigh und Luke Harding von einem Treffen. Reporter versuchten, Assange davon zu überzeugen, beim Veröffentlichen von geheimen Daten aus Afghanistan vorsichtig zu sein. Sie baten ihn, vor der Veröffentlichung die Namen von Afghanen zu entfernen, die mit den amerikanischen Streitkräften zusammengearbeitet hatten. Diese waren sonst in Gefahr, von den Taliban getötet zu werden.

„Sie sind Informanten”, soll Assange gesagt haben. „Wenn sie getötet werden, dann haben sie es verdient.“ Ihm war der Quellenschutz egal. Ihm war egal, was mit den Menschen passierte, die in den umfangreichen, detaillierten Dateien namentlich erwähnt wurden. Vor allem dann, wenn der Schutz Informanten betroffen hätte, die mit den USA zusammenarbeiteten.

Assange wollte Daten zu Afghanistan und zum Irak veröffentlichen. Auch wenn sie als „Todeslisten” von Regierungsgegnern gelesen werden konnten. Er veröffentlichte die Daten der US Army einfach so, wie sie waren. Ihm war egal, ob die Veröffentlichung relevant war oder nicht. Er hat damit gegen die journalistische Ethik und alle Sorgfaltspflichten verstossen. Ausserdem hat er nicht das gemacht, was Journalistinnen und Journalisten machen: Fakten einordnen, Geschehnisse erklären und sagen, welche Folgen Ereignisse haben könnten.

Journalist?

Assange sagt, er sei Journalist. Sein Geschäftsmodell war es, Texte und Dokumente zu veröffentlichen, die andere ihm zugeschickt hatten. Er hat die Privatsphäre der erwähnten Personen nicht geachtet. Im April 2015 veröffentlichte Wikileaks mehr als 200’000 E-Mails und Dokumente von Sony Pictures Entertainment. Darin stand auch, wie Sony sein Geld verdient. Aus den E-Mails von über zweitausend Mitarbeitern konnte man auch erfahren, wer krank war und wer mit wem ein Date hatte.

Assange dachte, das sei okay. Er sagte, die Veröffentlichung sei gerechtfertigt. Sony ist ein grosses, verschlossenes Unternehmen, das mit dem Weissen Haus, der Demokratischen Partei und der Rüstungsindustrie verbunden ist. Der Chef von Sony ist auch Mitglied in einem Think Tank, der das amerikanische Militär und die Geheimdienste berät. Assange sagt, dass alles transparent sein soll. Er will, dass es keine Geheimnisse mehr gibt. Für Staaten, Regierungen und Armeen schon.

Aber nicht für alle. Assange ging nur gegen Staaten vor, bei denen er sicher war, dass er vor Gericht gestellt würde. Seine Aktionen waren immer gegen die USA gerichtet. Er hat aber tatsächlich Fehler aufgedeckt: Folter und Menschenrechtsverletzungen. Später wollte er nur noch seinen politischen Gegnern in den USA schaden. Vor allem gegen die Demokraten. Im Wahlkampf 2016 veröffentlichte er gehackte E-Mails und Dokumente der Demokraten. Das half Donald Trump.

Russischer Moderator 2012

Wenn es um Russland ging, hat Julian Assange weggeschaut. 2016 bekam Wikileaks viele Informationen über die russische Regierung. Daten, die noch nicht bekannt waren. Sie wurden nie veröffentlicht. Sie seien nicht wichtig, sagte Assange. Bisher hat er das nicht gelten lassen. Ein Jahr später veröffentlichte er auf Wikileaks ein Dokument über das russische Überwachungssystem Sorm.

Das war schon längst bekannt. Es gab keine neuen Informationen. Auf die Frage, welche Rolle Wikileaks als Whistleblower in Russland spielen könnte, sagte Assange, es gebe bereits Leute wie Nawalny und Zeitungen wie die „Novaya Gazeta”. Ob und wie weit Julian Assange mit der russischen Regierung kooperierte, ist nicht bekannt. Immerhin hatte ihm der Propagandasender „Russia Today” 2012 einen Job als Moderator einer TV-Show angeboten. Und Assange hatte ihn übernommen.

Statista-Infografik

Die Grafik gibt einen Überblick über die Ereignisse rund um Julian Assange, seit der schicksalhaften Veröffentlichung der US-Geheimakten im Jahr 2010. Der Leidensweg des Australiers begann im August 2010 mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Vergewaltigungs- und Belästigungsvorwürfen durch die Staatsanwaltschaft im schwedischen Stockholm. Zwei Frauen hatten Assange sexuelle Vergehen vorgeworfen, das Verfahren wurde jedoch zwischenzeitlich eingestellt. Assange wurde zwar inhaftiert, konnte aber gegen Kaution freikommen und flüchtete aus Angst über Schweden an die USA ausgeliefert zu werden im Sommer 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London, wo er die nächsten sieben Jahre als politischer Asylant lebte. Im April 2019 entzog ihm der neue ecuadorianische Präsident Lenín Moreno Asyl und Staatsbürgerschaft, woraufhin der Whistleblower festgenommen wurde und wegen Verstosses gegen Kautionsauflagen zu einer knapp einjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nach Verbüssung dieser blieb er allerdings in Auslieferungshaft. Die Auslieferung an die USA konnte aber wegen gesundheitlicher Bedenken und internationalem Druck mehrfach abgewendet werden.

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