Der Fall Riccardo Tomasino: Behördenwillkür oder Kommunikationsdesaster?

Als investigative Plattform erhalten wir oft Hinweise auf strittige Fälle. So auch hier: Riccardo Tomasino wandte sich mit einem Brief (kasten) an uns, um auf seine Sicht der Geschehnisse hinzuweisen. Die Geschichte des Gastronomen und Gärtners Tomasino liest sich wie ein klassischer Kampf David gegen Goliath. Der Unternehmer, der in der Pandemie mit Innovationsgeist eine lokale Gärtnerei übernahm, sieht sich nun mit einer abrupten Schliessung und hohen finanziellen Verlusten konfrontiert. Die Gemeinde Männedorf entzog seinem Betrieb die Grundlage, eine aktive Kommunikation mit der Öffentlichkeit blieb aus.

Was zunächst wie ein Verwaltungsentscheid wirkt, entwickelte sich zu einem kommunikativen Debakel. Die Gemeinde Männedorf untersagte Tomasino den Betrieb, was zu wirtschaftlichen Einbussen und Empörung führte. Seine Unterstützer sprechen von Behördenwillkür, während offizielle Gegendarstellungen der Gemeinde ausbleiben.

Hier liegt das zentrale Problem: Der Gemeinderat unter Führung von Wolfgang Annighöfer agierte kommunikativ ungeschickt. Bereits im Juni kündigte er auf einer Gemeindeversammlung das Ende des Eventlokals als Randnotiz an. Anstatt den Bedenken aktiv zu begegnen, schwieg er. Medien- und Bürgeranfragen wurden mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte und laufende Verfahren abgelehnt. Dadurch dominiert Tomasinos Darstellung die öffentliche Wahrnehmung.

Tomasinos Scheitern: Mehr als nur ein juristischer Konflikt

Mehrere Medien haben den Fall kommentiert. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) schrieb: „Die Gemeinde Männedorf hat sich durch ihre schweigsame Haltung in eine strategisch ungünstige Position manövriert. Indem sie keine aktive Kommunikation betreibt, überlässt sie das Feld vollständig den Kritikern.“

Auch der Tages-Anzeiger analysierte: „Unklar bleibt, warum die Gemeinde keine frühzeitige und transparente Erklärung für ihr Vorgehen geliefert hat. Die mangelnde Kommunikation hat dazu geführt, dass sich die öffentliche Meinung fast ausschliesslich zugunsten Tomasinos entwickelt hat.“

Das Wirtschaftsmagazin Bilanz beleuchtete die wirtschaftlichen Folgen: „Der Fall Tomasino zeigt exemplarisch, wie unklare Entscheidungsprozesse und mangelnde Krisenkommunikation nicht nur Einzelunternehmer in den Ruin treiben, sondern auch dem Ruf einer Gemeinde langfristig schaden können.“

Warum ist Tomasino wirklich gescheitert?

Die fehlende Kommunikation der Gemeinde verstärkt den Eindruck von Behördenwillkür. Doch ein Blick auf die rechtlichen Hintergründe zeigt ein differenzierteres Bild:

  1. Nutzung der Gewächshäuser: Diese gehören der Gemeinde. Tomasino betrieb darin eine Geschäftstätigkeit, die offenbar nicht mit den bestehenden Verträgen übereinstimmte.

  2. Genehmigungen: Die Erweiterung des Betriebs wurde nicht vollständig bewilligt. Die Gemeinde nahm keine Nutzungsänderung vor.

  3. Juristische Perspektive: Mehrere Anwälte warnten Tomasino, dass ein Verfahren gegen die Gemeinde geringe Erfolgsaussichten habe, da Gemeinden oft grossen Ermessensspielraum geniessen.

Was geschah mit der Gärtnerei?

Obwohl 350 Menschen eine Petition für den Erhalt der Gärtnerei mit Café unterschrieben, wurde sie endgültig geschlossen. Die Gärtnerei verabschiedete sich mit einem letzten Konzert. Tomasino schrieb auf Facebook, dass er ein letztes Mal Danke sage. Der Liquidationsverkauf läuft weiter, doch die Gärtnerei wird nicht wieder öffnen.

Tomasino musste schliessen, weil die Gemeinde ihm die Nutzung seines Gewächshauses als Café und Eventlokal untersagte. Die Dachverglasung entspreche nicht den Sicherheitsvorschriften. Tomasino wollte an der Gemeindeversammlung über die Schliessung sprechen, doch als Nicht-Männedörfler hatte er kein Rederecht. Er verliess daraufhin wutentbrannt den Saal.

350 Menschen unterzeichneten eine Petition zur Rettung der Gärtnerei. Der Gemeinderat kündigte eine Antwort an, doch bis zu den Sommerferien blieb sie aus. Tomasino wollte den Betrieb weiterführen, doch die Schliessung machte dies unmöglich. Eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Gemeinderat beim Bezirksrat ist noch in Planung.

Nach der Schliessung stand die Gärtnerei leer, Arbeitsplätze gingen verloren, das Konzept wurde abrupt beendet. Die Gemeinde hat bislang nicht offengelegt, welche Pläne sie für das Gelände hat. Anfragen werden mit Verweis auf laufende Verfahren abgelehnt, was weitere Spekulationen fördert.

Allerdings gibt es Pläne: Die Gemeinde will das Grundstück mittelfristig an die SBB verpachten. Diese benötigt das Areal für Bauarbeiten am Bahnhof sowie für den behindertengerechten Ausbau der Gleisanlagen. In der Zwischenzeit prüft die Gemeinde eine Zwischennutzung als Aufenthalts- und Erholungsfläche mit Sitzgelegenheiten für die Bevölkerung.

Reaktionen der Gemeinde auf Tomasinos Vorwürfe

Am 17. Juli 2023 veröffentlichte die Gemeinde Männedorf eine Erklärung zur Auflösung des Pachtvertrages mit Tomasino:

„Die Gemeinde Männedorf und die Tomasino Group GmbH haben vereinbart, dass der bis 6. Februar 2025 befristete Pachtvertrag spätestens am 31. Juli 2023 endet. Diese Auflösungsvereinbarung wurde im gegenseitigen Einvernehmen am 6. Juli 2023 unterzeichnet. Aufgrund des Persönlichkeitsschutzes kann die Gemeinde keine weiteren Details kommunizieren. Der Gemeinderat bedauert, dass die Gärtnerei zum Glück nicht weitergeführt wird.“

Zusätzlich äusserte sich die Gemeinde am 23. August 2023 zur Petition für die Gärtnerei. Sie erklärte, dass die ursprüngliche Nutzung nur für „Zierpflanzenproduktion im Freiland“ genehmigt war. Eine Nutzungsänderung für Gastronomie und Events sei nie bewilligt worden.

Weiter betonte die Gemeinde, dass die Gewächshäuser aus Sicherheitsgründen nicht für Veranstaltungen genutzt werden könnten und dass die Beendigung des Pachtvertrages im gegenseitigen Einvernehmen erfolgte. Zudem wird die Fläche in naher Zukunft für Bauprojekte der SBB benötigt, weshalb die Gewächshäuser bereits zurückgebaut wurden.

Trotz dieser Erklärungen bleiben viele Fragen offen. Kritiker werfen der Gemeinde vor, durch ihre passive Kommunikation Spekulationen zuzulassen. Während Tomasino und seine Unterstützer offensiv kommunizieren, hält sich die Gemeinde bedeckt. Kritische Fragen aus der Bevölkerung werden mit bürokratischen Floskeln abgewiesen, was dazu führte, dass Tomasinos Sichtweise die Debatte dominiert.

Die Risiken einer Klage gegen Behörden

Der Fall Tomasino wirft auch eine grundsätzliche Frage auf: Wie realistisch ist es, als Einzelperson gegen eine Behörde zu gewinnen? Tomasino wurde von Kollegen gewarnt, dass ein Rechtsstreit gegen eine Gemeinde kaum Erfolgsaussichten habe. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Verwaltungsgerichte in der Schweiz in der Mehrzahl der Fälle zugunsten der Behörden entscheiden.

Ein solcher Prozess kann zudem enorme finanzielle und zeitliche Ressourcen verschlingen. Die Kosten für Anwälte und Gerichtstermine summieren sich schnell, und die Verfahrensdauer kann sich über Jahre erstrecken. Selbst wenn eine Klage Aussicht auf Erfolg hat, ist der Druck auf den Kläger hoch – nicht nur finanziell, sondern auch psychisch. Tomasinos Fall zeigt exemplarisch, wie ungleiche Kräfteverhältnisse solche Prozesse zu einem riskanten Unterfangen machen.

Wie in jeder Auseinandersetzung, ob bei KESB-Fällen, im Strafrecht oder in handelsrechtlichen Verfahren, sowie im Kampf gegen Behörden wie Gemeinden, die SUVA, die IV oder andere staatliche Institutionen, gibt es immer einen Sieger. Doch unabhängig davon, wer am Ende gewinnt, sind die finanziellen Profiteure oft die Anwälte, die ungeachtet des Ausgangs ihre Honorare erhalten. Der hohe finanzielle Einsatz und das ungewisse Ergebnis machen solche Verfahren zu einer gewaltigen Herausforderung für Einzelpersonen.

(Titelbild: Gemeinde Männendorf: v.l.n.r.: Didier Fatio, Gemeindepräsident Wolfgang Annighöfer, Erich Meier, Rahel Haldi Moser, Roger Daenzer, Thomas Lüthi, Daniel Kellenberger (auf dem Foto fehlt Felix Oberhänsli))

Der Brief von Tomasino

Ein Unternehmer trotzt der Krise 

Als die Pandemie die Welt in den Stillstand zwang, sah sich der leidenschaftliche Gastronom Riccardo Tomasino vor einer existenziellen Herausforderung. Sein geliebtes Café in Uetikon am See musste vorübergehend schließen, die Einnahmen blieben aus, doch seine Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern bestand weiter. Statt zu verzweifeln, entschied er sich für einen mutigen Schritt: Er übernahm eine lokale Gärtnerei, die ebenfalls kurz vor dem Aus stand.

Mit neuen Ideen, harter Arbeit und viel Leidenschaft begann er, nicht nur frisches Gemüse, Kräuter und essbare Blumen anzubauen, sondern auch eine neue Vision zu entwickeln. Die Übernahme der Gärtnerei bedeutete nicht nur, dass er seine eigenen Leute weiterbeschäftigen konnte, sondern auch, dass die Angestellten der Gärtnerei ihren Arbeitsplatz behielten. Zusätzlich erweiterte er das Konzept um ein Café und ein Event-Angebot, das ihm von der Gemeinde bewilligt wurde und der Vorgänger seit 2017 bereits im kleinen Rahmen betrieb.

Kampf gegen die Gemeinde Männedorf

Die Gemeinde erliess eine Verfügung, die den Betrieb seiner Gärtnerei „Gärtnerei zum Glück“ abrupt beendete. Plötzlich standen er und seine Mitarbeiter vor dem Nichts. Sieben Arbeitsplätze gingen verloren, und Tomasino selbst erlitt einen finanziellen Schaden von über 500’000 Franken.

Der wohl grösste Widerspruch an der ganzen Sache: Die Gewächshäuser, die Tomasino nutzte, gehörten der Gemeinde selbst.(Grundbucheintrag und Gebäudeversicherung) Dennoch bestritt die Gemeinde jede Verantwortung und blockierte jegliche Versuche, die Situation zu klären. Statt eine Lösung zu suchen oder mit Tomasino zu verhandeln, zog sie es vor, ihn mit juristischen Mitteln aus dem Geschäft zu drängen.

Ein Kampf gegen ein unantastbares System

Tomasino wollte sich wehren – doch schnell wurde klar, dass es fast unmöglich war, gegen eine Gemeinde vorzugehen. Mehrere renommierte Anwälte rieten ihm ab, den Kampf weiterzuführen. Sie erklärten ihm offen, dass es in der Schweiz praktisch aussichtslos sei, sich gegen eine Gemeinde oder eine staatliche Institution zu wehren. Die Gerichte würden in den meisten Fällen auf der Seite der Gemeinde stehen, da Richter und lokale Behörden oft eng miteinander verbunden seien.

„Die Gemeinden und Gerichte schützen sich gegenseitig“, sagten ihm mehrere Anwälte. „Es gibt keinen Anwalt, der den Mut hätte, sich wirklich gegen sie zu stellen – und wenn, dann kostet es dich ein Vermögen, ohne Garantie auf Erfolg.“

Tomasino erlebte genau das: Jede Beschwerde wurde abgewiesen, jedes juristische Schlupfloch schnell geschlossen. Als Nicht-Schweizer wurde ihm sogar verwehrt, an einer Gemeindeversammlung über sein eigenes Geschäft zu sprechen. Er wurde systematisch blockiert und zum Schweigen gebracht.

Das ist genau das Problem: Recht haben und Recht bekommen sind zwei völlig verschiedene Dinge.

In der Theorie sollte das Rechtssystem fair sein, doch in der Praxis schützt sich die Gemeinde selbst, während Tomasino mit einem Berg an Hindernissen kämpft. Selbst wenn er im Recht ist, nutzt die Gegenseite ihre Machtposition, um ihn zu blockieren.

Der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter

Doch Tomasino gibt nicht auf. Ein Komitee treuer Kunden hat sich gegründet, um ihn zu unterstützen und gegen die Entscheidung der Gemeinde Männedorf zu kämpfen. Sie setzen sich weiterhin für Gerechtigkeit ein und hoffen, dass das Schweizer Rechtssystem endlich reagiert.

Doch der Kampf hat Spuren hinterlassen – finanziell, psychisch und emotional. Die Frage bleibt: Wie kann ein einzelner Unternehmer gegen ein System kämpfen, das sich selbst schützt?

Tomasino hofft, dass seine Geschichte nicht nur ihm hilft, sondern auch anderen Unternehmern zeigt, wie wichtig Transparenz und Fairness in der Schweiz sein müssen. Bis heute kämpft er für seine Rechte. 

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