Einzelhaft in der Schweiz: Kritik und Konsequenzen

Die Praxis der Einzelhaft in der Schweiz wird von Menschenrechtsorganisationen und Fachleuten heftig kritisiert. Mehr als dreissig Personen befinden sich ständig in Einzelhaft, was schwerwiegende psychische Folgen hat. Der Artikel von Sarah Schmalz in der Wochenzeitung WOZ beleuchtet diese Praxis aus der Sicht von Thomas Manhart, dem ehemaligen Leiter des Zürcher Justizvollzugs.

Thomas Manhart reflektiert selbstkritisch seine Amtszeit, insbesondere den Umgang mit dem unter extremen Bedingungen isolierten Brian Keller. Keller verbrachte dreieinhalb Jahre in Einzelhaft, geprägt von unmenschlicher Härte und Isolation. Diese Erfahrung brachte Manhart dazu, die Praxis der Einzelhaft und die damit verbundenen institutionellen Rahmenbedingungen in Frage zu stellen. Die Schweizer Institutionen neigen zur Arroganz, alles richtig zu machen». Dem sei aber nicht so. Manhart ist der Mann, der bis zu seiner Pensionierung 2019 als Amtsvorsteher hauptverantwortlich für die Haftbedingungen von Brian Keller war. Heute gibt er sich selbstkritisch. Auch er habe einen Tunnelblick gehabt, sagt er. «Wir dachten, wir müssten Brian Keller zeigen, wer der Stärkere ist, ihn endlich in die Knie zwingen. Schliesslich hatte er sich sonst nirgendwo gebeugt. Und sein Verhalten gab uns scheinbar Recht.»

Die Bedingungen der Isolationshaft

Die Einzelhaft ist in den sechs geschlossenen Strafanstalten der Schweiz weit verbreitet. Die Plätze in den Hochsicherheitsabteilungen sind in der Regel voll belegt und die Isolation wird oft ohne ausreichende Rücksicht auf die psychischen Folgen für die Gefangenen angewendet. Der Fall Brian wirft deshalb eine grundsätzliche Frage auf: Ist Hochsicherheitshaft, Einzelhaft – oder Isolationshaft, wie Kritiker sie nennen – eine unumgängliche Massnahme für besonders schwierige Gefangene – oder gehört sie verboten, wie Anwältinnen und Menschenrechtler fordern? Psychologen wie Reto Volkart warnen vor schweren psychischen Störungen, die durch Isolation hervorgerufen werden können, darunter sensorische Deprivation, Halluzinationen und schwere Depressionen.

Internationale Leitlinien und ihre Umsetzung

In Hochsicherheitsabteilungen werden Gefangene untergebracht, die als besonders gefährlich eingestuft werden. Trotz der Einführung der Nelson-Mandela-Regeln durch die UNO, die strenge Richtlinien für die Anwendung der Einzelhaft festlegen, ist die Praxis in der Schweiz weitgehend unverändert geblieben. Während die Einzelhaft zu disziplinarischen Zwecken auf zwei Wochen beschränkt ist, können die meisten Kantone die präventive Einzelhaft während sechs Monaten anordnen, bevor sie von den Gefängnissen überprüft werden muss. Die Kantone orientieren sich dabei an den Empfehlungen der drei Strafvollzugskonkordate Nordwest- und Innerschweiz, Ostschweiz und lateinische Schweiz.

Kritik an den Haftbedingungen

Der Artikel berichtet auch über die physischen Bedingungen und die Besuchsregelungen, die oft keinen direkten Kontakt zwischen Gefangenen und ihren Besuchern zulassen. Diese Bedingungen stehen im Widerspruch zu den Empfehlungen der Vereinten Nationen, die den direkten menschlichen Kontakt als wesentlich für eine humane Behandlung von Gefangenen ansehen. Wie schädlich Einzelhaft für die Betroffenen ist, hat Reto Volkart bereits in den achtziger Jahren untersucht. Der Psychologe verglich damals 30 Häftlinge in Einzelhaft mit 28 Gefangenen im Normalvollzug: «Die soziale Isolation und der plötzliche Reizentzug werden als überwältigende Ohnmachtssituation empfunden. Schon nach kurzer Zeit können akustische Halluzinationen und andere Wahrnehmungsstörungen auftreten. Angstzustände, emotionale Labilität, Depressionen und Apathie treten auf». Je länger man isoliert sei, desto stärker seien die Auswirkungen auf das Denken und den Körper. «Die Betroffenen sind verwirrt, haben Konzentrationsprobleme, können Dinge nicht mehr unterscheiden und sich nicht mehr ausdrücken, entwickeln Verfolgungsgedanken. Selbstverletzungen und Suizidversuche sind häufig». Der Bewegungsmangel wirke sich auch auf das vegetative Nervensystem aus. «Mit Schwindel, Schweissausbrüchen, Schlafstörungen, Blutdruck- und Körpergewichtsveränderungen. Bei Frauen bleibt oft die Menstruation aus. Auch Veränderungen der Hirnströme sind nachweisbar.»

Volkart weiter in dem WOZ-Artikel: «Einzelhaft sollte meiner Meinung nach höchstens für fünf Tage und nur unter ärztlicher Aufsicht verordnet werden.» Seine Studie löste Ende der achtziger Jahre eine politische Kontroverse aus. Danach verstummte die Debatte. Nicht aber auf der Ebene der internationalen Menschenrechtsinstitutionen. 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln, die Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen festlegen. Diese fordern zwar nicht die völlige Abschaffung der Isolationshaft, aber ihre humane Ausgestaltung – damit sie eben nicht zur Isolationshaft wird. Als solche definiert das Regelwerk «die Unterbringung von Gefangenen für 22 Stunden oder mehr pro Tag ohne nennenswerten zwischenmenschlichen Kontakt». Eine solche Massnahme dürfe nur als allerletztes Mittel und für maximal 15 Tage angeordnet werden, fordert die UNO. Alles andere widerspreche den Menschenrechten.

Hinter der Trennscheibe

Gefangene im Hochsicherheitstrakt sitzen hinter einer Trennscheibe, wenn sie Besuch empfangen. Auch Familienangehörige können die Häftlinge nur hinter Plexiglas sehen. Dies widerspricht der UNO-Forderung nach direkten zwischenmenschlichen Kontakten – nach Begegnungen, bei denen auch Berührungen möglich sind.

Direktor Andreas Naegeli von der Strafanstalt Pöschwies kann mit der Kritik der UNO wenig anfangen, schreibt die WOZ. «Wir können den Gefangenen in Hochsicherheitshaft doch keine Besuche ohne Trennscheibe ermöglichen. Sie sitzen ja gerade deshalb in Einzelhaft, weil wir direkte Begegnungen mit anderen Menschen als zu riskant erachten», erklärt er. Ähnlich wie Naegeli argumentieren auch die Leiter der Justizvollzugsanstalten Thorberg und Bostadel. Ganz anders sieht Walo C. Ilg die Einzelhaft. Der Berner Anwalt sagt: „Isolationshaft ist für alle schädlich, man muss die Leute auch vor sich selber schützen. Ilg ist auf Strafvollzugsrecht spezialisiert, er setzt sich für die Rechte der Gefangenen ein. Und er kritisiert das Menschenbild im Strafvollzug, das seiner Meinung nach immer noch stark autoritär geprägt ist. «Der Gefangene wird ausgegrenzt, er muss erzogen werden – durch den Wärter, der alles besser weiss.» Ilg bezweifelt, dass die langfristige Einzelhaft – wie im Gesetz vorgesehen – nur zur Prävention und nicht als Strafe eingesetzt wird. «Es gibt viele willkürliche Regeln in den Anstalten.

Mangelnde Transparenz und Kontrolle

Die Kritik der WOZ richtet sich auch gegen die mangelnde Transparenz und die defensive Haltung der Strafvollzugsanstalten gegenüber externer Kritik. Es fehle an unabhängigen Kontrollmechanismen, die die Anwendung von Isolationshaft überprüfen könnten. Dies führt dazu, dass Missstände perpetuiert und selten angegangen werden. Die Schweizer Strafanstalten können zwar nicht selbst längere Einzelhaft anordnen, sondern müssen einen Antrag an das zuständige Amt für Justizvollzug stellen. Diese lehnen das Gesuch aber kaum ab. Legt ein Gefangener Beschwerde gegen die Anordnung ein, wird diese von der Justizdirektion behandelt. «Das ist kein richtiges unabhängiges Rechtsmittel, weil es rein verwaltungsintern ist», sagt Manhart. «Die Justizdirektion neigt dazu, ihr Amt zu schützen und nur bei sehr groben Missständen einzugreifen. Man stützt sich gegenseitig und übt höchstens intern Kritik. Ähnlich sieht es der Berner Anwalt Walo C. Ilg: «Im Strafvollzug ist es fast unmöglich, einen Prozess zu gewinnen. Selbst vor der nächsten Instanz, dem Verwaltungsgericht, gewinnt man vielleicht zehn Prozent der Fälle».

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert