Erschreckendes Bild der Aargauer Strafverfolger

Das SCHWEIZER FERNSEHEN widmet dem Schweizer Kindermörder Werner Ferrari eine ausführliche Dokumentation in zwei Teilen. Der aufwändigen Filme von B&B Endemol im Auftrag von SRF zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild der Aargauer Strafverfolgungsbehörden zwischen Inkompetenz und Überheblichkeit. Ob es heute anders wäre?

Die TV-Produktion von blendet zurück in die 80er Jahre in der Schweiz. In diesem Jahrzehnt verschwanden immer wieder Kinder unter teils bis heute ungeklärten Umständen: 21 Mädchen und Buben wurden insgesamt entführt, von sieben von ihnen fehlt bis heute jede Spur. Zwölf Fälle konnten nie aufgeklärt werden, für fünf der Fälle wurde der heute 75-jährige Werner Ferrari zur Verantwortung gezogen und 1995 zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wird bis heute verwahrt. 2007 wurde er in einem Revisionsprozess von einem der Morde wieder freigesprochen.

Marc Gieriet und Selina Beeri haben als Autoren des Films mit den Eltern eines der Opfer gesprochen, der damals neunjährigen Fabienne Imhof. Das Mädchen wurde 1989 das letzte Opfer von Ferrari. Es war von Ferrari verfolgt worden, als das Kind zusammen mit einer Freundin von der «Chilbi» zurück ins Dorf ging. Der Mörder sprach die Mädchen an, sagte zu dem einen, es solle bei einer Kreuzung warten, bis er Fabienne nach Hause gebracht habe und zurückkomme. Dann ging er mit Fabienne weg, brachte das Mädchen um und vergewaltigte es. Das andere Mädchen konnte den Täter anschliessend allerdings so gut beschreiben, dass schliesslich ein Phantombild angefertigt werden konnte, dass rasch zu Ferrari führte.

Warum nicht früher gefasst?

Nur: Das war fast neun Jahre, nachdem die 12-jährige Ruth Steinmann in einen Wald gelockt und dort ermordet wurde. Gemäss der TV-Dokumentation habe es bereits nach diesem Mord einen Hinweis auf Ferrari gegeben, dem allerdings nicht nachgegangen worden sei. Besonders krass: Der Hinweis stammte gemäss dem TV-Film von der Mutter eines früheren Opfers: Ferrari war nämlich bereits 1973 verurteilt worden, weil er zwei Jahre zuvor, 1971, in Reinach BL ein zehnjähriges Kind getötet hatte, und die Tatmuster glichen sich.  Damals zu 12 Jahren Haft verurteilt, war Ferrari allerdings nach Verbüssung der Hälfte der Zeit wieder aus dem Strafvollzug entlassen wurden. – Wie sich später herausstellte, war Ferrari zwar für den Tod von Steinmann nicht verantwortlich, dass er aber, bis er aufgrund des Phantombildes von 1989 bei keinem der Morde, die ihm später zur Last gelegt worden waren, genauer überprüft worden war, stellt der Aargauer Kriminalpolizei auch 30 Jahre später noch ein schlechtes Zeugnis aus.

Der ehemalige Kripo-Chef der Kantonspolizei Aargau, Urs Winzenried, kommt in dem Film ausführlich zu Wort und beteuert, man habe alles unternommen, um den Täter zu finden. Es hätten damals eben noch nicht die Computersysteme von heute zur Verfügung gestanden. Dennoch äussern sich die Drehbuchautorin und Journalistin Christine Brand und auch BLICK-Reporter Viktor Dammann kritisch zur Arbeit der Polizei. Winzenried auch schon in den Achzigerjahren unerträgliche Äusserungen in der Öffentlichkeit gemacht wie etwa die, es brauche möglicherweise noch einen Mord, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Am Ende des Films räumt der ehemalige Kripo-Chef wenigstens ein, man habe sich auch bei der Polizei die Frage gestellt, warum man Ferrari nicht früher habhaft werden konnte.

Eine Frage, die sich umso mehr stellt, als Winzenried, unterdessen pensioniert, 2018 noch einmal medial in Erscheinung trat und in einem Radio-Interview Werner Ferrari auch noch für die anderen ungeklärten Kindermorde verantwortlich machte, was einen kleinen Skandal provozierte. Dabei warf diese Aussage ein nur noch schlechteres Licht auf die Aargauer Ermittler, die völlig im Dunkeln tappten – dabei war Ferrari doch schon längst als Kindermörder in den Registern und sogar schon auf einer „Black List“, die gemäss Winzenried allerdings sehr viele Namen umfasst haben soll. Was wiederum nicht einleuchtet, denn pädophile Kindermörder sassen in der Schweiz zu keinem Zeitpunkt grad‘ zu Hunderten ein. Gemäss Film sollen die Beamten Ferrari auch einmal aufgesucht haben – als er allerdings nicht zuhause war, wurde die Spur wieder fallengelassen.

Ex-Staatsanwalt Erich Kuhn: Nichts gelernt

In Sachen Überheblichkeit und Peinlich noch übertroffen wird Winzenried allerdings vom ehemaligen fallführenden Staatsanwalt Erich Kuhn, auch er heute pensioniert. Kuhn kann ganz offensichtlich bis heute nicht wahrhaben, dass er Ferrari zu Unrecht auch den Mord an Ruth Steinmann im Jahr 1980 anlastete. Es war vielmehr dem unterdessen verstorbenen Journalisten Peter Holenstein zu verdanken, dass dieser Fall noch einmal aufgerollt wurde. Holenstein hatte sich intensiv mit der Person von Ferrari beschäftigt und auch ein Buch über ihn geschrieben. Und Holenstein hatte sich mit den Eltern der Opfer unterhalten. Im Gespräch mit dem Vater von Ruth Steinmann erfuhr er, dass diesem von einer Person ein Bild überreicht worden war mit der Aussage, der Mann auf dem Bild könnte der Täter sein. Gemäss Film soll auch die Polizei dieses Foto erhalten haben, ging aber auch diesem Hinweis nicht nach. Alt-Staatsanwalt Kuhn rechtfertigt das heute damit, es habe halt viele Hinweise gegeben und spricht von «Verschwörungstheorien». Nur: Ein Schamhaar, das auf der Leiche von Ruth gefunden worden war, lässt sich mit einem DNA-Test nicht Ferrari zuordnen.

Holenstein und der Blick-Reporter Viktor Dammann lassen jetzt nicht mehr locker. Über einen Aufruf im BLICK können sie das Haus, das im Hintergrund auf dem Foto zu erkennen ist, identifizieren und schliesslich auch ausfindig machen, bei wem es sich bei dem Tatverdächtigen handelte. Nur: Der Krankenpfleger ist seit bereits tot: Er hatte sich 1983 das Leben genommen und liegt auf dem Friedhof im Ausserrhodischen Wolfhalden. Staatsanwalt Kuhn weigert sich beständig, den Fall neu aufzurollen und verteidigt seine Haltung in dem Film auch heute noch. Der Anwalt von Ferrari verlangt eine Revision, schliesslich wird auf Geheiss des Gerichts die Leiche exhumiert und tatsächlich: ein Gebiss-Abgleich zeigt, dass das Gebiss des Exhumierten exakt auf einen Bissabdruck passt, der bei der Autopsie an der Leiche an der Brust von Ruth Steinmann festgestellt worden war. – Ferrari wird in der Folge von diesem Mord freigesprochen. Ex-Staatsanwalt Kuhn bekümmert das und die Tatsache, dass er den Mord völlig zu Unrecht Ferrari angelastet hatte,  allerdings bis heute nicht.  In völliger Verkennung der Realität behauptet er in dem Dokumentarfilm «Für eine Revision braucht es sichere Beweismittel, und die gab es nicht.»

 

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