Elisabeth Kopp ist tot. Die erste Schweizer Bundesrätin verstarb, wie erst eine Woche später bekannt wurde, am Karfreitag an einer langen Krankheit. In den Nachrufen der Schweizer Medien weitgehend verklärt, ist die Tragik ihres erzwungenen Rücktritts bis heute von grösster Aktualität.
Man soll Verstorbenen nichts Schlechtes nachsagen. Wenn inside-justiz heute das tragische Ende ihrer Karriere noch einmal nachzeichnet, dann nicht, um der Magistratin Schlimmes nachzuwerfen. Zweifellos hat Elisabeth Kopp in den vier Jahren, die sie Bundesrätin war, gezeigt, dass eine Frau diese Arbeit genau so gut wahrnehmen kann wie ein Mann und verschiedene Reformen angestossen. Gescheitert ist sie schliesslich an einer Interessenkollision, wie sie auch dreissig Jahre später immer noch häufig vorkommen. – Dabei ist sie nur mit viel Nachsehen der höchsten Richter nicht strafrechtlich verurteilt worden.
Das Bundesgerichtsurteil vom 23. Februar 1990
In vielen Nachrufen auf Kopp ist dieser Tage zu lesen, Kopp sei seinerzeit vom Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung freigesprochen worden, mithin mit der Ergänzung, die Vorwürfe gegen sie hätten sich in Luft aufgelöst. Ersteres ist juristisch korrekt, das zweite allerdings in einer Art euphemistisch, welche die wahre Tragweite der damaligen Vorgänge verklärt. Gleichzeitig ist es interessant, nachzulesen, wie das Bundesgericht seinerzeit zu seinem Entscheid kam. Zu finden ist das alles in BGE 116 IV 56, in dem auch der Sachverhalt ausführlich geschildert ist und sich beinahe wie ein Kriminalroman liest.
Am Anfang der Geschichte standen Ermittlungen der Tessiner Justizbehörden, die in einem Fall der Frage nachgingen, wie Drogengelder in der Schweiz gewaschen wurden. Dabei stiessen sie auch auf die Firma Shakarchi Trading AG, die dabei eine massgebliche Rolle gespielt haben soll. Vizepräsident der Firma war der Ehemann der 1984 in den Bundesrat gewählten Elisabeth Kopp, der Zürcher Jurist und Rechtsanwalt Hans W. Kopp.
In die Untersuchungen involviert war auch ein Berner Beamte: Jacques-André Kaeslin war 1988 bei der Bundesanwaltschaft in der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels tätig. Kaeslin wollte das Strafverfahren der Tessiner Behörden auf weitere Beschuldigte ausdehnen, etwa auch die Shakarchi Trading AG und/oder deren Repräsentanten. Dafür schrieb er mehrere Berichte an seine Vorgesetzten, biss aber auf Granit, weil zu diesem Zeitpunkt Geldwäscherei in der Schweiz nicht wie heute strafbar war. Kaeslin wollte das allerdings nicht auf sich sitzen lassen und tauschte sich mit einer Expertin im Bundesamt für Justiz aus. Renate Schwob beschäftigte sich dort mit dieser Frage und war auch damit befasst, eine Strafbestimmung zur Geldwäscherei für das Schweizerische Strafgesetzbuch auszuarbeiten, die dann in den politischen Prozess hätte eingespiesen werden sollen. Kaeslin offenbarte Schwob seine Erkenntnisse und überliess ihr seine Berichte.
Mehrere Freundschaftsdienste
Schwob erkannte die Brisanz der Berichte, als sie auf die Shakarchi Trading AG und Hans W. Kopp stiesss, und kontaktierte umgehend eine persönliche Freundin von ihr: Katharina Schoop. Diese, eine promovierte Juristin, arbeitete zu diesem Zeitpunkt als persönliche Mitarbeiterin der Justizministerin Elisabeth Kopp. Die beiden Frauen waren überzeugt, dass die Bundesrätin ins Bild gesetzt werden müsse. Schoop fertigte einige Handnotizen an – die Berichte erhielt sie von Schwab nicht ausgehändigt – und informierte Kopp am 27. Okober 1988 über den Verdacht. Schoop riet Kopp gemäss der Sachverhaltsdarstellung des Bundesgerichts auch, deren Ehemann Hans W. Kopp müsse so rasch als möglich aus dem Verwaltungsrat der Firma Shakarchi austreten. Kopp wollte von Schoop keine weitere Details hören, sondern bat ihre Mitarbeiterin, diese ihren Mann direkt bekanntzugeben. Es folgte das Telefonat von Kopp an ihren Mann, indem sie ihn bat, aus dem Verwaltungsrat auszureten und mit Schoop zu den Details zu telefonieren.
Objektiver Tatbestand erfüllt
Damit war der objektive Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung erfüllt, wie auch das Bundesgericht wörtlich festhielt: «Katharina Schoop und Elisabeth Kopp haben in objektiver Hinsicht ohne Zweifel ein Amtsgeheimnis offenbart, als sie Informationen aus den Berichten Kaeslins an Hans W. Kopp weitergaben. Auch steht fest, dass sie das Geheimnis in ihrer amtlichen Stellung wahrgenommen haben.» Nur: Für eine Verurteilung müssen gemäss Strafgesetzbuch nicht nur die objektiven, sondern auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sein. Art. 320 StGB verlangt bei der Amtsgeheimnisverletzung vorsätzliches Handeln, Fahrlässigkeit genügt nicht. Und jetzt wird es interessant: Im Falle von Katharina Schoop hält das Bundesgericht fest, dass ihr entgegen der Behauptung ihres Verteidigers habe bewusst sein müssen, dass die Berichte, von denen sie Kenntnis erhielt, an den Bundesanwalt gerichtet waren. «Es muss ihr auch bewusst gewesen sein, dass Hans W. Kopp über den Inhalt solcher Berichte grundsätzlich nicht hätte orientiert werden dürfen. Da sämtliche Tatbestandsmerkmal von Art. 320 StGB erfüllt sind, ist Katharina Schoop der Verletzung des Amtsgeheinmisses schuldig zu sprechen.»
Am Ende wird Schoop dafür allerdings gleichwohl nicht bestraft und mit einem «Buebetrickli» aus der Patsche geholfen. Schoop hatte in der Hauptverhandlung vor Gericht nämlich ausgesagt, sie sei lediglich einer Weisung ihrer Chefin nachgekommen und habe «in Erfüllung ihrer Amtspflicht» gehandelt – dass sie dabei eine Amtsgeheimnisverletzung begehe, soll der studierten Doktorin der Jurisprudenz nicht klar gewesen sei. Und das Bundesgericht nahm ihr das ab: «Es ist ihr jedoch zu glauben, dass sie wegen der entsprechenden Aufforderung von Frau Kopp der Ansicht war, sie sei zu diesem Vorgehen berechtigt. Dass sie die Befugnisse eines Bundesrates ausserordentlich hoch einschätzte, legte sie an der Hauptverhandlung glaubwürdig dar. Sie meinte also, das Geheimnis gestützt auf die Anweisung ihrer Vorgesetzten offenbaren zu dürfen oder sogar in Erfüllung einer Amtspflicht zu handeln.» Fazit: Keine Strafe für die persönliche Mitarbeiterin aufgrund eines Rechtsirrtums nach Art. 20 StGB.
Auch Kopp schlüpft aus der Schlinge
Auch bei Elisabeth Kopp sieht das Bundesgericht den Vorsatz nicht gegeben. Begründet wird das damit, dass Kopp gemäss Sachverhalt nie nachgefragt haben soll, woher die Informationen ihrer persönlichen Mitarbeiterin stammten, sondern schlicht davon ausging, diese stammten «aus Bankerkreisen». Wörtlich aus dem Bundesgerichtsurteil: «Frau Schoop hat ihre Quelle nicht genannt, mehrfach auch Informationen aus externen Quellen beigebracht und durch die Art dieser Quellen die Vermutung nahegelegt, sie könnten auch im vorliegenden Fall die Informationen geliefert haben. Da sich diese Möglichkeit nicht mit letzter Gewissheit ausschliessen lässt, hat die Beweiswürdigung zugunsten der Angeklagten auszufallen.».
Mit anderen Worten: Das Gericht sprach Kopp frei, weil es «nicht hinreichend erwiesen» war, dass sie wusste, dass die Informationen über den Geldwäschereiverdacht aus dem Justiz-Apparat stammten. Immerhin brummte ihr das Gericht dann noch einen Teil der Verfahrenskosten auf. Denn dass die Bundesrätin nicht nachgefragt hatte, woher die Informationen der persönlichen Mitarbeiterin stammten, machte ihr das Bundesgericht doch noch zum Vorwurf: «Hätte sie diese Vorsicht beobachtet, zu der sie nach den gesamten Umständen und ihren persönlichen Verhältnissen verpflichtet gewesen wäre, hätte sie erkennen müssen, dass die Informationen aus der Bundesanwaltschaft stammten. Durch ihr unüberlegtes und leichtfertiges Benehmen hat sie den Interessen des Bundes zuwidergehandelt», schrieb ihr das Bundesgericht schliesslich ins Stammbuch.
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Aus heutiger Sicht schwer verständlich
Die Argumentation des Bundesgerichts ist 33 Jahre nach dem Urteilsspruch nurmehr schwer verständlich. Wenn ein Banker heute argumentiert, er habe bei heiklen Informationen eines Kunden nicht nachrecherchiert oder nachgefragt, wird er nonens-volens wegen pflichtwidrigen Verhaltens verurteilt. In dem Bundesgerichtsurteil wird zudem mit keinem Wort erwogen, dass sich die beiden beschuldigten Frauen, beide Juristinnen (Kopp hatte mit der Auszeichnung «summa cum laude» abgeschlossen, Schoop hat gar einen Doktortitel), hätten abgesprochen haben können, nachdem sie kraft ihrer Ausbildung ganz genau wussten, wie sie ihre Aussagen aufeinander abstimmen mussten, um strafrechtlich davon zu kommen.
Gleichzeitig muss das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts im Spiegel seiner Zeit betrachtet werden. Der Polit-Skandal erschütterte die Schweiz 1988 in ihren Grundfesten, dass sich ein Mitglied des Bundesrates hätte unmoralisch oder gar widerrechtlich verhalten können, war Ende der Achtziger-Jahre noch für breite Kreise ebenso undenkbar, wie dass ein Politiker oder eine Politikerin Lügen erzählen würde, um den Kopf aus der (juristischen) Schlinge zu ziehen. Dass das Bundesgericht zu diesem Zeitpunkt ein ehemaliges Regierungsmitglied – und dann auch noch das erste weibliche – wegen einer Straftat verurteilt hätte, war damals gesellschaftlich und politisch unvorstellbar.
Heute wissen wir, dass auch Regierungsmitglieder und Magistratspersonen keinen höheren moralischen Ansprüchen genügen. Bundesratsmitglieder erlauben sich Seitensprünge, verstossen gegen Gesetze und Politikerinnen und Politiker lügen, was das Zeug hält, wenn es ihren Interessen dient. Klar erscheint zumindest, dass der damalige Sachverhalt heutzutage ganz anders gewürdigt und ein unbefangenes Gericht im Jahr 2023 wohl auch zu einem anderen Urteil kommen würde.
Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass Elisbeth Kopp vom strafrechtlichen Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung freigesprochen wurde – das ist und bleibt Fakt. Heute aber zu schreiben, die Vorwürfe gegen sie hätten sich nie erhärten lassen und gleichzeitig zu insinuieren, sie wäre das unschuldige Bauernopfer des damaligen männlichen Machtkartells gewesen, ist genauso falsch.
Foto: Elisabeth Kopp, 2008, in ihrem Büro in Zumikon. Credits: Coralie Wenger, Quelle: Wikipedia