In Berikon (AG) hat eine 14-jährige mutmasslich ein 15-jähriges Mädchen erstochen. Erinnerungen an den Fall von Luise Frisch im deutschen Freudenberg werden wach: Dort hatten ein 13- und ein14-jähriges Mädchen ihre Klassenkameradin Luise mit 32 Messerstichen ermordet. Und waren nie strafrechtlich verurteilt worden – weil in diesem Alter noch nicht strafmündig.
Die Faktenlage ist bislang noch dünn. Bekannt ist, dass am Sonntagnachmittag Spaziergänger bei Berikon AG ein Mädchen mit Verletzungen vorfanden. Wie die Kantonspolizei Aargau am Montag mitteilte, trafen sie kurz nach 16 Uhr in der Nähe des Schützenhauses Berikon auf ein blutendes Mädchen. Sie versorgten es und riefen eine Ambulanz. «Zeitgleich stiessen andere Spaziergänger im nahen Wald auf ein Mädchen, das stark blutend am Boden lang», schreibt die Kantonspolizei weiter. Auch diese Privatpersonen leisteten erste Hilfe, bis auch hier die Ambulanz eintraf. Allerdings zu spät. Trotz Reanimationsmassnahmen verstarb die 15-Jährige an den erlittenen Stichverletzungen.
Das erste Mädchen, das keine lebensbedrohlichen Verletzungen aufwies, wurde ins Spital verbracht, wie die Kantonspolizei schreibt: «Früh zeigte sich, dass zwischen den beiden Jugendlichen ein Zusammenhang bestand. Daraus ergab sich gegen die 14-Jährige ein dringender Tatverdacht. Die Kantonspolizei Aargau nahm sie fest.»
Die Ermittlungen seien im Gang, federführend ist die Aargauer Jugendanwaltschaft. Die Motive und der konkrete Tatablauf sind aktuell noch nicht bekannt. Am Montagmorgen fand offenbar auch ein Polizeieinsatz an der Kreisschule Mutschellen statt, wo beide Mädchen zur Schule gegangen sein sollen. Das berichtet 20minuten.ch am Montagmittag. BLICK.CH berichtet zudem, die Polizei gehe davon aus, dass der Auffindeort des Opfers auch der Tatort gewesen sei und es lägen aktuell keine Hinweise auf Mittäter oder Mittäterinnen vor.
Ähnlicher Fall erschütterte 2023 ganz Deutschland
Der tragische Aargauer Fall erinnert an eine ähnlich gelagerte Geschichte aus dem deutschen Freudenberg/NRW. Dort war am 11. März 2023 die 12-jährige Luise Frisch von zwei Kameradinnen brutal mit 32 Messerstichen getötet worden. Die beiden Täterinnen waren mit dem Opfer in einen Wald gegangen und wollten sie erst ersticken. Als das nicht gelang, hielt das eine Mädchen Luise fest, während die andere zustach – Medienberichten zufolge mit einer Nagelfeile. Die Täterinnen waren zum Tatzeitpunkt 12 und 13 Jahre alt.
Der Fall wurde deutschlandweit diskutiert, insbesondere unter dem Aspekt, dass in Deutschland Kinder unter 14 Jahren grundsätzlich strafunmündig sind und damit strafrechtlich nicht belangt werden können. – Anders als in der Schweiz, wo das Jugendstrafrecht schon ab 10 Jahren ansetzt. Die Ermittlungen in Deutschland waren deshalb im Herbst 2023 eingestellt worden. Während viele Deutsche nach wie vor nicht verstehen können, warum die Strafmündigkeit in Deutschland erst bei 14 Jahren beginnt, wollen die deutschen Jugendjuristen aber an der geltenden Regelung festhalten.
Details z.B. zum Motiv der beiden Mädchen wurden deshalb bislang nie bekannt. Der Schock in Freudenberg sass auch ein Jahr nach der Tat immer noch tief, wie ein Artikel des RND ein Jahr nach der Zeit zeigt.
Noch offen ist allerdings eine Zivilklage von Luises Eltern gegen die beiden Täterinnen, denn anders als im Strafrecht können in Deutschland Kinder ab 7 Jahren haftungsrechtlich belangt werden. Luises Eltern fordern von den Täterinnen EUR 160’000 Schmerzensgeld und Schadenersatz. Zum kürzlichen zweiten Jahrestag erzählten die Eltern einer Täterin gegenüber der deutschen Zeitung WELT AM SONNTAG (hinter Bezahlschranke), wie sie mit der Tat umgingen. Der Artikel fand grosse Beachtung und wurde in verschiedenen anderen Medien, wie etwa auf FOCUS ONLINE (ohne Bezahlschranke) zitiert.
Titelbild: Hier gingen die mutmassliche Täterin und das Opfer zur Schule: Kreisschule Mutschellen. (c) Moin «Nico», Google Maps
«So etwas passiert nicht aus dem Nichts»
In den CH-Medien (hinter Bezahlschranke) nimmt der langjährige Gerichtspyschiater Josef Sachs Stellung zu möglichen Ursachen und Motiven. Der Fachmann geht davon aus, dass ein längerer Konflikt geherrscht habe und sich die Frage stelle, wie sich dieser geäussert und entwickelt habe und ob Aussenstehende etwas davon mitbekommen hätten.
«Tatsächlich scheint es sich bei diesem Fall um eine Art Duell der beiden Mädchen zu handeln, das für eines tödlich endete. Körperverletzung mit Todesfolge gehört zu den häufigsten Formen von Tötungsdelikten bei jungen Frauen. So etwas passiert nicht aus dem Nichts heraus, das hat sicher eine Vorgeschichte, die wir bisher aber noch nicht kennen.»
Auf die Nachfrage des Journalisten, ob es sein könnte, dass der schwelende Konflikt niemandem aufgefallen sei, meint Sachs: «Das ist durchaus denkbar. Es ist möglich, dass die beiden Mädchen in der Schule oder zu Hause keine Auffälligkeiten zeigten, obwohl es vielleicht in der Freizeit, wenn sie alleine waren, einen schwerwiegenden Konflikt gab.»
Bei Mädchen gehe es bei solchen Konflikten «meistens um Beziehungen», so Sachs, «zum Beispiel um einen Jungen, eine gemeinsame Freundin oder um Verleumdung.» Fälle von Messergewalt bei Mädchen sei selten, habe aber bei beiden Geschlechtern zugenommen, so Sachs.