Nach neuen Enthüllungen und kritischen Berichten im TAGES-ANZEIGER und der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kommt Bundesanwalt Michael Lauber weiter unter Druck. Parlamentarierinnen nicht nur des Mitte-Links-Spektrums fordern Lauber unverhohlen zum Rücktritt auf. Kommt er der Forderung nicht nach, wollen sie ein Amtsenthebungsverfahren in die Wege leiten.
Wie der TAGES-ANZEIGER, BLICK und das SCHWEIZER FERNSEHEN berichtet, äussern sich verschiedene Politiker deutlicher als je zuvor. SVP Nationalrat Pirmin Schwander, der im letzten September Lauber noch im Amt bestätigte, sagt im TAGES-ANZEIGER: „Ich erwarte, dass Bundesanwalt Lauber die Konsequenzen zieht und zurücktritt.“ Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen, twittert: „Wie lange noch, bis #Bundesantwalt #Lauber endlich selbst Konsequenzen zieht?“ Wenn es ihm mit der Glaubwürdigkeit des Amtes ernst sei, müsse er jetzt gehen.
SP-Nationalrat Matthias Aebischer erwartet ebenfalls den Rücktritt, und sagt in der TAGESSCHAU des SCHWEIZER FERNSEHENS: „Sollte der Bundesanwalt jetzt nicht selbst zurücktreten, so werde ich ein Amtsenthebungsverfahren unterstützten, denn so kann es nicht mehr weitergehen.“ Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan fand schon am Morgen im BLICK: „Es ist eine valable Option für mich, die Enthebung zu beantragen.“ – Und da waren die jüngsten Enthüllungen noch nicht einmal publik.
Grund für die negative Stimmung ist zunächst der gesamte sogenannte „Fussballkomplex“, der mit dem heutigen Tag in die Verjährung geschlittert ist. Für viele Beobachter und Justizfachleute eine unglaubliche Blamage: Vor fünf Jahren war die Bundesanwaltschaft mit vollmundigen Ankündigungen angetreten und wollte verschiedene Machenschaften untersuchen rund um Fifa, Uefa und insbesondere die Weltmeisterschaftsvergabe der WM 2006 nach Deutschland. Das deutsche Sommermärchen, wie die Spiele oft genannt wurden, steht unter dem Verdacht, nur durch Bestechungsgelder an einen hohen FIFA-Funktionär überhaupt nach Deutschland vergeben worden zu sein.
Im Zentrum steht eine dubiose Zahlung von „Kaiser“ Franz Beckenbauer, dem Projektleiter der WM 2006 über 10 Millionen Franken zugunsten von Mohammed bin Hammam, den damaligen Vize-Präsidenten der Fifa.
Fünf Jahre später steht die Schweizer Justiz vor einem Scherbenhaufen: Das Verfahren gegen Beckenbauer wurde aufgrund seines Gesundheitszustands abgetrennt, angeklagt werden sollten lediglich noch Funktionäre, die von der NZZ als „Statisten“ bezeichnet werden. Und: Auch die Vorwürfe gegen sie sind mit dem heutigen Tage verjährt, Bundesanwaltschaft und Bundesstrafgericht haben es nicht geschafft, innerhalb der gesetzlichen Fristen zu einem erstinstanzlichen Urteil zu kommen.
Das Versagen wird in den internationalen Medien mit Spott und Häme überzogen. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist die Rede von „Hobbydetektiven“, die da am Werk gewesen seien, mit verheerendem Resultat: „Die Schweizer Bundesanwaltschaft hat das Verfahren krachend an die Wand gefahren.“
Dann berichtet der TAGES-ANZEIGER in seiner Montagsausgabe über neue belastende Moment in der Causa. So soll eine E-Mail von FIFA-Präsident Gianni Infantino an seinen alten Freund (und Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold Hinweise dafür geben, dass bei den ominösen Treffen zwischen dem Bundesanwalt und Infantino doch über mehr als nur Belangloses geredet worden sei. So soll Infantino am 12. April 2016 an Arnold eine E-Mail geschrieben haben mit dem Inhalt: „Ich werde versuchen, es der Bundesanwaltschaft zu erklären, da es ja auch in meinem Interesse ist, dass alles so schnell wie möglich geklärt wird, dass klar gesagt wird, dass ich damit nichts zu tun habe.“
Gemäss der Zeitung soll sich die Aussage auf einen Komplex bezogen haben, zu dem damals eine Strafuntersuchung lief. Es ging um einen TV-Rechtevertrag, der dubios erschien, und von Gianni Infantino unterschrieben worden war. Zehn Tage nach der E-Mail trafen sich Infantino und Lauber. Und im November 2017 wurde das Verfahren zu den Vorgängen, in denen Infantino eine dubiose Rolle hatte, sang- und klanglos eingestellt. Zwischenzeitlich hatten drei Geheimtreffen stattgefunden, an welche sich die Teilnehmer zum Teil allesamt nicht mehr erinnern konnten – und die nie protokolliert worden waren, wie das die Strafprozessordnung eigentlich verlangt.
Noch happiger erscheint aber der zweite Vorwurf: Der Zeitung liegt die Abrechnung einer Zürcher Rechtsanwaltskanzlei vor, die belege, dass zwischen den Rechtsanwälten der FIFA und der Bundesanwaltschaft ein reger informeller Austausch stattfand. Die Aussage des TAGES-ANZEIGERS gipfelt in der Titelzeile „Tägliche Geheimgespräche mit der FIFA.“ Geheimgespräche deshalb, weil die Telefonate, die von der Anwaltskanzlei der FIFA in Rechnung gestellt wurden, bei der Bundesanwaltschaft gemäss der Zeitung nie zuhanden der Akten protokolliert worden waren. Stimmen die Vorwürfe, käme das einem weiteren Gesetzesverstoss durch die Behörde gleich. Die Bundesanwaltschaft wollte gegenüber dem TAGES-ANZEIGER keine Stellung zu den neuen. schweren Vorwürfen nehmen.
Das tat dann quasi stellvertretend für sie der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth in einem Interview mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Pieth, der früher ein Mandat der FIFA hatte, um mitzuhelfen, innerhalb des Weltfussballverbandes so etwas wie Compliance-Strukturen aufzubauen, kennt den Fragekomplex aus dem Inneren. Und übt schärfste Kritik an der Bundesanwaltschaft. „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele gestandene Bürger und Bürgerinnen sich bei mir melden. Häufig sind es pensionierte Staatsanwälte, Polizeichefs. Richter oder höhere Verwaltungsangestellte, die ihr Amt ein Befufsleben lang nach bestem Wissen und Gewissen ausgeübt haben. Sie alle verstehen die Welt nicht mehr, sie sind voller Wut und können nicht glauben, was sich derzeit in der Bundesanwaltschaft abspielt,“ sagt Pieth im Interview mit NZZ-Journalist Marcel Gyr und geht noch einen Schritt weiter: „Ehrlich gesagt denke ich, in den USA würde Lauber angesichts all dieser Vowürfe ins Gefängnis kommen, wegen „contempt of court“, Missachtung einer richterlichen Behörde. Das ist in den USA ein ganz schlimmes Vergehen, Akten zu unterschlagen oder eine Untersuchung zu torpedieren, das wiegt mindestens so schwer wie das Delikt selber.“