Das Obergericht Aargau hat in einem Urteil festgestellt, dass die Kapo Aargau zu Unrecht das Auto eines jungen Lenkers durchsucht hat – auch wenn danach ein Schlagstock gefunden wurde. Die wichtigsten Antworten darauf, was bei einer Verkehrskontrolle in Ordnung ist und was nicht. Tipps vom Fachmann.
Kaum eine Person wird nicht unruhig, wenn sie von der Polizei kontrolliert wird. Dies alleine deshalb, weil man solche polizeilichen Kontrollen nicht gewohnt ist und deshalb nicht weiss, wie diese ablaufen und, was dabei erlaubt ist. Wir haben unter anderem mit Peter-Martin Meier, ehemaliger Chef der Verkehrspolizei der Kantonspolizei St. Gallen und ehemaliger Direktor des Schweizerischen Polizeiinstituts in Neuenburg, der nationalen Kaderschmiede der Schweizer Polizei, gesprochen und die Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammengetragen.
Darf mich die Polizei anhalten?
Die Kantonspolizei darf Verkehrskontrollen durchführen. Häufig wurden zuvor verdächtige Beobachtungen oder Delikte gemeldet. Auch eine allgemeine Verkehrskontrolle ist zulässig.
Nach welchen Kriterien wird kontrolliert?
Peter-Martin Meier sagt dazu: „Verkehrskontrollen richten sich schwerpunktmässig nach sicherheitsrelevantem Fehlverhalten und können stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen von allgemeinen Grosskontrollen stattfinden. Dazu werden entweder alle Fahrzeuge angehalten und angeschaut oder sie werden selektiv nach bestimmten Kriterien zur Seite genommen.“
Was für Informationen muss ich mitteilen?
Als Verkehrsteilnehmer unterliegt man bei einer solchen Kontrolle einer „Mitwirkungspflicht“. Man muss Fahrzeugausweis und Fahrausweis vorweisen. Der Führerausweis ist ein Dokument, das über die Berechtigung Auskunft gibt, überhaupt ein Fahrzeug führen zu dürfen. Die Identitätskarte muss in der Schweiz nicht mitgeführt werden. Kann die Identität nicht festgestellt werden, kann es sein, dass diese auf dem Posten festgestellt werden muss.
Meier fügt hinzu, dass die Polizei „sie zu Ihrem Verhalten bezüglich Verkehrssicherheit befragen darf – also zum Beispiel ob Sie Alkohol getrunken oder andere Substanzen konsumiert haben, welche die Fahrfähigkeit beeinträchtigen können.“ Grundsätzlich ist es so, dass man bei solchen Fragen jedoch ein Aussageverweigerungsrecht hat und dieses wahrnehmen kann. Auch Fragen zu Abfahrts- und Zielort, Hobbys, Arbeitgeber, etc. müssen nicht beantwortet werden.
Kann die Polizei einen Alkohol- oder Drogentest verlangen?
Eine Alkoholkontrolle kann seit 2016 eigentlich immer gemacht werden. Widersetzen „empfiehlt sich nicht, denn Sie können nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft dazu gezwungen werden“, so Peter. Es braucht dazu auch kein Verdachtsmoment. Zudem sind die Alkoholmesskontrollen mittlerweile so genau, dass sie später auch noch vor Gericht verwendet werden kann. Die Polizisten müssen den Fahrzeuglenker jedoch weiterhin auf die Möglichkeit einer Blutprobe aufmerksam machen, falls der Getestete dem Ergebnis der Atemmessung nicht traut.
Bei einem Drogentest ist dies anders. Dort gilt der Grundsatz des Anfangsverdachts. Man muss also einen fahrunfähigen Eindruck machen, damit die Beamten einen Drogentest machen dürfen. Auch der Geruch von Gras reicht dafür aus. Fällt der Test positiv aus, ist man verpflichtet, sich zur Absicherung im Spital Blut abnehmen zu lassen.
Darf die Polizei körperliche Durchsuchungen vornehmen?
Körperliche Durchsuchungen gehören üblicherweise nicht zu einer allgemeinen Personenkontrolle, können jedoch von der Polizei angeordnet werden. „Sie darf Sie oberflächlich abtasten, wenn Grund zur Annahme besteht, dass Sie deliktische Gegenstände in oder unter den Kleidern verstecken“, erklärt Peter-Martin Meier. Die Beamten dürfen also die Taschen durchsuchen und Personen nach Waffen abtasten.
Eine weitergehende körperliche Durchsuchung darf die Polizei aber nicht in der Öffentlichkeit durchführen. Dazu benötigt es einen geschlossenen Raum bzw. ein Fahrzeug, um zum Polizeiposten fahren zu können. Körperöffnungen dürfen nur von Ärzten untersucht werden.
Ausserdem sollten Frauen stets von Frauen durchsucht werden, auch wenn dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Bei Bedarf sollte unbedingt eine gleichgeschlechtliche Durchsuchung gefordert werden.
Kann mein Auto durchsucht werden?
Wie einführend im Artikel gezeigt, benötigt es auch dafür einen Anfangsverdacht, damit eine solche Durchsuchung gemacht werden darf, da sich dieser Eingriff nicht mehr mit der allgemeinen Verkehrssicherheit rechtfertigen lässt. Die Durchsuchung des Autos ist grundsätzlich ein Eingriff in die Privatsphäre und muss deswegen durch einen Verdacht begründet werden. Ein Suchen „ins Blaue hinaus“ ist nicht erlaubt. Bei allfälligen Unsicherheiten lohnt es sich also nach den Gründen und Verdachtsmomenten zu fragen und allfällige Voruntersuchungen wie einen Alkoholtest zu verlangen. Sofern die Durchsuchung gegen den Willen der betroffenen Person erfolgt, müssen die Beamten vorgängig eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft verlangen.
Davon zu unterscheiden sind Fahrzeugkontrollen im Grenzbereich. Um den Personen- und Warenverkehr überwachen zu können, dürfen die Zollbehörden ohne besondere Voraussetzungen risikobasierte Stichproben vornehmen und dabei gegebenenfalls das Fahrzeug durchsuchen.
Wie legen ich Beschwerde über die Polizeikontrolle ein?
Fühlt man sich nicht respektvoll oder angemessen behandelt, ist es möglich eine Beschwerde einzureichen. Falls Sie Beschwerde einlegen wollen, sollten Sie sich die Namen der beteiligten Polizist:innen notieren. Zusätzlich benötigen Sie Ort, Datum, Uhrzeit und die Kontaktdaten von Zeugen. Notieren Sie sich in einem Protokoll die Einzelheiten und das Vergehen, das Sie bemängeln.
Kantonale Anlaufstellen dafür sind in der Regel:
- Beschwerdestelle des Justiz- und Sicherheitsdepartementes
- Ombudsstelle des Kantons
- Schlichtungsstelle des Kantons
Sind Sie sich nicht sicher, fragen Sie bei Ihrer Gemeinde oder Ihrem Kanton nach, wohin Sie sich mit einer Beschwerde wenden müssen.
Durchsuchung war illegal
Es war eine normale Verkehrskontrolle an jenem Augusttag 2023. Um kurz vor Mitternacht hält die Kantonspolizei einen 21-jährigen Fahrer an. Er muss sich einem Alkohol- und Drogenschnelltest unterziehen. Zudem durchsucht einer der Polizisten das Auto. Er schaut nach, was sich im Kofferraum, im Seitenfach, im Hanschuhfach, im Fussraum, auf der hinteren Bank befindet. Tatsächlich findet er im Ablagefach der Fahrertür einen Teleskopschlagstock. Die Grösse beträgt 23 cm, offen 55 cm. Mittlerweile sind Alkohol- und Drogentest negativ ausgefallen.
Der Mann hatte den Teleskopschlagstock von Deutschland in die Schweiz eingeführt. Einfuhr wie Besitz sind in der Schweiz verboten. Aus diesem Grund erhält der Mann später einen Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft Lenzburg, da er gegen das Waffengesetz verstossen haben soll. Die Geldstrafe beträgt 4400 Franken, eine Busse von 1100 Franken kommt noch dazu. Doch der mittlerweile 22-jährige reichte eine Einsprache ein. Wieso?
Keine „Fishing expeditions“
Er begründete seine Einsprache damit, dass gar kein Anfangsverdacht gegeben war, der für eine Personenkontrolle und damit für die Durchsuchung notwendig gewesen wäre. Das Bezirksgericht Aarau, vor dem der Fall verhandelt wurde, gab ihm dann auch recht und sprach ihn frei. Die Staatsanwaltschaft reichte Beschwerde ein, doch auch das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte den Freispruch.
Mittlerweile liegt das schriftliche Urteil vor, in dem festgehalten wird: die Durchsuchung durch die Polizei war illegal. Es habe kein notwendiger und begründeter Anfangsverdacht vorgelegen. Dass später ein Schlagstock gefunden wurde, ein Zufallstreffer, konnte deswegen nicht als Beweis verwertet werden. Bei einer schweren Straftat wäre dies jedoch anerkannt worden. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass Gefahr in Verzug bestanden habe, doch dafür sah das Obergericht keine Anhaltspunkte.
Als Anfangsverdacht reiche eben nicht, dass die Polizei später eine Waffe gefunden habe. „Damit würde jede Beweiserhebung, auch eine unzulässige ‚fishing expedition’, gerechtfertigt, sofern sich dabei Beweise haben feststellen lassen“, schreibt das Obergericht im schriftlichen Urteil. Die Vorinstanz monierte bereits: „Es verwundere, dass sich der Polizist drei Monate nach der Kontrolle angeblich nicht mehr an diese habe erinnern können, ein Jahr später den Ablauf der Kontrolle jedoch genauer schildern könne. Es sei weder den Akten noch den Befragungen zu entnehmen, worin ein möglicher Anfangsverdacht bestanden haben soll.“
Kooperativ
Die Aussage des Polizisten, der Fahrer verhalte sich auffällig, erhärtete sich durch den Schnelltest nicht und so habe es keine Hinweise auf einen Verdacht gegeben, dass der Beschuldigte Betäubungsmittel im Auto mitgeführt haben könnte. Er verhielt sich zudem kooperativ. Das Obergericht betonte im Urteil, die Polizei dürfe nicht ohne Grund eine Personenkontrolle durchführen. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein spezifischer Anfangsverdacht etwa vor, wenn sich eine Person auffällig verhält. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – ausser in einem Punkt: Dass der Teleskopschlagstock vernichtet wird. Auch der Beschuldigte hat dies akzeptiert.