Thurgauer Staatsanwaltschaft in der Kritik

Die Staatsanwaltschaft im Kanton Thurgau stand diese Woche gerade zwei Mal aus negativen Gründen im Fokus. In einem Fall musste die Gerichtsverhandlung abgebrochen werden. Im zweiten könnte es zum Freispruch wegen Verfahrensfehlern kommen.

«Die Anklageschrift weist relevante Fehler auf und sie stimmt nicht mit der Beweiserhebung im Vorverfahren überein». Die Worte des vorsitzenden Richters zu Beginn der Verhandlung am Dienstagmorgen waren deutlich. Der Tatablauf passe nicht zum Ergebnis der Befragungen. Ein rechtsmedizinisches Gutachten widerspricht den Darstellungen in der Anklageschrift.

Der Grund für die Gerichtsverhandlung, die grosse mediale Aufmerksamkeit erhielt, ist ein brutaler Femizid in der Gemeinde Erlangen im Kanton Thurgau. Der Mann hat vor eineinhalb Jahren seine damalige Ehefrau mit einem Küchenmesser getötet. Kurz nach 11 Uhr vormittags ging bei der Polizei der Notruf ein, indem der Mann mitteilte, dass er seine Frau tödlich verletzt habe. Gemäss der Staatsanwaltschaft rief der Beschuldigte erst bei der Kantonspolizei Thurgau an, als er sich sicher gewesen sei, dass die Ehefrau tot war. Die Staatsanwaltschaft fordert gemäss Anklageschrift eine Verurteilung wegen Mordes mit einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren und einem Landesverweis für 15 Jahre.

Gravierende Mängel in der Anklageschrift
Die Verteidigung des Mannes sowie das Gericht stellten in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Thurgau jedoch starke Widersprüchlichkeiten fest. Kaum wurde der Prozess eröffnet, wies der Richter auf die Unstimmigkeiten in der Anklage hin. So würde diese in wichtigen Punkten von den Aussagen des Angeklagten und dem Obduktionsbericht abweichen: „Nach unserer Meinung ist der Sachverhalt in der Anklageschrift falsch.“ Die Anklage liess beispielsweise offen, ob das Opfer noch lebte, als der Angeklagte unter die Dusche ging, um sich das Blut abzuwaschen. Ohne in der Anklageschrift die genauen Vorkommnisse zu erwähnen, ist es für das Gericht aber nicht möglich, über den Fall zu urteilen und festzustellen ob es sich bei diesem Femizid um Mord, vorsätzlicher Tötung oder Totschlag handelt. Die Staatsanwaltschaft versuchte vor Ort noch, die Situation zu retten. Und sagte in einer Stellungnahme kurz vor dem Abbruch: „Die widersprüchlichen Aussagen hätten im Plädoyer thematisiert werden sollen.“ Also ganz zum Schluss der Verhandlung. Man könne sich unterschiedliche Möglichkeiten vorstellen, die zum Tod geführt haben, so die Staatsanwältin Nejira Prasovic (Bild links). Die Richter brachen die Verhandlung daraufhin ab. 

30 Tage für die Nachbesserung
Der Mediensprecher Fabian Mörtl sagt, dass die Rückweisung für die Staatsanwaltschaft überraschend kommt. „Es ist ein aussergewöhnlicher Schritt. Grundsätzlich bleiben wir der Auffassung, dass sich unser geschilderter Tatablauf auch auf die Beweismittel abstützen lässt.“

Man sei der Meinung, dass es zu unterschiedlichen Auffassungen kommen kann, wenn es darum geht, die Beweismittel zu würdigen. Die Staatsanwaltschaft wurde nun aufgefordert, die Anklage zu überarbeiten. Damit ein sauberes Verfahren garantiert ist, gebe es keine Alternative, als die Anklageschrift zurückzuweisen, so der Vorsitzende Richter. Dafür ist ein Monat Zeit gegeben. „Der Überarbeitung werden wir selbstverständlich nachkommen“, so der Mediensprecher.

Kritik von aussen
Gegenüber dem Blick äusserte sich Strafrechtsexperte Markus Oertle. Er ist Rechtsanwalt und war bis 2022 Leiter der Staatsanwaltschaft für schwere Gewaltkriminalität im Kanton Zürich. Er kann sich den Abbruch der Verhandlung nicht erklären: „So etwas habe ich noch nie erlebt. Eigentlich ist gesetzlich eine Prüfung der Anklageschrift vor dem Verfahren vorgesehen, wenn die Sachlage beim Gericht eingeht.“ Für die Entscheidung zum Abbruch zeigt Oertle hingegen Verständnis: „Was das Strafmass angeht, unterscheiden sich die Straftatbestände Tötung, Totschlag oder Mord enorm. Bei einem Totschlag bewegt sich das Strafmass zwischen einem und fünf Jahren, bei Mord ist es meist lebenslänglich.“

Fall Hefenhofen: ein weiteres Kapitel
Auch im schweizweit bekannt gewordenen Fall Hefenhofen liegt der Fokus diese Woche wieder auf der Staatsanwaltschaft Thurgau, die im Jahr 2023 eine herbe Niederlage eingefahren hat. Der Fall dreht sich um den Landwirt und späteren Behördenschreck Ulrich K. Über zwanzig Jahre lang wird Ulrich K. immer wieder angeklagt und verurteilt wegen Tierquälerei. Ihm wird das Bio-Label aberkannt, mehrere Waffen werden beschlagnahmt und irgendwann darf er auch keine Milch mehr liefern. Das zuständige Veterinäramt des Kantons Thurgau unter der Leitung von Paul Witzig rapportiert immer wieder Vergehen oder Übertretungen des Landwirts. Doch das Amt unterlässt es Ulrich K. ein totales Tierhalteverbot auszusprechen. Als es dies dann 2016 vornimmt, vergisst das Amt den Landwirt anzuhören, sodass es gerichtlich wieder aufgehoben wird.

In den Monaten, bevor im August 2017 der Hof geräumt und ein „vorsorgliches Tierhalteverbot“ auferlegt wird, werden die Meldungen drastischer. Im Mai 2017 teilt ein externer Sachverständiger den Behörden in Frauenfeld mit: „Wir fanden den Hof mit vielen Tieren und vielen Mängeln, die auf eine dauernde Überforderung von U. K. hinweisen.“ Der Höhepunkt des „Fall Hefenhofen“ ist dann der August 2017, als der Hof vom Veterinäramt geräumt wird. Zuvor hatten Tierschützer:innen sowie der Blick Fotos vom Hof veröffentlicht und damit für Schlagzeilen gesorgt.

Vorverhandlung soll Beweiszulässigkeit klären
Ulrich K. wurde jedoch im Jahr 2023 in wesentlichen Anklagepunkten freigesprochen, weil das Gericht entschied, dass die meisten vorgelegten Beweise der Staatsanwaltschaft nicht verwertbar waren. Es habe prozessuale Fehler gegeben. Die Beweise seien vor der Eröffnung des Strafverfahrens aufgenommen worden. Zudem sei das Teilnahmerecht des Angeklagten nicht eingehalten worden. Und die Dokumentation der angetroffenen Situation während der Hofräumung sei vor Gericht nicht brauchbar gewesen.

Der Fall wird erneut vor Obergericht verhandelt werden. Nun waren zwei Verhandlungstermine im November angesetzt, jedoch nicht für die Verhandlung selbst, sondern für die Vorverhandlung, in der geprüft wird, ob die Beweise für die weitere Verhandlung zulässig sind. Die Staatsanwaltschaft verteidigt dabei sämtliche Beweise. Der zuständige Staatsanwalt stellte zudem den Antrag, zahlreiche Personen als Auskunftspersonen zur Räumung und zum angetroffenen Zustand des Hofs zu befragen; etwa den Polizeikommandanten, Mitarbeiter des Veterinär- und des Landwirtschaftsamts oder der Armee.

Die Verteidigung folgt vor allem der Argumentation des Bezirksgericht.  Hauptpunkt der Verteidigung ist, dass die Staatsanwaltschaft viel früher als am 8. August 2017 die Strafuntersuchung hätte eröffnen sollen. „Es gab schon mehrere Tage davor einen hinreichenden Tatverdacht, der die Eröffnung einer Strafuntersuchung nötig gemacht hätte“, sagt der Verteidiger. Er wirft den Behörden vor, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handle und die verzögerte Eröffnung des Strafverfahrens darauf abzielte, seinen Mandanten vom Hof zu vertreiben.  Auch den Antrag der Staatsanwaltschaft, weitere Zeugen zu befragen, lehnt der Verteidiger ab. Es sei die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, alle Beweise zu erheben. Die Zeugen würden zudem nichts Neues sagen können, da zu einzelnen Tieren und deren Zustand keine Berichte existierten. „Also kann man sie auch nicht zu konkreten Fällen befragen“, schliesst der Verteidiger. Zudem würden sich die Zeugen nach sieben Jahren wohl auch nicht an Einzelheiten erinnern können.

Wann und wie der ganze Fall weitergeht, hängt vom Zwischenentscheid des Obergerichts ab, der noch erwartet wird. Auch der angeklagte Landwirt zog das Bezirksgerichtsurteil weiter, weil er einen Freispruch auf ganzer Linie fordert.

Kommentar

Zwei Fälle aus den letzten Tagen aus der Ostschweiz. Und immer wieder erreichen uns neue Fälle, die einen unabhängigen Beobachter den Kopf schütteln lassen. Es stellt sich die Frage, ob die Vielzahl der Fälle die Justiz und ihre Organe überfordert oder ob – und das ist eine andere These – die Staatsanwaltschaften als Arbeitgeber immer mehr schwache und unerfahrene Juristen einstellen müssen, die ihre Arbeit nicht mehr in ausreichender Qualität erledigen können. Nehmen wir den Fall des Erlanger Mordes. Da wird eine Staatsanwältin vier Jahre nach ihrem Masterstudium mit einem Mordfall betraut, und offensichtlich wird sie in diesem Fall kaum begleitet und erhält für ihre Arbeit eine der negativsten Beurteilungen, die man sich vorstellen kann. Die Rückweisung. Das dramatische Votum der Richter zeigt dies deutlich. Die anschliessende hilflose Kommunikation der Staatsanwaltschaft gegenüber den zahlreich erschienenen Medien machte die Sache nicht besser.

Wenn man den Werdegang der Staatsanwältin analysiert, ist das Scheitern der Staatsanwaltschaft nicht verwunderlich. Es stellt sich nur die Frage, warum Stefan Haffter, Generalstaatsanwalt (Bild links) des Kantons Thurgau, oder Oberstaatsanwalt Thomas Niedermann von der Staatsanwaltschaft Bischofszell es verantworten konnten, eine Staatsanwältin ohne Erfahrung und Leistungsausweis ausgerechnet mit einem Mordfall zu betrauen. Nejira Prasovic , die Ihren Master of Law im Jahr 2020 an der Universität Zürich abschloss, hat ihr LinkedIn-Account (Staatsanwältin | Public Prosecutor | Staatsanwaltschaft Bischofszell. 2 Jahre.) kurz nach der Rückweisung auf Nejira P. geändert. Sie absolvierte 2019 ein zweimonatiges Praktikum bei der Staatsanwaltschaft March im Kanton Schwyz. Im Jahr 2020 war sie während 5 Monaten Substitutin bei wylerkoch Rechtsanwälte in Frauenfeld und anschliessend ein Jahr Auditorin/Gerichtsschreiberin am Bezirksgericht Rheintal in Altstätten und beim Amtsnotariat Rapperswil-Jona. Seit 2022 ist sie als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Bischofzell tätig.

Zwei Jahre Erfahrung als Staatsanwältin scheinen zumindest im Kanton Thurgau zu genügen, um bereits einen Mordfall vor Gericht zu bringen. Leider mit dem gleichen katastrophalen Ergebnis, wie wir Beobachter seit Jahrzehnten den Fall Hefenhofen beobachten und begleiten. Die Thurgauer Justiz arbeitet damit weiter an ihrem katastrophalen Ruf. Ob SP-Regierungsrätin Sonja Wiesmann, die seit Juni 2024 das Departement für Justiz und Sicherheit leitet, die Qualität wieder verbessern kann? Ihre Vorgängerin war für 9 Jahre lang die gelernte Pflegefachfrau und Bäuerin Cornelia Komposch von der SP. Sie selber beschreibt sich als Regierungsrätin mit geringer Medienpräsenz und erwähnt, dass sie keine grossen Projekte angestossen habe. Soso! Roger Huber

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