Erneuter Ärger für Staatsanwaltschaft im «Fall Vincenz»

Die NZZ AM SONNTAG berichtet heute über Vorwürfe gegen den Chefankläger im «Fall Vincenz». Der Zürcher Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel soll die Anklageschrift in dem Fall seinem Habilitationsvater Andreas Donatsch zur Begutachtung überlassen haben. Und das könnte den Straftatbestand der Amtsgeheimnisverletzung erfüllen.
Schon allein der Rahmen wirft Fragen auf: Marc Jean-Richard-dit Bressel, Leitender Staatsanwalt der Abteilung A der Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte, muss ein Tausendsassa sein. Im Nebenamt ist er nämlich auch noch Titularprofessor an der Universität Zürich und lehrt Strafrecht und Strafprozessrecht an der ZLS Zurich Law School. Nun ist Jean-Richard-dit Bressel mit seinem Tanz auf mehreren Hochzeiten nicht der einzige.

In der Schweizer Justiz ist es ganz und gäbe geworden, dass sowohl Staatsanwälte wie auch Richter nebenher noch einem Lehrauftrag nachgehen. Gleichzeitig bleiben die Fälle über Monate, wenn nicht Jahre liegen, was regelmässig zu Kritik Anlass gibt in den Medien und innerhalb der Anwaltsgilde. Kritik an der Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Kultur der Schweizer Juristenszene gibt es indes höchstens hinter vorgehaltener Hand, der Filz sorgt dafür, dass es kaum jemand wagt, die Missstände beim Namen zu nennen.

Jean-Richard-dit Bressel ist für das verfilzte System nur das jüngste Beispiel: Seine Habilitationsschrift wurde vom pensionierten Zürcher Strafrechtsprofessor Prof. em. Dr. iur. Andreas Donatsch betreut. Und eben diesem, so die Vorwürfe von Redaktor Albert Steck in der NZZ AM SONNTAG vom 14. Juli 2024, soll Jean-Richard-dit Bressel am 20. März 2019 die Anklageentwürfe verschickt haben. Der Ankläger und der emeritierte Professor, der heute noch als Rechtsanwalt und Konsulent für die Kanzlei «Stiffler & Partner» tätig ist, sollen «in einem intensiven Austausch» gestanden haben, «wie aus mehreren Quellen hervorgeht.» Welche Quellen das genau sind, macht die NZZ AM SONNTAG nicht transparent. Immerhin scheinen sie aber mit den Abläufen gut vertraut zu sein. So weiss die Zeitung, dass Donatsch bereits drei Wochen nach der Übermittlung der Anklageentwürfe, am 8. und am 9. April 2019, «sowohl in schriftlicher wie auch in mündlicher Form» eine Expertise abgeliefert habe. Und: Die Zusammenarbeit soll bis zum Juni 2020 angedauert haben, also über ein Jahr.

Stolpert Jean-Richard-dit Bressel über Amtsgeheimnisverletzung?
Und dieser Vorgang könnte jetzt zum Problem für Jean-Richard-dit Bressel werden. Konrad Jeker, unerschrockener Strafverteidiger und Herausgeber der Plattform STRAFPROZESS.CH, kritisiert die Zürcher Staatsanwaltschaft mit deutlichen Worten. «Die Herausgabe der Anklageentwürfe könnte objektiv eine Verletzung des Amtsgeheimnisses darstellen», lässt sich Jeker in der NZZ AM SONNTAG zitieren. «Auf dem Spiel steht ebenso der Schutz des staatlichen Untersuchungsgeheimnisses, über das sich die Staatsanwaltschaft ohne gesetzliche Grundlage nicht hinwegsetzen darf.»

Eine Staatsanwaltschaft dürfe zwar Externe zuziehen gemäss Strafprozessordnung, aber eben nur, wenn die Expertise in der Behörde selbst nicht vorhanden sei. Zudem müsste der externe Dritte in die Behördenorganisation und explizit in das Amtsgeheimnis eingebunden werden. – Und natürlich müsste dieser Vorgang im Rahmen des rechtlichen Gehörs den Parteien transparent gemacht werden, was mutmasslich nicht geschehen war, sonst hätte die Verteidigung von Vincenz, Stocker & Co. wohl diese Karte längst ausgespielt.
Weder Donatsch noch Jean-Richard-dit Bressel haben gegenüber der NZZ AM SONNTAG in der Sache Stellung nehmen wollen.

Steckt Donatsch hinter dem Konstrukt des entgangenen Gewinns?
Die NZZ AM SONNTAG insinuiert weiter, ein massgebliches Element der Anklage könnte womöglich auf Donatschs Intervention zurückzuführen sein. Um eine Verurteilung gegen Vincenz & Co wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zu erreichen, musste die Staatsanwaltschaft als eines von mehreren Tatbestandsmerkmalen einen (finanziellen) Schaden bei deren Arbeitgebern nachweisen.

Damit tat sie sich schwer. Jean-Richard-dit Bressel drehte die Anklage dann so, dass der finanzielle Schaden in einem entgangenen Gewinn des Arbeitgebers bestünde und zog dafür das Bundesgerichtsurteil 6B_689/2016 aus dem Jahr 2018 heran, im dem ein Vermögensverwalter verurteilt worden war, weil er Retrozessionen für sich einbehalten hatte, statt sie seinem Kunden weiterzugeben. Gemäss NZZ AM SONNTAG soll diese Argumentationslinie der Anklage zeitlich ziemlich genau mit dem Kontakt zwischen Donatsch und Jean-Richard-dit Bressel neu in die Anklageschrift eingeflossen sein.

Viele namhafte Juristen schütteln zwar über dieses Konstrukt bis heute den Kopf und stellen die Übertragbarkeit auf den Sachverhalt bei Vincenz & Co in Frage. Beim Zürcher Bezirksgericht zumindest hatte Jean-Richard-dit Bressel damit Erfolg. Allerdings hatte sich dieser ziemlich rasch verflüchtigt, als das Zürcher Obergericht das Urteil des Bezirksgerichts Zürich im Februar 2024 aufhob – wegen groben Verfahrensmängeln. Einer der Hauptpunkte der oberrichterlichen Kritik: Die ungenügende Anklageschrift. Der Entscheid des Obergerichts ist am Bundesgericht beschwert und noch nicht rechtskräftig.

Strafuntersuchung gegen Jean-Richard-dit Bressel fällig
Für die NZZ AM SONNTAG ist damit erstellt, dass gegen Jean-Richard-dit Bressel eine Strafuntersuchung eingeleitet werden müsste. «Liegt (…) ein begründeter Anfangsverdacht vor, muss von Amts wegen eine Strafuntersuchung eingeleitet werden», zitiert sie Rechtsanwalt Jeker, der darauf aufmerksam macht, dass die Amtsgeheimnisverletzung als Offizialdelikt ausgestaltet ist. Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft Zürich müsste von sich aus ein Verfahren einleiten.

Druck kommt aber auch aus dem Zürcher Kantonsrat, wo just in der Woche vor den Sommerferien von EVP-Kantonsrat Donato Scognamiglio eine dringliche Interpellation eingereicht wurde, die gemäss der NZZ AM SONNTAG von mehr als 60 weiteren Parlamentariern unterstützt wird. Sie verlangt von der Regierung Auskunft darüber, «ob eine solche externe Überprüfung rechtmässig war und wer darüber zu entscheiden hat.»

Dass die Regierung darauf selbst eine konkrete Antwort liefern wird, erscheint als eher unwahrscheinlich, wird sie sich doch hüten, sich mit einer direkten Stellungnahme oder einer eigenen Untersuchung dem Vorwurf auszusetzen, die Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden zu ritzen. Denkbar wäre allerdings, dass die Regierung Strafanzeige erstattet und so eine Untersuchung ins Rollen bringt. Zu einer solchen müsste das Obergericht wiederum zunächst die Ermächtigung erteilen. Für die NZZ AM SONNTAG ist klar, dass das Verfahren von einem ausserkantonalen Staatsanwalt zu führen wäre, «um nicht neue Angriffsflächen zu bieten.»

So oder so. Mit der parteipolitisch breit abgestützten dringlichen Interpellation hat der Kantonsrat klar gemacht, dass er nicht einfach zusehen will, wenn der Verdacht auftaucht, dass in dem prominenten Vincenz-Verfahren, in dem für viele Beobachter die Glaubwürdigkeit der Strafverfolgungsbehörden auf dem Prüfstand steht, gemischelt und gemauschelt wird. Aus rechtsstaatlicher Sicht erscheint ein Verfahren, das die Vorgänge klärt, unumgänglich.

 

One thought on “Erneuter Ärger für Staatsanwaltschaft im «Fall Vincenz»

  1. Danke für den informativen, klar formulierten Artikel!

    1. Ich erlaube mir eine Vermutung: Ein allfälliges Strafverfahren gegen Jean-Richard-dit Bressel wird mit der Begründung eingestellt werden, dass Prof. Donatsch als Rechtsanwalt dem Berufsgeheimnis unterliegt und somit keine (schwere) Amtsgeheimnisverletzung vorliegt – oder so ähnlich. Bei „kreativen“ Begründungen sind Staatsanwälte (und RichterInnen) stets erfinderisch, wenn es darum geht, (mutmasslich strafbare) Amtskollegen zu decken.

    2. Dass die Anklageschrift dann trotzdem als ungenügend zurückgewiesen wird, obwohl (der renommierte) Donatsch daran mitgearbeitet habe, finde ich klasse.

    3. Wetten, dass von Zürcher Staatsanwaltschaften noch oft Haarsträubendes (sprich: krass Rechtswidriges) zu hören sein wird?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert