Yves Bertossa: Der unermüdliche Staatsanwalt im Kampf gegen Korruption und Ungerechtigkeit

Erwin Sperisen (Bild unten) steht zum vierten Mal vor Gericht, um zu klären, ob er in sieben Morde in einer guatemaltekischen Strafanstalt involviert war. Der Prozess dauert nun schon über zehn Jahre und hat diverse Wendungen genommen. Im Zentrum der Ermittlungen steht der erste Genfer Staatsanwalt Yves Bertossa (50), der mit seiner Hartnäckigkeit nicht nur im Sperisen-Fall für Furore gesorgt hat.

Er war 34 und erst ein halbes Jahr im Amt, als er den libyschen Diktatorensohn Hannibal Ghadhafi in Genf verhaften liess: Yves Bertossa. Der Vorwurf gegen Ghadhafi und seine Frau damals: sie hätten während ihres Aufenthalts in einem Genfer Hotel eine Bedienstete schwer misshandelt. Der Fall entwickelte sich kurz darauf zur sogenannten Libyen-Krise, eine dreijährige diplomatische Krise zwischen Libyen und der Schweiz. In dieser wurde die Schweiz mit Sanktionen Libyens belegt und mussten zwei Schweizer, Max Göldi und Rachid Hamdani, zwei Jahre in der Schweizer Botschaft in Libyen verharren. All das, weil ein junger Staatsanwalt den Diktatorensohn ohne Immunität vernehmen wollte. 2011 äusserte sich Bertossa im Tribune de Genève: „Genf hat in dieser Angelegenheit einfach seinen Job gemacht“. Für ihn bestand eine offensichtliche Fluchtgefahr der Ehegatten, sie besassen keine Immunität, also behandelte er sie als normale potenzielle Straftäter. In diesem frühen Fall seiner Karriere, spiegelt sich das Credo, das Bertossa bis heute einfordert: die Gleichheit aller vor dem Gesetz.

Der Fall Sperisen

Schon früh teilte man Bertossa in der Genfer Staatsanwaltschaft die komplexen und aufsehenerregenden Fälle zu. Der Tages-Anzeiger schrieb 2014 über ihn: „Er ist mit Strafverfolgern im Ausland gut vernetzt, ermittelt unerschrocken, scharfsinnig und hartnäckig bis ins Detail.“ Diese herausgehobene Stellung innerhalb der Staatsanwaltschaft führte ihn 2012 zum Fall von Erwin Sperisen, was ihn bis heute beschäftigt. Der ehemalige guatemaltekische Polizeivorsteher, der mittlerweile in der Schweiz lebte und Doppelbürger war, wurde in Genf aufgrund eines von den guatemaltekischen Behörden erlassenen Haftbefehls festgenommen und im Genfer Gefängnis Champ Dollon inhaftiert.

Als schweizerischer Staatsbürger konnte Sperisen nicht ausgeliefert werden. Die Zuständigkeit der Genfer Justiz begründete sich aber damit, dass nach Schweizer Recht eine Person, die im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn diese Schweizer/in ist und die verübten Handlungen sowohl in der Schweiz wie im betroffenen Drittstaat strafbar sind. Ausserdem hatte sich die Schweiz der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) angeschlossen.

Yves Bertossa ermittelte zweieinhalb Jahre gegen den ehemaligen Polizeichef von Guatemala. Er schickte Rechtshilfegesuche um die halbe Welt und reiste für Zeugeneinvernahmen hinterher. Die Anwälte taten so ziemlich alles, um ihn bei der Arbeit zu behindern. Jeden Angriff auf ihn oder seine Arbeit parierte er bis dahin. Kurz vor dem ersten Prozess 2014 sagte er: „Ich darf niemanden täuschen. Wenn ich jemanden anklage, muss ich von seiner Schuld überzeugt sein.“ Er war von der Schuld Sperisens überzeugt und erreichte eine lebenslange Verurteilung für ihn, was die Strafkammer des Kantons Genf 2015 bestätigte. Ein teilweise gutgeheissener Rekurs am Bundesgericht führte jedoch 2017 zu einem Hausarrest mit elektronischer Fussfessel. Bertossa erreichte jedoch in einem zweiten Urteil vor dem Genfer Kantonsgericht 2018 eine 15-jährige Haftstrafe für Sperisen. Die Strafminderung begründete sich vor allem darin, dass das Gericht in Sperisen nicht mehr einen Haupt-, sondern einen Nebentäter. Doch auch auf dieses Urteil legten die Anwälte Sperisens Rekurs ein. Sie vermuteten die Befangenheit der Richterin, was vom Bundesgericht abgelehnt, vom EGMR im Jahr 2023 jedoch gutgeheissen wurde.

EGMR pfeifft Genf zurück – 4. Prozess läuft

Das EGMR monierte, Sperisens Recht auf ein unparteiisches Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK wurde tatsächlich verletzt. Die Gerichtspräsidentin der Berufungs-und Revisionsinstanz war parteiisch. Sämtliche weitere gerügten Verstösse gegen die EMRK wie beispielsweise das Recht auf ein faires Verfahren, Recht auf Unschuldsvermutung oder die Haftbedingungen im Gefängnis Champ-Dollon wurden zurückgewiesen. Dies war eine herbe Klatsche für die Genfer Justiz, auch für Yves Bertossa, da eine zu grosse Nähe zwischen der Richterin und ihm bestandAm 18. Oktober 2023 hat das Bundesgericht die Sache an die Berufungs- und Revisionsstrafkammer des Kantons Genf zurückverwiesen, damit diese die Strafuntersuchung in dem Stadium wiederaufnimmt, in dem sie sich am 03. Oktober 2017 befand. Sperisen wurde nach elf Jahren aus der Haft entlassen.

Zwischen dem 2. und 13. September 2024 findet nun vor dem Berufungsgericht in Genf der vierte Prozess gegen Erwin Sperisen statt. Ein Antrag auf Ablehnung der Richterin, die mit diesem vierten Prozess betraut ist, muss jedoch noch vom Bundesgericht entschieden werden. Was klar ist: Befangenheitsanträge betrafen stets nur die Richterin, Yves Bertossa hat sich im Falle Sperisen nichts Justiziables zu Schulde kommen lassen, obwohl im von verschiedenen Seiten immer wieder vorgehalten wird, er habe sich verrannt. 

Kampf gegen Geldwäscherei

Yves Bertossa profilierte sich in den vergangenen zehn Jahren vor allem als Kämpfer gegen die Wirtschaftskriminalität und Korruption. Er scheute sich nicht vor mächtigen Gegnern wie die Credit Suisse, gegen die Bertossa eine Strafuntersuchung wegen Organisationsmängeln bei der Bekämpfung von Geldwäscherei eröffnete. Er versuchte, an den Finma-Enforcement-Bericht zu kommen, der Mängel bei der Credit Suisse untersuchte, im Zusammenhang mit Korruptionsverdacht bei der Fifa, den brasilianischen Ölkonzern Petrobras sowie den venezolanischen Ölkonzern PDVSA.. Die Credit Suisse wehrte sich gegen eine Offenlegung bis vor das Bundesgericht, was zu einer langen Verzögerung führte. Er ermittelte 2014 zudem gegen den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Dem ehemaligen spanischen König Juan Carlos, der nach Abu Dhabi geflohen und von Saudi Arabien 100 Millionen erhalten hatte,  konnte er die Veruntreuung von Geldern nicht nachweisen. Hingegen konnte er dem Milliardär und Diamantmagnaten Beny Steinmetz Korruptionszahlungen in Guinea nachweisen. Bertossas Anklage brachte Steinmetz für 18 Monate hinter Gittern und führte zu einer Busse von 50 Millionen Franken. Mit seinem forschen Vorgehen gegen Wirtschaftskriminelle trat Yves Bertossa auch in die Fussstapfen seines Vaters Bertrand Bertossa, der, auch als Staatsanwalt, bereits in den 90er-Jahren stark gegen Wirtschaftskriminalität vorging.

In seiner herausragenden Position als Kämpfer gegen Wirtschaftskriminalität kritisierte Yves Bertossa zudem die Schweiz. Sie unternehme viel zu wenig gegen Korruption und Geldwäscherei. Er bemängelte, dass das Parlament Anwält:innen und Treuhänder:innen nicht unter das Geldwäschegesetz setzte, was eigentlich eine internationale Empfehlung der FATF (Financial Action Task Force) ist. Zudem kritisierte er immer wieder, dass es in der Schweiz an notwendigen juristischen Mitteln und politischem Willen fehlt, um Korruption tatsächlich zu bekämpfen. Das Siegelungsverfahren, eine langsame Rechtshilfe und die Selbstregulierung der Banken sind gemäss ihm die grössten Probleme.

… oder man tut gar nichts

In all seinen Fällen, die immer wieder für Furore sorgten, musste er sich die Kritik anhören zu hart und unverhältnismässig zu ermitteln, was das Risiko birgt, dass die Unschuldsvermutung untergraben wird. In einem seiner seltenen Interviews, das er dem Magazin der NGO Public Eye, gab, sagt er über seine Arbeit in diesem Feld wohl etwas Entscheidendes über seine Arbeit: „Man kann immer alles noch besser oder anders machen – oder man tut gar nichts. Ich für meinen Teil ziehe es vor, zu handeln und mich der Kritik zu stellen, statt tatenlos zuzusehen.“ In einem Land, in dem es immer wieder zu grossen Geldwäsche-Skandalen kommt, ein politischer Unwille der bürgerlichen Parteien zur Anpackung dieser Probleme besteht und die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) wegen massiv steigender Anzeigen (+53% im Jahr 2023) notorisch überlastet ist, benötigt es mutige Staatsanwälte wie Yves Bertossa, die schwerreichen Kriminellen aufzeigen, dass vor dem Gesetz alle gleich sind.

Artikel vom 31. März 2024: Erneuter Prozess gegen Erwin Sperisen

 

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